PFAS sind eine Gruppe von Industriechemikalien, die für die Herstellung von Oberflächenbeschichtungen mit wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften verwendet werden. Sie finden sich in einer Vielzahl von Gebrauchsgegenständen, so z. B. in Beschichtungen von Kochgeschirr und Textilien (Outdoor-Kleidung, Imprägnierungen von Auslegware und Möbelbezügen) und in Produkten der Papierindustrie (Backpapier, Kartons mit Antihaftbeschichtung, Hochglanzpapier). Auch weitere Produkte, wie z. B. Skiwachse, Imprägniersprays und Feuerlöschschäume können PFAS enthalten. Im Großteil dieser Produkte liegen PFAS in Polymeren fest gebunden vor, sodass man zunächst davon ausging, dass für Personen, die nicht berufsbedingt gegenüber PFAS exponiert sind, nur eine marginale Exposition besteht. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich PFAS dennoch zu globalen Kontaminanten in Wasser, Böden und Luft entwickelt und sind auch in menschlichen Blutproben nachweisbar [
1]. Hierfür ist die außerordentliche Stabilität der PFAS verantwortlich, die in der Chemie der starken kovalenten Kohlenstoff-Fluor-Bindung begründet ist und die gleichzeitig für die einzigartigen Materialeigenschaften, die von PFAS vermittelt werden, verantwortlich ist. Für diese Substanzgruppe gibt es daher bezüglich ihrer Persistenz kaum Vergleichbares und selbst ein marginaler Eintrag in die Umwelt führt über einen größeren Zeitraum in Verbindung mit der Mobilität der Stoffe zu ihrer globalen Verbreitung. Verstärkte Aufmerksamkeit schenkt man den Stoffen, seitdem bekannt wurde, dass in bestimmten Regionen, auch in Deutschland, PFAS durch die Ausbringung von Klärschlämmen bzw. Rückständen aus der Papierindustrie in Ackerflächen eingetragen wurden und sich daraufhin erhöhte Gehalte in Umweltmedien, Trinkwasser und Lebensmitteln fanden [
2].
Aufgrund dieser Beschränkungen ist die Industrie gezwungen, für ihre Anwendungen auf alternative Verbindungen auszuweichen. Dies sind u. a. kürzerkettige Homologe, wie z. B. Perfluorhexansäure (PFHxA) oder Perfluorbutansulfonsäure (PFBS) und Derivate wie z. B. GenX oder Adona, bei denen die fluorierte Kohlenstoffkette durch Sauerstoffatome unterbrochen ist (Abb.
1). Letztendlich handelt es sich bei all diesen Substituten aber auch um perfluorierte Verbindungen, die im Vergleich zu PFOA und PFOS aus toxikologischer Sicht zwar weniger bedenklich erscheinen, deren Einsatz aufgrund der vergleichbaren Persistenz in der Umwelt jedoch ebenfalls Grund zur Besorgnis gibt. Die Regulation kurzkettiger PFAS im Rahmen der Europäischen Chemikalienverordnung gestaltet sich u. a. deshalb schwierig, weil die Stoffe zum Teil nicht als solche zur Anwendung in Verbraucherprodukten hergestellt werden und daher nicht registriert werden müssen, sondern entweder im Herstellungsprozess anderer PFAS eine Rolle spielen oder erst durch Biotransformation von sog. Vorläuferstoffen entstehen. Die Gruppe der PFAS umfasst neben Perfluoralkylsäuren (PFAA) mit kürzeren und längeren perfluorierten Kohlenstoffketten auch Fluortelomeralkohole und Polymere [
3] sowie Vorläuferstoffe wie Fluortelomerphosphatester, -acrylate und -iodide sowie Perfluoralkylsulfonamide, die nach Biotransformation zu PFAA indirekt zur Exposition gegenüber PFAA beitragen können [
4].
Gefährdungspotenzial
PFAS werden gut resorbiert und reichern sich im Blutserum an, wo sie unspezifisch an Serumproteine wie z. B. Serumalbumin binden. Die Ausscheidung erfolgt über die Niere, wobei die Ausscheidung beim Menschen deutlich langsamer erfolgt als bei anderen Spezies (Tab.
1). Die Halbwertzeiten für PFOA und PFOS im Blut liegen beim Menschen im Bereich von 4 bis 6 Jahren. Hinsichtlich der Ausscheidung sind die kürzerkettigen Derivate im Vorteil; so beträgt die Halbwertzeit von z. B. PFHxA oder PFBS beim Menschen etwa einen Monat (Tab.
