Nach der neuen AWMF-S3-Leitlinie gilt das größere, nicht mehr durch Teilresektionen behandelbare T3-Larynxkarzinom als optimaler Kandidat für einen Larynxorganerhalt (LP) mittels primärer Radiochemotherapie (pRCT) [
1]. In einer eigenen Kohortenstudie war für die Patienten mit T3-Larynxkarzinom kein signifikanter Überlebensunterschied zwischen primärer Radiochemotherapie (pRCT) und totaler Laryngektomie mit risikoadaptierter adjuvanter Therapie (TL±aR[C]T) nachweisbar, wohl aber im Vergleich zwischen alleiniger Bestrahlung (pRT) und (TL±aR[C]T); [
2]. In unserem Kollektiv waren allerdings nur wenige T3-Patienten mit pRT behandelt worden, und es fand sich ein Selektionsbias hin zu älteren und krankeren Patienten, die beim Larynxorganerhalt (LP) ausschließlich durch pRT behandelt wurden. Für Patienten mit einer Kontraindikation für den Chemotherapiezusatz zur primären Bestrahlung stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise dennoch eine reine Bestrahlung ohne relevanten Überlebensnachteil vertretbar sein könnte bzw. wann selbst beim T3-Karzinom eher die primäre TL erwogen werden sollte.
In der vorliegenden Arbeit wird ein Entscheidungsinstrument entwickelt, das bei dieser Fragestellung eine Hilfe sein könnte. Dabei besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit der recherchierten Literatur, und eine klinische Prüfung der genannten Kriterien im Rahmen von klinischen, optimalerweise prospektiven Studien ist zu empfehlen.
Diskussion
Bei der kritischen Durchsicht der von Tang et al. genannten 11 Studien [
3] fielen 2 unterschiedliche Studientypen auf: Typ 1 hat das erklärte Ziel, beim konservativen Larynxorganerhalt vergleichbar gute Ergebnisse zu erlangen wie durch eine TL. Hierbei wird implizit vorausgesetzt, dass die Effektivität der beiden Ansätze unterschiedlich sei. Betont wurde hier die richtige Patientenauswahl für den Larynxorganerhalt, typische Beispiele hierfür sind [
4,
5,
36]. Inwieweit aus Studien diesen Typs in einer Metaanalyse die Effektivität der beiden Therapieverfahren sinnvoll verglichen werden kann, ist allerdings eher fraglich. Studientyp 2 zielt auf den echten Vergleich der Effektivität der beiden Therapiestrategien. In den genannten Arbeiten waren dies allerdings sämtlich retrospektive Kohortenstudien, z. B. [
37‐
39], bei denen ein Einschlussbias in die verschiedenen Studienarme nicht ausgeschlossen werden kann. In Reinform wären Typ-2-Studien prospektive, randomisierte klinische Studien wie die grundlegenden Larynxorganerhaltstudien [
23,
24]; hier wurden jedoch die Tumorkategorien T2-T4 gemeinsam ausgewertet, sodass eine Aussage zu der spezifischen Kategorie T3 wie von Tang et al. vorausgesetzt nicht möglich ist. Klinische Kriterien von Seiten des Patienten (Alter, Allgemeinzustand, Komorbiditäten, spezifische Laborparameter, etc.) waren nicht Teil dieser Arbeit.
Die Kriterien für die Primärtumorklassifikation des Larynx haben sich im Laufe der verschiedenen Auflagen der TNM-Klassifikation (UICC wie auch AJCC) gewandelt. Dies gilt insbesondere für die Schildknorpelinfiltration. Bis 2002 war diese ein T4-Kriterium, danach aber nur noch eines für einen T3-Tumor; erst der Knorpeldurchbruch führt zur T4-Klassifikation. Da viele Studien über lange Zeiträume rekrutierten, während derer sich die Klassifikation änderte, musste zur korrekten Auswertung eine Reklassifizierung der T3/T4 erfolgen (vgl. [
36]). Kritisch ist auch die c‑Klassifikation aufgrund der Bildgebung, die ja im Falle der konservativen LP-Therapie nicht pathologisch verifiziert wird. Hierdurch kann es tendenziell zu einem Overstaging bei der konservativen Therapie kommen, insbesondere wenn schon bei „Verdacht auf“ Knorpelinfiltration in der Bildgebung ein T3 angenommen wird.
