Evidenzbasierte Therapieempfehlungen helfen bei der jeweiligen fachspezifischen Therapie, können aber Daten aus der Real-World-Versorgung kaum berücksichtigen. Um diese im klinischen Alltag auch hinsichtlich prädiktiver Aussagen zu Krankheitsprogression oder Behandlungserfolg besser zu nutzen, sind Modelle mit Daten aus der Versorgung zu entwickeln, um diese für die Schaffung von assistierender künstlicher Intelligenz zu nutzen.
Ziel
Ziel des Use Case 1 innerhalb des MiHUBx (Medical Informatics Hub in Saxony) ist es, ein auf Versorgungs- und Forschungsdaten basierendes Modell für einen Biomarker-gestützten Therapiealgorithmus sowie die dazu notwendige digitale Infrastruktur zu entwickeln.
Material und Methode
Schrittweise werden notwendige Partner:innen in Kliniken und Praxen technisch oder über Forschungsfragen innerhalb des Use Case 1 „Ophthalmologie trifft Diabetologie“ des regionalen Digitalen FortschrittsHub Gesundheit MiHUBx der bundesweiten Medizininformatik-Initiative zusammengeschlossen.
Ergebnisse
Basierend auf gemeinsamen Studien mit Diabetologen erfolgte die Auswahl robuster serologischer und bildgebender Biomarker, die Hinweise für eine Entwicklung eines diabetischen Makulaödems (DMÖ) geben. Diese und weitere wissenschaftlich nachgewiesene prognostische Marker sollen zukünftig in einen Therapiealgorithmus einfließen, der KI(künstliche Intelligenz)-gestützt ist. Dafür werden gemeinsam mit Medizininformatikern modellhafte Vorgehensweisen erarbeitet sowie ein Datenintegrationszentrum etabliert.
Schlussfolgerungen
Neben der strukturierten und technischen Zusammenführung bisher an verschiedenen Orten vorliegender und teilweise heterogener Versorgungsdaten werden in dem Use Case die Chancen und Hürden zur Nutzung von Real-World-Daten zur Entwicklung künstlicher Intelligenz definiert.
Hinweise
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Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Daten von Patient:innen mit Diabetes mellitus liegen an verschiedenen Behandlungsorten und in unterschiedlichen Praxissystemen. Eine unkomplizierte gemeinsame Nutzung bzw. ein Austausch und auch die Nutzung in der Forschung sind heute noch durch Datenschutzrichtlinien und fehlende sichere und einheitliche Technik limitiert. Die Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundes unterstützt in Sachsen die Entwicklung sektorenübergreifender Nutzung von Versorgungsdaten für die Forschung.
Diabetes mellitus ist zu einer Herausforderung der weltweiten Gesundheitsversorgung geworden – nicht nur in industrialisierten Nationen. Durch die steigende Prävalenz wird sich dieses Problem weiter verstärken [10]. Die diabetische Retinopathie (DR) ist weiterhin die führende Ursache für Erblindung im Erwachsenenalter zwischen 20 und 74 Jahren. Es wird geschätzt, dass 10,2 % aller Diabetiker und Diabetikerinnen eine Form der diabetischen Retinopathie aufweisen und ca. 7,0 % eine Form des diabetischen Makulaödems (DMÖ) ([4], IDF Diabetes Atlas 2021 – https://diabetesatlas.org/, NVL Diabetes 2023 – https://www.leitlinien.de/themen/diabetes). Die Behandlung des DMÖ ist in den letzten Jahren sehr vielfältig geworden, aber ebenso die Wissensentwicklung rund um das Erkrankungsbild. Auch werden die Forderungen nach besserer Individualisierung von Therapien stärker, und alles dieses sind gute Gründe, warum digitale Modalitäten zukünftig zur ärztlichen Unterstützung wichtiger werden. Wir stellen diese Komplexität am Beispiel der Entwicklung eines Therapiepfades (Algorithmus) für die Behandlung des diabetischen Makulaödems dar. So reicht heute das Behandlungsspektrum des DMÖ von der First-line-Therapie mit Anti-VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Hemmern sowie weiteren intravitrealen Second-line-Therapien mit Kortikosteroidpräparaten über die Laserkoagulation bis hin zur chirurgischen Intervention mittels Pars-plana-Vitrektomie [7, 20, 33].