1).
Tab. 1
Halbwertzeiten
a von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen in Blut bei verschiedenen Spezies (Ergänzt nach [
5])
Ratte |
4,0 h
| 29 d | 62–71 d |
1,0–1,8 h
|
0,4–0,6 h
| – |
2–4 h
| 1,4 d |
Maus | – | 25–27 d | 31–38 d |
3 h
|
~1,2 h
| – | 17 d | 26–68 d |
Affe | 3,5 d | 87 d | 110 d | 1,7 d |
2,4–19,2 h
| – | 30 d | – |
Schwein | 43 d |
2 a
|
1,7 a
| – | 4,1 d | 74 d | 236 d | – |
Mensch | 28 d |
8,5 a
|
5,4 a
| 3 d | 32,0 d |
1,2–1,5 a
|
2,3–3,8 a
|
2,5–4,3 a
|
Literatur | | | | | | | | |
Hinsichtlich ihrer Toxizität sind vor allem PFOA und PFOS gut charakterisiert. Beide Substanzen zeigen eine geringe akute Toxizität, in subchronischen und chronischen Studien wurden jedoch diverse toxische Effekte mit zum Teil steilen Dosis-Wirkungs-Kurven beobachtet. Die wiederholte Gabe von PFOA bzw. PFOS führte im Tierversuch bei verschiedenen Spezies primär zu adversen Effekten in der Leber (hepatozelluläre Hypertrophie, Vakuolisierung) und der Schilddrüse sowie zu Veränderungen bei den Blutlipidspiegeln. In einer 2‑Jahres-Studie führte die wiederholte orale Gabe von PFOS bei Ratten zu einer erhöhten Inzidenz von Adenomen in Leber und Schilddrüse, bei PFOA wurden in einer vergleichbaren Studie vermehrt Adenome in Leber, Pankreas und Hoden festgestellt. Beide Substanzen werden als nicht genotoxische Kanzerogene bewertet. Außerdem zeigen PFOA und PFOS immuntoxische und reproduktionstoxische Effekte im Tierversuch [
8,
9]. Die wiederholte orale Gabe von PFOS führte bei trächtigen Ratten zu einer stark verminderten Anzahl lebensfähiger Nachkommen sowie zu einer verzögerten Entwicklung der Lebendgeborenen. Im Fall von PFOA wurden vergleichbare entwicklungstoxische Effekte beobachtet. Bei Mäusen war unter PFOA-Behandlung vor allem die ungewöhnliche Resorption sämtlicher Embryonen oder Föten eines Wurfes während der Schwangerschaft („full litter resorptions“) auffällig [
10]. Auch in epidemiologischen Studien, die zum Teil an sehr großen Kohorten durchgeführt wurden, die über das Trinkwasser gegenüber PFAS exponiert waren, werden Zusammenhänge zwischen der Höhe der Gehalte der Stoffe im menschlichen Körper und der Fertilität, den Geburtsgewichten von Neugeborenen, dem Fettstoffwechsel, den Schilddrüsenhormonen, dem Immunsystem und der hormonellen Entwicklung berichtet [
8,
11,
12].
Gesundheitsbezogene Leitwerte, beispielsweise für die tolerierbare tägliche Aufnahme (TDI), wurden von internationalen Gremien bisher nur für PFOS und PFOA abgeleitet. Der TDI gibt die tägliche Dosis an, die bei lebenslanger Aufnahme keine gesundheitlichen Wirkungen beim Menschen erwarten lässt. In Abhängigkeit davon, welcher Ansatz zum Umgang mit den toxikokinetischen Speziesunterschieden gewählt wird und ob die toxikologische Bewertung auf Ergebnissen aus Tierversuchen oder auf epidemiologischen Studien basiert, fallen die Resultate der Ableitungen unterschiedlich aus. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) publizierte im Jahr 2008 TDI-Werte von 0,15 µg/kg Körpergewicht (KG) pro Tag für PFOS und 1,5 µg/kg KG pro Tag für PFOA basierend auf Ergebnissen aus Tierversuchen [
13]. Andere Gremien leiteten später unter Verwendung anderer toxikokinetischer Modelle [
8,
12,
14,
15] deutlich niedrigere gesundheitsbezogene Leitwerte für PFOS (z. B. 0,03 µg/kg KG pro Tag; [
8]) und PFOA (z. B. 0,02 µg/kg KG pro Tag; [
8]) ab. Basierend auf epidemiologischen Studien abgeleitete Beurteilungswerte für PFOS und PFOA im Blutplasma liegen bei 2 µg PFOA/l und 5 µg PFOS/l [
12]. Auch die gesundheitliche Bewertung durch die EFSA aus dem Jahr 2008 [
13] befindet sich derzeit in Überarbeitung, die voraussichtlich im Jahr 2017 abgeschlossen wird.
