Kommentar zur Studie
Das TTM stellt die bisher einzige, nachgewiesene neuroprotektive Maßnahme zur Verbesserung des funktionellen Outcomes bei komatösen Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand dar. Zahlreiche tierexperimentelle Studien konnten zeigen, dass Hyperthermie und Fieber eine sekundäre Hirnschädigung nach Herz-Kreislauf-Stillstand aggravieren können [
2]. Im Gegensatz zum Herz-Kreislauf-Stillstand mit defibrillierbarem Rhythmus wird der Einsatz von TTM nach Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus aufgrund der unzureichenden Studienlage kontrovers diskutiert. Unabhängig von der Ätiologie des Herz-Kreislauf-Stillstands sind die dem neuroprotektiven Erklärungsansatz zugrunde liegenden pathophysiologischen Konzepte, die auf Mechanismen wie reduziertem metabolischem Bedarf, geringerer Inflammationsreaktion, verminderter Freisetzung von Zytokinen und Sauerstoffradikalen oder geringerer Apoptose beruhen, auch auf Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus übertragbar [
2]. Deshalb empfehlen aktuelle Leitlinien eine Temperaturkontrolle in einem Zielbereich zwischen 32,0 und 36,0 °C und die konsequente Vermeidung von Hyperthermie [
3].
Der Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus geht im Vergleich zum Herz-Kreislauf-Stillstand mit defibrillierbarem Rhythmus mit ungünstigerem Outcome, sowohl hinsichtlich Mortalität als auch funktionell-neurologischem Outcome, einher [
4]. Mit der HYPERION-Studie wurde nun die erste größere randomisierte Multicenterstudie, die ausschließlich Patienten mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus und sowohl prä- als auch innerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand berücksichtigte, veröffentlicht. Im Vergleich zu den bisherigen randomisierten Studien, die überwiegend Patienten mit primär kardialer Genese und klarem Interventionsziel untersuchten, wurde hier ein heterogenes Patientenkollektiv eingeschlossen. Somit wurde in der HYPERION-Studie genau die Patientenpopulation untersucht, die
per se ein ungünstigeres Outcome aufweist und die unter Umständen am meisten von neuroprotektiven Maßnahmen profitiert.
Bisherige randomisierte Studien, die den Einfluss von TTM auf das neurologische Outcome nach Herz-Kreislauf-Stillstand untersuchten, schlossen ausschließlich Patienten mit defibrillierbarem Rhythmus ein oder waren für eine Beurteilung eines Herz-Kreislauf-Stillstands mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus nicht gepowert [
5‐
7]. Die Autoren der 2013 publizierten TTM-Studie konnten in einer Subgruppenanalyse von 178 Patienten keinen Vorteil von 33 °C gegenüber 36 °C nach Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus zeigen [
8]. Zwei nordamerikanische Registerstudien analysierten Daten von insgesamt 1951 Patienten mit prä- oder innerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus [
9,
10]. Dabei zeigte sich ein signifikanter Vorteil für eine Hypothermiebehandlung mit 32–34 °C im Vergleich zu konventionellem Temperaturmanagement sowohl hinsichtlich des neurologischen Outcomes als auch der Mortalität. Aufgrund des retrospektiven Studiendesigns sowie nicht berücksichtigter klinisch relevanter Confounder bestehen jedoch bei beiden Arbeiten methodologische Bedenken.
Kritikpunkte an der HYPERION-Studie beinhalten das sehr knapp signifikante Ergebnis zugunsten der moderaten Hypothermie. Bei nur einem unterschiedlichen Outcome in der Hypothermie- oder der Normothermiegruppe wäre der primäre Endpunkt nicht erreicht worden. Jedoch wurde die „number needed to treat“, um durch die Anwendung moderater Hypothermie einen Patienten mit günstigem Outcome zu erhalten, mit 22 berechnet. In Anbetracht des geringen Anteils an Patienten mit günstigem Outcome nach Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus spricht diese Zahl für die Wirksamkeit der Intervention.
Um eine Reboundhyperthermie zu vermeiden, wurde das TTM in der Hypothermiegruppe länger fortgeführt als in der Normothermiegruppe (Hypothermie: bis zu 64 h, Normothermie: 48 h), was möglicherweise das Outcome in der Normothermiegruppe ungünstig beeinflusst haben könnte.
Der Anteil der Laienreanimationen in der HYPERION-Studie war mit 70 % relativ hoch. In Deutschland konnte die Laienreanimationsquote durch umfassende Ausbildungsmaßnahmen und Aufklärungskampagnen in den letzten Jahren auf 39 % angehoben werden. Nichtsdestotrotz könnte die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland aufgrund unterschiedlicher Laienreanimationsquoten eingeschränkt sein.
Es bleibt abzuwarten, wie die Ergebnisse der HYPERION-Studie die zukünftigen Leitlinien 2020 beeinflussen werden und ob der Zielbereich für TTM erneut angepasst werden wird. Dies wird nicht zuletzt von den Resultaten der TTM2-Studie abhängen, die ein TTM von 33 °C mit Fieberbehandlung ≥37,8 °C vergleicht und deren Abschluss 2020 erwartet wird [
11].
Fazit für die Praxis
-
Erstmals konnte in einer größeren randomisierten Studie gezeigt werden, dass die Anwendung von einem gezielten Temperaturmanagement mit 33 °C verglichen mit Normothermie nach prä- und innerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus zu einer Verbesserung des neurologischen Outcomes führt.
-
Die Bedeutung eines konsequenten aktiven Temperaturmanagements nach erfolgreicher Reanimation wurde durch die HYPERION-Studie erneut hervorgehoben und sollte unabhängig von initialem Rhythmus und Ätiologie des Herz-Kreislauf-Stillstands umgesetzt werden.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.