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Während sich pharmakologische Therapien und einzelne Therapieschemata auf Zulassungsstudien sowie daraus abgeleitete Leitlinien stützen, ist dieses für nichtpharmakologische Therapieoptionen oder die Nutzung von prädiktiven Parametern schwieriger. Dafür fehlen in der Regel größer angelegte Studien, und somit wird kein Evidenzlevel erreicht. Eine breit aufgestellte Auswertung von Daten im Sinne einer Real-World-Evidenz kann hier hilfreich sein, um aufwendige retro- und prospektive Studien zu unterstützten, und wird zunehmend gefordert, ebenso wie die Notwendigkeit, sich möglichst auf einen Minimalstandard von Bewertungskriterien gemeinsam zu einigen [31]. Ein DMÖ muss auch im Kontext des Allgemeinbefindens, der Stoffwechsellage des diabetischen Patienten und der Patientin, aber auch der Versorgungsmöglichkeiten gesehen werden [8], um personalisierter therapieren zu können. Gut gelingen kann das Vorhaben wiederum nur, wenn einerseits alle Behandlungsdaten den behandelnden Personen zugänglich gemacht werden und andererseits Patienten und Patientinnen diesem zustimmen (Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission Deutschland – http://daebl.de/UB11). Weiterhin kann Forschung mit Daten aus der Versorgung helfen, die Ärzt:innen unterstützende technische Systeme zu entwickeln. In den letzten Jahren haben insofern zunehmend medizininformatische Methoden Einzug in die Diagnostik und Therapie von Patienten und Patientinnen mit Augenerkrankungen gehalten [10, 29].
In diesem Beitrag wird entsprechend ein durch die Medizininformatik-Initiative unterstützter interdisziplinärer Weg der Vernetzung von Augenärzt:innen, Diabetolog:innen, Hausärzt:innen und Medizininformatikern sowie weiteren IT-Bereichen beschrieben.
Methodisches Vorhaben
MiHUBx – Vernetzung und Nutzung von digitalen klinischen Daten zur Forschung
Im Rahmen der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Medizininformatik-Initiative (MII) wurden bereits technische Grundlagen (Datenintegrationszentren, s. nächsten Abschnitt) an allen Universitätskliniken Deutschlands gelegt. Sinn des Vorhabens ist es, Daten untereinander datenschutzkonform zu teilen und gemeinsame Analysen durchführen zu können. Um das hierfür notwendige gemeinsame Verständnis der Daten zu schaffen und ihre Struktur zu vereinheitlichen, haben Vertreter aller Standorte der MII national gültige und anzuwendende Datensätze definiert und mittels HL7 FHIR (Health Level Seven International Fast Healthcare Interoperability Resources) spezifiziert. Dieser Datenstandard erlaubt die automatisierte Auswertung von „real-world“-Daten in multizentrischen Studien.
Um die Ideen der MII nicht nur auf Universitätskliniken zu fokussieren, sondern auch in den regionalen Bereich und auf möglichst alle Leistungserbringer des Gesundheitswesens zu übertragen, wurden vom BMBF im Jahr 2021 zusätzlich 6 Digitale FortschrittsHubs Gesundheit gefördert. Einer dieser Hubs ist der Medical Informatics Hub in Saxony (MiHUBx, https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/Digitale-FortschrittsHubs-Gesundheit.php), dessen Ziel der Aufbau einer offenen, integrativen Basisinfrastruktur ist, die bestehende Schnittstellen, wie z. B. die der Telematikinfrastruktur, in sich vereint (Abb. 1). Hierdurch soll es jedem interessierten Leistungserbringer aus dem nichtuniversitären Bereich möglich sein, die lokalen Datenbestände in die Strukturen der MII zu überführen. Basierend auf den MII-konformen Schnittstellen, entsteht ein Service-Ökosystem, das Werkzeuge wie Analysen und Visualisierungen allen Hub-Mitgliedern nachhaltig und kosteneffizient zur Verfügung stellt und zeitgleich eine Verzerrung der Datenlage durch nur universitäre Daten minimiert.