Verbraucher sind in der Regel einer Exposition gegenüber verschiedenen PFAS ausgesetzt, die zum Teil ähnliche Wirkungen bzw. Wirkmechanismen besitzen. Eine gesundheitliche Bewertung der Mischexposition wäre daher wünschenswert, wurde aber aufgrund der Vielfalt der infrage kommenden Verbindungen, toxikologischen Endpunkte und der Wirkmechanismen bisher in keinem Bewertungsansatz realisiert.
Auf molekularer Ebene werden die lebertoxischen Effekte von PFOA und PFOS in erster Linie mit einer Aktivierung des Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptors alpha (PPARα) erklärt. PPARα ist ein Transkriptionsfaktor, der in der Leber vor allem an der Regulation des Fettsäuremetabolismus beteiligt ist. Es ist bekannt, dass PPARα-Agonisten in Nagern zu den oben genannten lebertoxischen Effekten führen, wohingegen die menschliche Leber weitaus weniger empfindlich gegenüber PPARα-Agonisten reagiert, sodass die PFOA-/PFOS-vermittelte PPARα-Aktivierung nicht als humanrelevant angesehen wird. Verschiedene Studien belegen jedoch, dass diese Substanzen nicht nur PPARα sondern auch weitere wichtige Transkriptionsfaktoren stimulieren, so z. B. PPARγ, der analog zu PPARα den Fettsäuremetabolismus in Fettgewebe reguliert, oder die beiden Transkriptionsfaktoren Pregnan-X-Rezeptor (PXR) und konstitutiver Androstan-Rezeptor (CAR), die am Fremdstoffmetabolismus beteiligt sind [
16]. Jüngere Studien zeigen, dass PFOA und PFOS die Aktivität des Hepatozyten-nukleären Faktors 4 alpha (HNF4α) inhibieren [
17]. HNF4α ist ein wichtiger Transkriptionsfaktor, der an der Regulation von etwa 40 % aller Gene in der Leber beteiligt ist. Für PFOA und PFOS werden darüber hinaus auch endokrine Effekte diskutiert, die für die beobachtete Reproduktions- und Entwicklungstoxizität der Substanzen ursächlich sein könnten. Verschiedene Studien belegen eine Interaktion von PFOA und PFOS mit den Steroidhormonrezeptoren Estrogenrezeptor alpha (ERα), Estrogenrezeptor beta (ERβ) und Androgenrezeptor (AR) sowie Auswirkungen auf die Steroidbiosynthese und damit auf die Östrogen- und Testosteronblutspiegel [
18].
Im Vergleich zu PFOA und PFOS sind deren kürzerkettige Derivate weniger gut charakterisiert. In subchronischen und chronischen Tierstudien zeigten z. B. PFHxA oder PFBS vergleichbare adverse Effekte – in Bezug auf die Hepatotoxizität und die Reproduktionstoxizität – wie PFOA und PFOS, jedoch waren hierfür deutlich höhere Dosen erforderlich [
11]. Der No-observed-adverse-effect-Level (NOAEL) für die Lebereffekte in der Ratte beträgt für PFOS 0,15 mg/kg KG pro Tag und für PFOA 0,06 mg/kg KG pro Tag [
8,
13], für PFHxA 10 mg/kg KG pro Tag [
19], für PFBA 6 mg/kg KG pro Tag [
11] und für PFBS 100 mg/kg KG pro Tag [
11]. Die entsprechenden NOAEL der Substitute der zweiten Generation (GenX, Adona) sind ebenfalls höher als der Wert von PFOA [
11,
20]. Molekulare Untersuchungen belegen, dass die kürzerkettigen PFAS die gleichen Wirkmechanismen aufweisen wie PFOA und PFOS, so z. B. hinsichtlich der Aktivierung von PPARα, jedoch sind auch hier deutlich höhere Konzentrationen erforderlich, um vergleichbare Effekte zu erzielen [
21,
22].
