Die Behandlung erster Wahl besteht nach den gegenwärtigen Richtlinien und Erkenntnissen in einer individuellen traumafokussierten Therapie. Aktuelle Metaanalysen von Behandlungsstudien mit Flüchtlingen bestätigen die Effektivität traumafokussierter Psychotherapie [
20] auch für Kinder und Jugendliche [
6,
12]. Eine Möglichkeit bietet die NET, wie sie von uns insbesondere für Erwachsene [
34] sowie Kinder und Jugendliche [
30], die wiederholt unterschiedliche traumatische Stressoren erfahren mussten, entwickelt wurde. Während der Therapie rekonstruieren Therapeut und Patient gemeinsam die Lebensgeschichte des Überlebenden, wobei auf die emotional stark erregenden – positiven wie negativen – Erinnerungen fokussiert wird.
Therapieablauf
Sollte einer Exposition eine ausführliche Stabilisierung vorausgeschaltet werden? Bei der NET ist – wie im Folgenden ausgeführt – eine ganze Reihe stabilisierender Maßnahmen in Rahmenbedingungen und Therapieverlauf integriert, wobei interessanterweise sogar die Narration selbst zu erleichterter Emotionsregulation führt, was allerdings schon aufgrund der Arbeiten Pennebakers zu erwarten war.
Vor Beginn der Intervention wird die Person eingeladen, mittels einer Checklist belastende Lebenserfahrungen und mithilfe eines strukturierten Interviews traumarelevante Symptome zu benennen (Diagnostik inkl. Abklärung von Suizidalität und Fremdverletzung und ggf. sichernde Maßnahmen). Am Ende dieser Sitzung steht eine auf den individuellen Menschen und seine spezifischen Erlebnisse zugeschnittene detaillierte Aufklärung und Psychoedukation.
In der folgenden Sitzung werden mithilfe der „lifeline“ mit einfachen Symbolen die Lebensereignisse dargestellt [
32]. Blumen repräsentieren wichtige positive Erlebnisse (Ressourcen), Steine symbolisieren negative und traumatische Ereignisse sowie Verlust.
Die Lebenslinie bildet die Grundlage für die anschließende chronologische Rekonstruktion der Lebensgeschichte als Erzählung, welche den Kern der NET darstellt. Dabei werden die oft bruchstückhaften Traumaerinnerungen und die damit verbundenen Erlebnisebenen (Emotionen, Kognitionen, Körperwahrnehmungen, Sinneseindrücke) und deren Bedeutungen zu einer kohärenten Narration zusammengeführt. Das detaillierte Erzählen der Traumaerinnerungen („Exposition“) führt zu einer Reduktion der Angstreaktionen, zu einer Vergeschichtlichung der Ereignisse und zur psychischen Integration.
Grundvoraussetzung ist die verbale Kodierung des Erlebens
Ein entscheidender Wirkfaktor liegt in der Rehabilitation des Gedächtnisses. Der traumatisierte Mensch lernt, die Reize und den Kontext im „Hier und Jetzt“ vom „Damals“ zu diskriminieren über die narrative Einbettung des Traumakontextes und über Verfahren, die den Vergleich der Reizkonfiguration und der Kontexte unterstützen. Grundvoraussetzung dieses Diskriminationslernens ist die verbale Kodierung des Erlebens, dies erfordert auch die differenzierte Wahrnehmung, Beschreibung und Benennung sensorischer, physiologischer und emotionaler Zustände. Bei Dissoziationsneigung setzt der Therapeut antidissoziative Orientierungsübungen in der Gegenwart ein wie das Kontrastieren der Sinnesempfindungen oder erdende Übungen.
Bei der NET werden körperliche wie auch soziale Traumatisierungen bearbeitet. Deshalb muss in der Therapiesituation eine so „gut wie möglich“ körperliche und soziale Sicherheit erreicht werden. Dies erfordert einen Therapeuten mit Bereitschaft zu echtem Mitgefühl und Kongruenz im Kontakt. Wie in jeder anderen Traumatherapie werden bei der NET sorgfältig Behandlungsvoraussetzungen geschaffen wie etwa äußere Stabilität oder geeignete Umgebungsbedingungen oder auch die unterstützende Rolle der Eltern bei Kindern, Transparenz und Zuverlässigkeit [
30,
32,
34].