Abb. 1
MiHUBx (Medical Informatics Hub in Saxony). Behandlungsdaten von DMÖ(diabetisches Makulaödem)-Patienten aus verschiedenen Quellen sollen in Sachsen zum Training maschinell-assistierter Lernverfahren genutzt werden
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Erwartungshaltung an die technischen Ergebnisse des MiHUBx
Datenintegrationszentrum
In allen Bereichen der medizinischen Versorgung werden Patienteninformationen in elektronischer Form gespeichert. In der Primär- und Sekundärversorgung erfolgt dies in Patientenverwaltungssystemen (PVS), in der Tertiärversorgung übernehmen dies Krankenhausinformationssysteme (KIS) und weitere klinische Informationssysteme. Der Grund der Speicherung der Daten liegt in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter anderem für Archivierung und Abrechnung. Diese spezifischen Einzelsysteme sind wiederum zwar in der klinischen Infrastruktur, aber nicht zwingend immer an das KIS angebunden. Das hat zur Folge, dass es keinen harmonisierten Datenbestand in den jeweiligen Kliniken gibt, sondern nur einzelne Datensilos, die keinen Austausch untereinander zu lassen. Um dieses Problem zu lösen, hat die MII seit 2018 an den Universitätskliniken den Aufbau von Datenintegrationszentren (DIZ) gefördert. Diese schaffen einen Datenbestand überwiegend aus Daten der Versorgung am jeweiligen Standort, der nun der Forschung zur Verfügung stehen soll. In fest definierten Strukturen (Kerndatensätzen) können Forschende bei jedem Mitglied der MII Daten im gleichen Schema anfragen.
Im Digitalen FortschrittsHub MiHUBx sollen die Konzepte der MII-Infrastruktur von den Universitätskliniken in die peripheren Versorgungslevel gebracht werden. Das Klinikum Chemnitz als Partner im Projekt MiHUBx hat hierfür als erstes nichtuniversitäres Klinikum ein Datenintegrationszentrum aufgebaut, um Daten eines regionalen Maximalversorgers für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise entsteht für die Forscher ein erhebliches Mehrwertszenario, da die eingespeicherten Daten einerseits strukturiert abgefragt werden können und anderseits bereits vom Patienten für die Forschung freigegeben wurden. Hierzu wird im Rahmen eines stationären Aufenthalts die Zustimmung der Patienten durch den „Broad Consent“ erhoben. Hierbei handelt es sich um ein von der MII standardisiertes Einwilligungsdokument, das die Datennutzung in einem festgelegten Zeitraum von 5 Jahren vor und nach Unterzeichnung seitens der Patienten ermöglicht. Aufgrund der lokalen Speicherung der Daten sowie der festgelegten Anonymisierungskriterien werden die geltenden Datenschutzrichtlinien eingehalten. Diese Zusammenhänge werden über ein DIZ geschaffen und geordnet (Abb. 2).
Abb. 2
Grundmodel eines Datenintegrationszentrums (DIZ) im Miracum. Unterschiedliche klinische Systeme werden nach erfolgter Harmonisierung in einen gemeinsamen Datenspeicher („data repository“) zusammengeführt. Dieses „data repository“ bildet die Basis für die Informationserhebung bei Forschungsanfragen. ID Identität, OMOP Observational Medical Outcomes Partnership, NLP natural language processing. (Modifiziert nach [22])
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Dashboard
Die in Tab. 1 gezeigten Datenanforderungen sind hinsichtlich der DIZ-Integration zum jetzigen Zeitpunkt nur teilweise im Kerndatensatz der MII abbildbar [13]. Speziell bildgebende Verfahren und Befunde bildgebender Verfahren gehören zu den bisher nicht spezifizierten Daten des Kerndatensatzes der MII und können aktuell nicht bereitgestellt werden. Durch die Vernetzung von MiHUBx mit der nationalen AG Interoperabilität der MII wird das Thema der Integration Ophthalmologie-spezifischer Daten fortlaufend organisatorisch und technisch vorangetrieben.
