Erschienen in:
01.11.2013 | Übersichten
Kollektive Gewalt
Neurobiologische, psychosoziale und gesellschaftliche Bedingungen
verfasst von:
Prof. Dr. A.M. Möller-Leimkühler, B. Bogerts
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 11/2013
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Zusammenfassung
Kollektive Gewalt ist ein nicht selten auftretendes, von normalpsychologischem Verhalten abweichendes Phänomen, das trotz seiner häufig verheerenden Auswirkungen von der Psychiatrie bisher ebenso wenig beachtet worden ist wie individuelle Gewalt. Physische Gewalt ist nicht nur ein individuelles, überwiegend männliches Phänomen, sondern äußert sich vor allem als kollektive Gewalt von Männern in vielfältigen Formen. Angesichts der Fülle von Theorien und Befunden zur kollektiven Gewalt beschränkt sich der vorliegende Beitrag darauf, einige von den Autoren als wesentlich erachtete soziologische und neurobiologische Aspekte kollektiver Gewalt als Gruppen- und Intergruppenphänomen im Sinne eines interdisziplinären Ansatzes zusammenzuführen. Fokussiert wird dabei auf den Zusammenhang phylogenetisch herleitbarer Disposition zu kollektiv gewalttätigem Verhalten und Männlichkeitskonstruktionen, auf die potenzielle Bedeutung neuronaler Mechanismen, wobei den sog. Spiegelneuronen eine besondere Bedeutung für gleichgerichtetes soziales Verhalten beigemessen wird sowie auf die Bedeutung sozialstruktureller Faktoren für den Anschluss junger Männer an gewaltaffine Gruppen. Intergruppenprozesse wie die Überbewertung der eigenen und die Abwertung der fremden Gruppe sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, durch die männlicher Selbstwert stabilisiert und Gewalt legitimiert, normalisiert und internalisiert wird. Die Abkehr von einer Mythologisierung, Biologisierung oder Banalisierung von Gewalt erfordert transdisziplinäre Ansätze, die auf verschiedenen Ebenen der Gewaltprävention umgesetzt werden müssen und einer Kultur der gewaltfreien Konfliktbearbeitung verpflichtet sind.