Lernziele
- kennen Sie die wissenschaftlichen Hintergründe zu Stillen und Muttermilchernährung.
- verstehen Sie die Situationen rund ums Stillen und können sowohl stillende wie auch nichtstillende Mütter/Eltern informieren und beraten.
- verstehen Sie die physiologischen Verhaltensmuster von Säuglingen und ziehen die korrekten Schlüsse und Empfehlungen daraus.
- erkennen Sie an, dass Stillen, Muttermilchernährung und Formulanahrung (Säuglingsfertignahrung auf Kuhmilchbasis) nicht gleichwertig sind und können kompetent darüber informieren.
- können Sie fundiert über Kurz- und Langzeitauswirkungen von Stillen auf kindliche und mütterliche Gesundheit aufklären.
Einleitung
Muttermilch – ein Traumprodukt
Stadium | Dauer | Was passiert? | Steuerung | Inhalt |
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Laktogenese I | Mitte der Schwangerschaft bis zum 2. Tag post partum | Differenzierung der Alveolarzellen von Epithel- zu sekretorischen Zellen | Endokrin | Kolostrum |
Laktogenese II | 3.–8. Tag post partum | Beginn der reichlichen Milchbildung (Milcheinschuss) | Endokrin | „Transitorische Muttermilch“ |
Laktogenese III (Galaktopoese) | Ab Tag 9 post partum | Phase der Laktationserhaltung | Autokrin | „Reife Muttermilch“ |
Abstillen/Entwöhnung | Beginnt mit der Einführung von zusätzlicher Nahrung | In der Abstillzeit tritt die immunologische Komponente der Muttermilch wieder mehr in den Vordergrund: ähnlich wie beim Kolostrum ist die Konzentration von Immunglobulinen (IgA), Lysozym und Laktoferrin höher | Autokrin | Eiweißkonzentration steigt |
Involution | Circa 40 Tage nach dem Abstillen | Rückbildung des Drüsengewebes | – | – |
Kolostrum
Reife Muttermilch
Einfluss der Ernährung der Mutter
Physiologie der Laktation
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Das Saugen des Kindes an der Brust stimuliert die Ausschüttung von Prolaktin (und Oxytozin).
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Es spielt gemeinsam mit der Entleerung der Brust die maßgebliche Rolle für die Milchmenge sowie die Etablierung und Aufrechterhaltung der Laktation.
Referenz | ||
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Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) | Stillen ohne Zufütterung ist für fast alle Säuglinge in den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten die angemessene Ernährung. Auch kürzeres Stillen oder teilweises Stillen mit Zufütterung von Säuglingsanfangsnahrung ist sinnvoll | [26] |
Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) | Je nach individueller Entwicklung des Kindes soll um den 6. Lebensmonat, nicht vor Beginn des 5. Monats (17 Lebenswochen) bzw. nach Ende des 6. Monats (26 Lebenswochen) mit Beikost begonnen werden. Auch wenn das Baby Beikost bekommt, soll weitergestillt werden, solange Mutter und Kind es wollen | |
Ernährungskommission der Schweizer Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) | … schließt sich den Empfehlungen der ESPGHAN-Ernährungskommission an und empfiehlt eine individuell angepasste Einführung der Beikost frühestens im 5. und spätestens im 7. Lebensmonat sowie Stillen nach Einführen der Beikost so lange weiterzuführen, wie Mutter und Kind dies möchten | [29] |
World Health Organisation (WHO) | Ausschließliches Stillen während der ersten 6 Monate, d. h. keine andere Nahrung oder Flüssigkeit, danach neben geeigneter Beikost bis zum Ende des 2. Lebensjahres und darüber hinaus | [30] |
American Academy of Pediatrics (AAP) | „Exclusive breastfeeding for about 6 months, followed by continued breastfeeding as complementary foods are introduced, with continuation of breastfeeding for 1 year or longer as mutually desired by mother and infant“ | [13] |
European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition (ESPGHAN) | Ausschließliches Stillen während der ersten 6 Monate ist ein wünschenswertes Ziel, aber auch teilweises Stillen oder kürzeres ausschließliches Stillen sind wertvoll | [31] |
Physiologische Verhaltensmuster des Säuglings
- „clusterfeeding“ oder „Lagerfeuerstillen“,
- Stillfrequenzen,
- Schlafverhalten des Säuglings,
- Entwicklungsschübe,
- Saugverhalten des Säuglings.