Tab. 1
Indikatoren für erhöhtes Risiko der Entstehung und Behandlung des diabetischen Makulaödems
Patientenspezifische Marker
Diabetologische Marker
Ophthalmologische Marker
– Diabetesdauer ≥ 10 Jahre
– Kardiovaskuläre Erkrankungen
– Chronische Nephropathie
– Hypoglykämien
– Typ-1-Diabetes und LADA mit diabetesbezogenen Komplikationen
– Typ-2-Diabetes mit Makro- und Mikroangiopathien (Nephropathie, Hypertonie mit Blutdruck > 140/85 mm Hg)
– HbA1c ≥ 8 %a
– LDL-Cholesterin > 2,9 mmol/la
– Albumin/Kreatinin-Ratio (ACR) i. U. > 30–300 mg/g Kreatinina
In Schlosser et al. wurde eine Datenaggregation vergleichbar zum klinischen Modul in Abb. 1 realisiert, jedoch aus dem PVS und OCT(optische Kohärenztomographie)-System der Augenklinik sowie dem KIS des KC (Klinikum Chemnitz), was bereits einen Teil der Daten in Tab. 1 abdeckt [24]. Mittels regelbasierten Text-Minings wurden aus schwach strukturierten Freitexten Daten strukturiert extrahiert und mit bereits strukturiert vorliegenden Daten für die Forschungsnachnutzung zusammengeführt. Ein Therapiealgorithmus, der den Visus bei Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration (AMD), DMÖ und retinalen Venenverschlüssen unter IVOM(intravitreale operative Medikamentengabe)-Therapie vorhersagt, wurde ebenfalls erarbeitet und nun auf die in Tab. 1 definierten Parameter erweitert bzw. spezifiziert [13].
Medizinische Vorarbeiten als Grundlage für eine individualisiertere Therapie des diabetischen Makulaödems
In den vergangenen Jahren wurden sowohl aus der Diabetologie als auch der Ophthalmologie serologische oder bildgebende Biomarker untersucht, die als Risikoindikatoren für die Entwicklung eines diabetischen Makulaödems gelten können. So ist inzwischen bekannt, dass ein erhöhter Spiegel an intravitrealem und systemischem VEGF mit der Entwicklung eines DMÖ verbunden ist, eine Tatsache, die Therapieentwicklungen beeinflusst hat. Parallel dazu wurden bildgebende Biomarker identifiziert [30]. Zunehmend wurden robuste und signifikante Biomarker für die Entwicklung und Behandlung des diabetischen Makulaödems spezifiziert, von denen eine Auswahl in Tab. 1 gezeigt ist. Unsere Arbeitsgruppe untersuchte in den vergangenen Jahren, ausgehend von einer Patientengruppe (n = 92), prospektiv 34 Parameter, um deren Nutzung als prädiktive Marker für die Entwicklung eines DMÖ zu untersuchen [11, 12, 23], denen der Charakter eines robusten Biomarkers zugesprochen wurde. Diese Patienten wurden in einer 2‑Center-Studie (KC und UKD [Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden]) über mehrere Jahre nachverfolgt. Für die Entwicklung des DMÖ konnten signifikante oder tendenzielle Biomarker gefunden oder bestätigt werden. Diese Untersuchungen bildeten zusammen mit Ergebnissen aus weiteren wissenschaftlichen Publikationen anderer Arbeitsgruppen die Grundlage für die Idee eines Therapiealgorithmus, der die Anforderungen der Therapieempfehlungen berücksichtigt (First-line-Therapien), aber die fortlaufende Beurteilung von Biomarkern aus der realen Versorgungswelt berücksichtigt [17].
Für die Entwicklung des DMÖ wurden signifikante oder tendenzielle Biomarker gefunden oder bestätigt
Auch die Notwendigkeit, internistische Daten besser einzubeziehen, zeigen Hinweise, dass das DMÖ mit einem höheren kardiovaskulären Risiko assoziiert ist [5, 21]. Basierend auf den eigenen Vorarbeiten in Kooperation mit Diabetologen und den durch Studien nachgewiesenen prädiktiven bildgebenden Biomarkern (Tab. 1), wird die Idee einer Therapiealgorithmusentwicklung entsprechend verfolgt (dargestellt in Abb. 3).
