Erschienen in:
01.12.2010 | ST-Hebungsinfarkt | Schwerpunkt/CME
Evidenzbasiertes Vorgehen beim ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI)
Neueste Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) 2010
verfasst von:
Prof. Dr. S. Silber, FACC, FESC
Erschienen in:
Herz
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Ausgabe 8/2010
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Zusammenfassung
Der akute Herzinfarkt und seine Folgen stehen unverändert an erster Stelle der Todesursachen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland. Hierbei haben Patienten mit einem ST-Strecken-Elevationsmyokardinfarkt (STEMI) das höchste Risiko. Die bei ihnen eingeleiteten Sofortmaßnahmen entscheiden oft über Leben und Tod. Im vorliegenden Beitrag werden die optimalen, auf dem Boden der neuesten Leitlinien empfohlenen Behandlungsstrategien in knapper, praxisorientierter Form dargestellt.
Grundsätzlich müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um zeitliche Verzögerungen zu minimieren. Hierzu ist ein Netzwerk Voraussetzung. Das Zeitintervall zwischen Symptombeginn bis zum ersten medizinischen Kontakt (EMK) hängt sowohl vom Patienten als auch von der Organisation des Rettungswesens ab. Die Minimierung dieser Zeitdifferenz erfordert einerseits eine breite Aufklärung der Bevölkerung, andererseits eine Optimierung des Rettungswesens. In Deutschland beträgt das durchschnittliche Zeitintervall zwischen Symptombeginn und EMK ca. 100 min und ist somit länger als in vielen anderen europäischen Ländern. Im Idealfall wird die Diagnose STEMI bereits vor Ort bei der sofortigen Registrierung eines EKG durch den Arzt oder Sanitäter gestellt. Das darauf folgende Zeitintervall (vom EMK bis zur Einleitung einer Revaskularisation) hängt ausschließlich von der Organisation des Rettungswesens und der Entfernung zum nächsten Krankenhaus mit einer 24-stündigen Bereitschaft zur Durchführung einer perkutanen Herzkatheterintervention („percutaneous coronary intervention“, PCI) ab. Als Erstes stellt sich die Frage, ob eine Koronarintervention (primäre PCI) innerhalb von 120 min nach dem EMK bzw. der EKG-Diagnose möglich ist oder nicht. Wenn ja, sollte das nächste Katheterlabor mit kontinuierlicher PCI-Bereitschaft direkt, d. h. unter Umgehung der Notaufnahme bzw. der Intensivstation, aber bei nicht eindeutiger Situation über eine Chest-Pain-Unit angefahren werden. In Deutschland beträgt das durchschnittliche Zeitintervall zwischen EMK und primärer PCI ca. 120 min und liegt somit exakt an der leitlinienorientierten Obergrenze. Falls eine primäre PCI nicht innerhalb von 2 h nach dem EMK möglich ist, muss rasch eine Thrombolyse eingeleitet werden. Allerdings stellt diese nicht die endgültige Therapie dar. Auch nach erfolgreicher Thrombolyse sollte eine Herzkatheterisierung in PCI-Bereitschaft im Intervall zwischen 3 und 24 h erfolgen.
Bei der medikamentösen Therapie steht die möglichst rasche Einleitung einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS, 500 mg i. v.) und einem Thienopyridinderivat an erster Stelle. Falls eine primäre PCI angestrebt wird, ist heute die Behandlung mit Prasugrel (Initialdosis 60 mg) der mit Clopidogrel (Initialdosis 600 mg) vorzuziehen. Falls Kontraindikationen gegen Prasugrel bestehen oder auf eine Thrombolyse ausgewichen werden muss, sollte die duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel erfolgen. Die Entscheidung für eine additive Therapie mit einem Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten sollte erst im Herzkatheterlabor und nur noch bei hoher thrombotischer Last fallen. Das klassische unfraktionierte Heparin (UFH, 5000 IE i.v.) wird nach wie vor bei STEMI empfohlen. Alternativ kann heute, entweder initial oder nach vorausgegangener Bolusgabe von unfraktioniertem Heparin, Bivalirudin verabreicht werden.
In jedem Falle sollte die duale Plättchenhemmung nach STEMI mit Prasugrel oder Clopidogrel für 1 Jahr durchgeführt werden – unabhängig davon, ob ein Koronarstent bzw. welche Art Stent (unbeschichtet oder Medikamente freisetzend) implantiert wurde. Mit der dualen Plättchenaggregationshemmung wird nicht der Stent, sondern der Patient nachbehandelt.