Es liegen bisher keine Befunde vor, die als Voraussetzung der NET vorab Übungen zur Emotionsregulation verlangen oder die Beherrschung von Techniken voraussetzen wie Selbstberuhigung, Entspannung, aktive Dissoziation. Nötig sind auch keine vorab antrainierten imaginativen Vermeidungsübungen, Symptombewältigungsfertigkeiten, Ablenkungsfertigkeiten oder Selbstmanagementstrategien/Skills. Außer der entsprechenden Indikationsstellung
1 gibt es keine speziellen Vorübungen oder Voraussetzungen, die der Traumaüberlebende an psychotherapeutischem Können erfüllen muss.
Belegt durch tausende mit NET behandelte Personen gehen wir davon aus, dass jeder Mensch grundsätzlich dafür qualifiziert ist, über seine eigene Lebensgeschichte nachzudenken und sie einem einfühlsamen, interessierten Zuhörer zu berichten. Der Therapeut ist zudem ausgebildet, sachgerecht an den entsprechenden Stellen eine an Ort und Zeit angebundene Erinnerung des traumatischen Geschehens einschließlich der damaligen Gedanken und Gefühle durchzuführen, den mündlichen Bericht zu verschriftlichen und in der jeweils folgenden Sitzung die autobiographische Erzählung zur erneuten Überarbeitung vorzutragen. Am Ende der Narration unterschreiben die Zuhörer und Zeugen das Testimony (Erzähler, Therapeut und Dolmetscher sowie evt. Beisitzer).
Nach Abschluss der narrativen Exposition können zukunftsgerichtete Strategien zum Einsatz kommen (wie z. B. Vermeidung von Reviktimisierung, Verhaltenstrainings) oder andere Behandlungsmodule die Genesung ergänzen. Gemeinsam reduzieren diese Wirkmechanismen die Stärke und Häufigkeit des intrusiven Wiedererlebens der traumatischen Ereignisse, Ermöglichen in der empathisch-validierenden Erzählsituation korrigierende Beziehungserfahrungen und Erlauben die Wiedererlangung von personaler Würde [
34,
35].
Die Effektivität der NET ist belegt
Der skizzierte Therapieansatz erwies sich in einer Reihe randomisiert-kontrollierter Studien als effektiver Behandlungsansatz für Überlebende multipler traumatischer Ereignisse, insbesondere in Flüchtlingspopulationen [
17]. Neben der effektiven Therapie traumatisierter Überlebender von Krieg und Folter durch Experten z. B. in Deutschland [
13,
24] oder Norwegen [
39] konnte in randomisiert-kontrollierten Studien ebenfalls eine effektive Behandlung durch lokale Laientherapeuten in den Kriegs- und Krisengebieten selbst gezeigt werden, wobei die NET sich als robustes Verfahren erwies [
4,
7,
25].
Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das Trainieren lokaler Therapeuten selbstverständlich nur ein erster
Schritt. Langfristig sollten in Krisenregionen auch Ressourcen zur weiteren Dissemination effektiver Psychotherapie
aufgebaut werden, mit Kompetenzzentren, welche Wissen strukturieren und disseminieren können. In mehreren Studien
konnte gezeigt werden, dass lokale Therapeuten selbst zu Trainern und Supervisoren ausgebildet werden können und die
von ihnen ausgebildeten Therapeuten mindestens ebenso effektive Behandlungen durchführen können [
15,
18]. Positive Erfahrungen mit der
Ausbildung von Traumaberatern wurden nicht nur von
vivo international
(
www.vivo.org) gesammelt. Auch andere Verfahren, wie die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie konnte in Krisenregionen bereits erfolgreich von trainierten lokalen Therapeuten angewendet werden [
22,
27].