Abb. 3
Schematische Darstellung eines Therapiealgorithmus für das diabetische Makulaödem (DMÖ). Ein über Biomarker gestützter Therapiealgorithmus unterstützt die durch Leitlinien vorgegebenen evidenzbasierten Therapien. Die dafür notwendige Datengrundlage stammt aus Real-World-Daten und -Studien. IVOM intravitreale operative Medikamentengabe, VEGF „vascular endothelial growth factor“, ppV Pars-plana-Vitrektomie
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Chemnitzer DMÖ-Algorithmus zur Behandlungssteuerung
Die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie oder eines diabetischen Makulaödems wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, die z. T. als Biomarker robust genug sind, um sie für prädiktive Aussagen nutzen zu können. Dabei unterscheiden wir zwischen verschiedenen Biomarkergruppen wie patientenspezifischen, serologischen (diabetologisch) oder bildgebenden ophthalmologischen Markern. Findet sich beispielsweise eine Desorganisation der inneren Netzhautschichten (DRIL), so ist eine Visuserholung im Verlauf einer Anti-VEGF-Therapie deutlich geringer bis gar nicht zu erwarten [15]. Weitere wichtige Biomarker speziell für das DMÖ sind hyperreflektive Foci (HRF) [14, 18], seröse Abhebung (Flüssigkeitsansammlung) der neurosensorischen Netzhaut und erhöhte zentrale Hyperautofluoreszenz [32]. Dieses zeigt, wie wichtig die Definition bestimmter Imaging-Marker für den Verlauf einzelner Makulaerkrankungen ist. Sie können in Zukunft „prädiktiv“ helfen, die Therapie des diabetischen Makulaödems frühzeitig in ihrem Ansprechen auf Anti-VEGF-Therapie („first line“) bzw. die alternativ vorhandenen Therapien („second line“) zu charakterisieren, und so ermöglichen, dass schneller alternative Möglichkeiten einbezogen werden [7]. Dazu gehören die antientzündliche Therapie mit Kortikosteroiden, die Laserkoagulation und auch die frühzeitige Chirurgie [17, 20, 30]. Um zu sehen, ob die Einführung von KI(künstliche Intelligenz)-basierten Assistenzsystemen zur Erkennung von diesen Biomarkern sinnvoll ist, ist zu untersuchen, inwieweit die Biomarker in Praxissystemen dokumentiert sind. Weiterhin ist sicherzustellen, dass eine Datennutzung im Einverständnis der Patient:innen erfolgt. Weiterhin muss für die für medizininformatische Forschung genutzten Daten eine Qualitätssicherung erfolgen, da das Training maschineller Lernalgorithmen auch negativ von schlechter Datenqualität beeinflusst werden kann.
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Die Tab. 1 summiert robuste Biomarker, die Auskunft geben können über das Risiko der Entstehung eines diabetischen Makulaödems oder Hinweise auf Behandlungserfolge entsprechend den leitliniengerechten Therapieformaten.
„Lessions learned“ – Studiendesign 2.0
Es ist ärztliche Aufgabe, die Wege hin zur Nutzung von Versorgungsdaten intersektoral zu ebnen, um eine größere Datenmenge für Studien datengeschützt zur Verfügung zu stellen. Dazu sind Barrieren zu überwinden und neue Wege zu gehen, wie es auch treffend die ZEKO (Zentrale Ethikkommission) in ihrer Stellungnahme – auszugsweise – formuliert (http://daebl.de/UB11):
„Anforderungen an die medizinische Dokumentation ändern sich, damit sie für informationstechnische Forschung nutzbar gemacht werden.
Forschende Ärzt:innen stehen vor der Herausforderung, die Charakteristika der auf Behandlungsdaten basierenden Forschung zu verstehen und das Potenzial zu nutzen.