Bausteine des guten Stillbeginns
„Bonding – self-attachment“
Anlegen und intuitives Stillen
Stillfrequenzen und -menge, Clusterfeeding
Nutritives und nonnutritives Saugen
Schlafverhalten
Entwicklungsschübe (früher Wachstumsschübe)
Stillschwierigkeiten/Gründe für vorzeitiges Abstillen
Empfundener Milchmangel – Gedeihen des Kindes
Probleme mit der laktierenden Brust – Schmerzen beim Stillen, wunde Mamillen, Milchstau, Mastitis
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Rasches Beantworten von Fragen und entsprechende Begleitung ermöglichen die erfolgreiche Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind und beugen unfreiwilligem Abstillen vor.
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Das rechtzeitige Hinweisen auf bzw. Hinzuziehen einer StillberaterIn („international board certified lactation consultant“, IBCLC) ist sinnvoll.
Medikamente in der Stillzeit
- Stillende Frauen können krank werden. Eine stillende Mutter muss bei Bedarf medikamentös behandelt werden.
- Nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen erwägen.
- Es sollen Medikamente ausgewählt werden, mit denen es schon ausreichend Erfahrungen gibt („alte Bekannte“ anstatt neuerer Medikamente).
- Soweit möglich, soll eine Monotherapie angestrebt werden.
- Eine notwendige (Langzeit‑)Therapie darf nicht abgesetzt werden.
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Abstillen bei Medikamenteneinnahme der stillenden Mutter ist nur in Ausnahmefällen erforderlich.
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Praktisch für alle Indikationen gibt es sichere und stillverträgliche Medikamente.
Kurz- und Langzeitauswirkungen des Stillens auf kindliche und mütterliche Gesundheit
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Stillen hat sowohl unmittelbare wie auch nachhaltige Effekte auf die kindliche und mütterliche Gesundheit; körperlich und psychisch. Es stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind.
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Stillen reduziert nicht nur die Sterblichkeit von Müttern und Kindern, es verhindert Erkrankungen und hinterlässt keinen negativen ökologischen Abdruck.
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Stillen spielt nicht nur für das Individuum eine Rolle, sondern auch für die Umwelt und die Wirtschaft.
Weiterführende Informationen
Europäisches Institut für Laktation und Stillen (EISL) | |
Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) | |
European Lactation Consultants Alliance (ELACTA) | |
Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC (BDL) | |
Verband der Still- und LaktationsberaterInnen Österreichs IBCLC (VSLÖ) | |
Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) | |
Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) | |
Baby Friendly Hospital Initiative (BFHI) | |
World Health Organisation (WHO) |
Fazit für die Praxis
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Stillen hat sowohl unmittelbare wie auch nachhaltige Effekte auf die kindliche und mütterliche Gesundheit, körperlich und psychisch. Es stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind.
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Stillen reduziert das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko von Müttern und Kindern, es verhindert Erkrankungen und hinterlässt keinen negativen ökologischen Abdruck.
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Stillen spielt nicht nur für das Individuum eine Rolle, sondern auch für die Umwelt und die Wirtschaft.
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Die Etablierung der Milchbildung erfolgt durch regelmäßiges Anlegen (Stillen) des Säuglings mindestens 10- bis 12-mal/Tag (24 h) vom ersten Tag an.
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Die physiologischen Verhaltensmuster des Säuglings zu kennen, ist essenziell, um nicht vorschnell die (meist nicht korrekte) Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Mutter „zu wenig Milch“ hat.
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In Bezug auf die Zusammensetzung der Nährstoffe und deren Verhältnis zueinander ist Muttermilch äußerst stabil und kann durch die Ernährung der Mutter nur in vergleichsweise geringem Maß beeinflusst werden, letzteres gilt aber für einige kritische Inhaltsstoffe wie beispielsweise Vitamin D, B12, und Jod.
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Stillen ist auch bei Medikamenteneinnahme der stillenden Mutter möglich, da es für praktisch alle Indikationen sichere und stillverträgliche Medikamente gibt.