Exposition
Der Mensch nimmt PFAS in erster Linie über Trinkwasser, Lebensmittel und in geringerem Ausmaß auch über Hausstaub auf. PFAS sind sowohl in pflanzlichen als auch in tierischen Lebensmitteln nachweisbar. Im größten Teil der Proben der meisten Lebensmittelgruppen liegen die Gehalte an PFAS jedoch unterhalb der analytischen Nachweisgrenzen [
23].
Schätzungen der Aufnahmemengen an PFAS über Lebensmittel beruhten zunächst auf Gehaltsmessungen in einer relativ schmalen Auswahl an Lebensmitteln, nämlich in erster Linie Trinkwasser und Fisch. Mittlerweile werden Daten zu Gehalten an PFAS in Lebensmitteln in Deutschland im Rahmen des Lebensmittelmonitorings der Bundesländer erhoben. Die Schätzung der täglichen Gesamtexposition beläuft sich laut EFSA (2012) auf maximal 5,2–10,0 ng PFOS und 4,3–7,7 ng PFOA pro kg KG [
23]. Die Exposition gegenüber weiteren PFAS liegt nach dieser Expositionsschätzung im Bereich weniger ng/kg KG.
Ergebnisse des von der EU geförderten Forschungsprojekts Perfluorierte organische Verbindungen in unserer Ernährung (PERFOOD) zeigen, dass unterschiedliche Lebensmittelgruppen zur Exposition gegenüber verschiedenen PFAS beitragen [
24]. Als relevant sind nach wie vor Trinkwasser, Fisch und Meeresfrüchte anzusehen. Auch weitere tierische Produkte, insbesondere Innereien, und pflanzliche Lebensmittel können messbare Gehalte an PFAS aufweisen. Die Gesamtexposition in 4 europäischen Regionen durch PFAS wurde in dem Projekt auf unter 1–4 ng/kg KG pro Tag geschätzt [
24].
Fütterungsstudien zum Übergang von PFAS aus dem Futtermittel in die vom Tier gewonnenen Lebensmittel zeigen große Unterschiede in den Gehalten an PFAS in den untersuchten Lebensmitteln tierischen Ursprungs in Abhängigkeit von der Tierspezies, der Art des Lebensmittels (Kuhmilch, Hühnerei und Schweinefleisch) und der chemischen Struktur der im Futter enthaltenen PFAA. Bei Rindern geht beispielsweise nur ein geringer Anteil der aufgenommenen PFAA in die Milch über, während Hühner mit dem Ei einen deutlich größeren Anteil der aufgenommenen PFAA ausscheiden. Bei Schweinen ist die Verweildauer der PFAA im Körper im Vergleich zu anderen Tierspezies deutlich länger und liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie beim Menschen (Tab.
1; [
6,
8,
25]).
Risikocharakterisierung und Fazit
Die Aufnahmemengen an PFOS und PFOA über Lebensmittel, die die aktuellen Expositionsschätzungen für Verbraucher in Europa bzw. Deutschland ergeben [
23,
24,
26], überschreiten die bisherigen gesundheitlichen Leitwerte der EFSA nicht [
13]. Kürzlich abgeleitete Beurteilungswerte für PFOS und PFOA im Blutplasma können hingegen in der Allgemeinbevölkerung überschritten werden [
12,
20,
27]. Aus toxikologischer Sicht sind kurzkettige PFAA weniger bedenklich als PFOA und PFOS, da sie zum einen deutlich schneller ausgeschieden werden und zum anderen für die bisher betrachteten toxikologischen Endpunkte bei Nagern ein geringeres toxikologisches Potenzial aufweisen. Da sie jedoch ebenso wie die langkettigen PFAA persistent in der Umwelt sind und zudem besser wasserlöslich und somit mobiler sind, kann eine erhöhte Verbraucherexposition aufgrund von Umwelteinträgen durch Produktion und Endlagerung resultieren, wenn diese Verbindungen in Zukunft verstärkt als Alternativstoffe in der Produktherstellung eingesetzt werden. Die Persistenz der gesamten Stoffgruppe ist darüber hinaus ein Hauptargument, Einträge von PFAS in die Umwelt soweit es geht zu vermeiden. Das Ziel sollte es sein, fluorfreie und damit echte Alternativen zu PFAS zu entwickeln, damit in Zukunft auf die Produktion von PFAS und die Nutzung von PFAS-haltigen Produkten nach Möglichkeit weltweit verzichtet werden kann.