Auch niedergelassene Ärzt:innen sind ‚Dateninhaber:innen‘, die an der Sekundärnutzung von Daten beteiligt sind.“
Diese heute noch komplexen Anforderungen waren in der Entwicklungsphase des Use Case 1 gut erkennbar. Beispielsweise kommt dem Datenschutzaspekt eine große Bedeutung zu. So unterliegt die Nutzung pseudonymisierter Daten weiterhin engen Datenschutzregeln, die durch die Forschenden zu beachten sind. Durch die Entwicklung eines Studienprotokolls 2.0 versucht das Team, den Goldstandard der klinischen Studien für dieses innovative Vorhaben anzupassen. Dabei soll neben einem hypothesengetriebenen Ansatz auch der datengetriebene, induktive Ansatz der Forschung mit der Informatik unterstützt werden.
Unser Studienprotokoll 2.0 soll nicht nur diese Aspekte berücksichtigen, sondern auch Lücken in heutigen Datensystemen und der Dokumentation aufzeigen. Das Charakteristikum ist die Durchführung einer auf Einwilligung basierenden Datenstudie unter Real-World-Bedingungen mit gleichzeitiger Entwicklung einer einheitlicheren Dokumentation der Versorgungsdaten. Ergänzend werden Standards für die Nutzung informatischer Algorithmen sowie des Datenschutzes beschrieben. Die genannten Kernpunkte der initiierten Studie orientieren sich an den Behandlungsleitlinien für DMÖ und sollen im Real-World-Setting bei der Detektion von Datenlücken helfen. Explorativ soll ein ophthalmologischer Algorithmus/Software zur Unterstützung bei diagnostischen oder therapeutischen Entscheidungen für Patienten mit diabetischem Makulaödem (DMÖ) auf der Basis von Methoden der künstlichen Intelligenz und den gewonnenen Daten (Biomarker) generiert und durch Ärzte validiert werden (Proof of Concept). Der Beginn der Datenerhebung ist für Ende 2024 geplant und soll anschließend fortlaufend für 5 Jahre bis 2028 erfolgen. Die Zielgröße sollen ca. 500 Patienten mit den Diagnosen H36.0 (diabetische Retinopathie) und H35.* (diabetisches Makulaödem) sein. Die Studie hat zum Ziel, den Blick konsequenter auf Beides – serologische und ophthalmologische Daten und Biomarker – zu richten, um die individuelle Behandlung zu optimieren. Unsere Motivation zur Studie beruht auf der Beobachtung im klinischen Alltag, dass „One fits for all“-Behandlungen in der Real-World-Behandlung gelegentlich nicht individuell passend sind. Unsere Hoffnung ist, dass digital erlernte Hinweise für Ärzt:innen zur ganzheitlichen Sicht auf die Patient:innen bei der Optimierung der Behandlungsstrategien helfen.
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Diskussion
Die Behandlung des Diabetes mellitus und seiner Folgeerkrankungen stellt seit vielen Jahren ein Paradebeispiel für diese individualisierte Medizin dar. Es stellt sich also die Frage, wie grundsätzlich ophthalmologische leitliniengerechte Therapiestrategien durch die bessere Nutzung von Daten aus der Routineversorgung und Forschung mit diesen Daten ergänzt werden können [31]. Im Use Case 1 des MiHUBx wird durch eine interdisziplinäre Kooperation erarbeitet, wie sich Medizin, Informatik und Informationstechnik verbinden, um Versorgungsdaten durch informatische Forschungsansätze für KI-Modelle zu nutzen. Dazu liefern informatische Methoden wie maschinelle Lernverfahren einen wichtigen Ansatzpunkt. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz findet sich bereits unter Zuhilfenahme der optischen Kohärenztomographie sowie der Nutzung einzelner prädiktiver Biomarker, z. B. bei der Diagnostik der altersbedingten Makuladegeneration und der multiplen Sklerose [2, 3, 6, 9, 16, 25, 26]. Die Nutzung von Daten aus verschriftlichten Befunden ist deutlich komplexer. Durch das gemeinsame Arbeiten mit medizinischen und informatischen Ansatzpunkten wurden Chancen und Barrieren im Umgang mit Daten für die Forschung erkennbar. So scheinen die Beschaffenheit und Güte der vorliegenden großen Datensätze in der Routineversorgung für ein solches Training durch informatische Algorithmen bisher aber nicht qualitativ ausreichend vorzuliegen, wie Vorarbeiten unserer Arbeitsgruppe aufgezeigt haben.