Die in dieser Arbeit genannte pRCT für den Organerhalt in den unterschiedlichen Studien ist kein einheitlicher Therapieansatz. In der S3-Leitlinie werden verschiedene Strahlentherapieschemata und ebenso unterschiedliche Chemotherapeutika zur Kombination genannt, z. B. Cisplatin, Carboplatin, Mitomycin, 5‑Fluorouracil und Docetaxel, die entweder synchron oder als Induktion eingesetzt werden können [
1]. Als Standardchemotherapeutikum zumindest für die simultane pRCT gilt Cisplatin.
Ob bei einem Patienten mit Chemotherapieunfähigkeit, z. B. bei Nierenfunktionsstörung, auch bei mittlerem Risiko nicht doch ein Larynxorganerhalt durchgeführt werden kann, hängt entscheidend davon ab, ob es eine zumindest annähernd gleichwertige Alternative für Cisplatin gibt. In erster Linie wird hier Cetuximab diskutiert. Der monoklonale Antikörper gegen den epidermalen Wachstumsfaktor zeigt zwar ein anderes Nebenwirkungsprofil als die Platinverbindung (Cetuximab: dermatotoxisch, i.S. eines akneiformen Hautausschlags; Cisplatin: hämatotoxisch, nephrotoxisch und gastrointestinal), sodass es auch bei eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt werden kann. In der S3-Leitlinie wird es als „beim Larynxkarzinom nicht vorrangig einzusetzen“ bezeichnet, da der Effekt in der Studie von Bonner et al. „relativ klein“ gewesen sei. Die Radioimmuntherapie (RIT) mit Cetuximab bewirkte in der Bonner-Studie beim Oropharynxkarzinom ein signifikant besseres Überleben als die alleinige pRT: Das mediane Überleben beim Oropharynxkarzinom lag bei > 66,0 vs. 30,3 Monaten (HR 0,62), beim Larynxkarzinom fand sich dagegen kein relevanter Unterschied (32,8 vs. 31,6 Monate; HR 0,87; [
40]). Dasselbe gilt für den Larynxerhalt nach 2 Jahren: Mit 87,9 vs. 85,7 % war der Unterschied klinisch nicht relevant (HR 0,57; 95 %-KI 0,23–1,42;
p = 0,22). Die Toxizität von Cetuximab hingegen kann erheblich sein und führte in einer italienischen Studie sogar zu mehr Studienabbrüchen und mehr Todesfällen als Cisplatin [
41]. Auch im Langzeitverlauf führte die RIT im Vergleich zur alleinigen pRT zu keinem signifikanten Unterschied für den Larynxorganerhalt oder das laryngektomiefreie Überleben [
42]. In der TREMPLIN-Studie (RIT mit Cetuximab vs. RCT mit Cisplain, beides nach Induktionschemotherapie [IC]) zeigte sich im RIT-Arm eine höhere Lokalrezidivrate als bei der RCT, und das Gesamtansprechen beider war nicht besser als für pRT alleine nach IC [
43‐
45]. Insgesamt stellt Cetuximab daher eher keinen geeigneten Ersatz für Cisplatin dar.
Die englische Leitlinie sieht zum Organerhalt beim T3-Larynxkarzinom grundsätzlich die pCRT vor [
46]. Im Falle einer Kontraindikation für den Chemotherapiezusatz aufgrund multipler Komorbiditäten, insbesondere einer eingeschränkten Nierenfunktion und reduzierten Allgemeinzustandes oder fortgeschrittenen Alters, wird die TL ± aRT empfohlen. Lin et al. fanden im Nordosten Englands beim T3-Larynxkarzinom ein signifikant schlechteres Überleben nach alleiniger pRT im Vergleich zur pCRT. Aufgrund dieser Erfahrung empfahlen die Autoren den Patienten die konkreten Überlebenszahlen vor Augen zu führen, um sie in der Entscheidung für die primäre TL zu motivieren: die 5‑Jahres-Überlebensrate nach alleiniger pRT lag bei 13 % im Vergleich zu 48 % nach pCRT [
47]. Allerdings kumulieren ohne Randomisierung bei den konservativ behandelten Patienten (insbesondere denen, die ohne Chemotherapie behandelt wurden) alte und multimorbide Patienten und nichtresektable Tumoren. Dieser Bias ist auch in unserer eigenen Kohortenstudie anzunehmen [
2].
Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit der recherchierten Literatur. Daher können die erarbeiteten Kriterien zur Therapieentscheidung nur mit Vorbehalt zu einer Behandlungsempfehlung führen. Sie stellen aber eine gute Grundlage zur „hypothesis generation“ für künftige prospektive Studien dar, in denen die vorgeschlagenen Auswahlkriterien validiert werden sollten.
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