Eine gute Datenqualität ist notwendig, um valide Aussagen durch maschinelles Lernen zu ermöglichen
Die Gestaltung zukünftiger Studienprotokolle sollte die Nutzung komplexer und vieler Daten aus der Real-World-Situation und die informatischen Ansätze berücksichtigen. Der Anspruch an die Qualität der Daten ist zu definieren, um valide Aussagen durch maschinelles Lernen zu ermöglichen. Hingewiesen wird auch auf die Sinnhaftigkeit einer international einheitlicheren minimalen Dokumentation von Daten („minimum patient-centered treatment outcome set“), die Therapieerfolge auch global vergleichbarer zu machen, v. a. auch hinsichtlich des Nutzens für die Patienten und Patientinnen [19]. Ähnliches gilt aber genauso aus Sicht der Informatik, da neben der Verlässlichkeit auch die Erklärbarkeit eine der großen künftigen Herausforderungen derartiger KI-Algorithmen sein wird [1]. Die von uns im Use Case 1 erkannten Chancen und Barrieren werden unterstützt durch Expertenaussagen anderenorts [27], die empfehlen, Kernziele zu definieren [28], aber auch zu bedenken geben, dass neben den großen Chancen auch eine weitere Schlussfolgerung wichtig ist: „Korrekte KI-Empfehlungen sind nur dann zu ziehen, wenn Daten für Entwicklung, Training, Testung und Validierung der Algorithmen in qualitativ ausreichender Menge und in qualitativ strukturierter und standardisierter Form vorliegen.“ „Der dafür notwendigen Aggregation – auch über verschiedene Einrichtungen hinweg – sollten angesichts des großen medizinischen Nutzens der Datenschutz und rechtliche Regulierung nicht unverhältnismäßig entgegenstehen.“ [27]
Auch die ZEKO verweist darauf, dass Ableitungen praktischer Konsequenzen aus Studienergebnissen mit Versorgungsdaten sich dennoch die Frage der Aussagekraft und Korrelation stellen müssen, wenn die Ergebnisse durch maschinelles Lernen erzielt wurden. Ein Verzicht eines systematischen Nachweises von Kausalzusammenhängen ist zu überprüfen und Aufgabe der beteiligten Ärzt:innen.
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Fazit für die Praxis
Die interdisziplinäre und intersektorale Nutzung von Daten aus der Versorgung für die Forschung bedarf einer technischen Vernetzung.
Sogenannte Use Cases ermöglichen, in der Praxis die Chancen und Barrieren für Datennutzung zur Forschung zu erkennen.
Klinische Studien zur Nutzung von Daten aus der Versorgung benötigen neue Formate, um Kooperationen mit der Informatik zu ermöglichen.
Datenschutz und die Sicherung einer guten Datenqualität sind Aufgabe der Medizin.
Der MiHUBx (Medical Informatics Hub in Saxony) bietet mit dem Use Case 1 ein Beispiel zur Erforschung der Datennutzung, aber auch zur Erkennung von Datenlücken oder Barrieren für die Nutzung.
Die Auswahl geeigneter Datensätze, auf denen ein maschinelles Lernen möglich wird, ist ein Grundbaustein für gute KI(künstliche Intelligenz)-Assistenzsysteme.
Förderung
Diese Forschung wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, und zwar durch den Medical Informatics Hub in Sachsen (MiHUBx) mit den Förderkennzeichen 01ZZ2101A (Technische Universität Dresden), 01ZZ2101C (Technische Universität Chemnitz) und 01ZZ2101E (Klinikum Chemnitz)
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
G. Stolze, V. Kakkassery, D. Kowerko, M. Bartos, K. Hoffmann, M. Sedlmayr und K. Engelmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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