Einleitung
Methoden
Empfehlungen zur MOG-IgG-Testung
1. Monophasische oder rezidivierende akute Optikusneuritis, Myelitis, Hirnstammenzephalitis oder Enzephalitis oder jedwede Kombination dieser Syndrome |
und
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2. radiologische oder – nur bei Patienten mit Optikusneuritis – elektrophysiologische (VEP) Befunde, die mit einer demyelinisierenden Erkrankung des ZNS vereinbar sind |
und
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3. mindestens einer der folgenden Befunde: |
MRT
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a. Longitudinal extensive Rückenmarksläsion (≥3 WKS, zusammenhängend) im MRT (sog. LETM)a,b |
b. Longitudinal ausgedehnte Rückenmarksatrophie (≥3 WKS, zusammenhängend) im MRT bei Patienten mit einem Ereignis in der Vorgeschichte, das mit einer akuten Myelitis vereinbar ist |
c. Conus-medullaris-Läsion, insbesondere wenn sie zu Beginn vorhanden istc |
d. Longitudinal ausgedehnte Läsion des Sehnerven (z. B. >1/2 der Länge zwischen Sehnervkopf und Chiasma, T2 oder T1/Gd)d |
e. Perioptisches Gd-Enhancement während akuter ONe |
f. Normales supratentoriales MRT bei Patienten mit akuter ON und/oder Myelitis und/oder Hirnstammenzephalitis |
g. Hirn-MRT zeigt Läsionen, aber keine periventrikuläre Läsion, die ovoid/rund ist oder mit einer inferioren Temporallappenläsion assoziiert ist, keine Dawson-Finger-artige Läsion und keine juxtakortikale U‑Faser-Läsion (Matthews-Jurynczyk-Kriterienf) |
h. Große, konfluierende T2-Läsion, auf ADEM hinweisend |
Fundoskopie
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i. Prominente(s) Papillenödem/Papillitis bei akuter ON |
CSF
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j. Neutrophile CSF-Pleozytoseg oder Zellzahl im Liquor >50/µlh |
k. Fehlen von liquorspezifischen OKB, egal ob bei Erst- oder Repunktioni (gilt nur für kontinentaleuropäische Patienten) |
Histopathologie
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l. Primäre Demyelinisierung mit intraläsionalen Komplement- und IgG-Ablagerungen |
m. Frühere Diagnose einer „Pattern-II-MS“j |
Klinische Präsentation
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n. Simultane bilaterale akute ON |
o. Ungewöhnlich hohe ON-Schubfrequenz oder Erkrankung hauptsächlich durch rekurrierende ON gekennzeichnet |
p. Besonders schweres Visusdefizit/Erblindung in einem oder beiden Augen während oder nach akutem Schub |
q. Besonders schwere oder häufige Episoden von akuter Myelitis oder Hirnstammenzephalitis |
r. Persistierende Sphinkter- und/oder Erektionsstörung nach Myelitis |
s. Patienten, bei denen die Diagnose einer „ADEM“, „rezidivierenden ADEM“, „multiphasischen ADEM“ oder „ADEM-ON“ gestellt wurde |
t. Akute respiratorische Insuffizienz, Bewusstseinsstörung, Verhaltensänderungen oder epileptische Anfälle (radiologische Anzeichen einer Demyelinisierung erforderlich!) |
u. Erkrankungsbeginn innerhalb von 4 Tagen bis etwa 4 Wochen nach einer Impfung |
v. Ätiologisch unklare, therapierefraktäre persistierende Übelkeit mit Erbrechen oder hartnäckiger Schluckauf (kompatibel mit Area-postrema-Syndrom)a |
w. Gleichzeitiges Vorliegen von Teratom oder NMDAR-Enzephalitis (niedrige Evidenzk) |
Ansprechen auf Immuntherapie
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x. Häufiges Wiederaufflammen der Schubsymptome nach Ende der IVMP-Therapie oder steroidabhängige Symptomel (einschließlich CRION) |
y. Deutliche Zunahme der Schubrate nach Behandlung mit Interferon-β oder Natalizumab bei Patienten mit (vermuteter) MS (niedrige Evidenz) |
Beispiel 1
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35-jährige Frau, die sich mit bilateraler akuter ON vorstellt. Vorübergehende beidseitige Erblindung; Fundoskopie zeigt Papillenödem; Lumbalpunktion erbringt Nachweis einer lymphomonozytären Pleozytose mit 10 % Neutrophilen und negativen OKB; kraniales MRT bis auf Optikusläsion mit perioptischer Gd-Anreicherung unauffällig; Wiederaufflackern der Beschwerden nach Ausschleichen der oralen Steroidbehandlung; später rezidivierende Attacken, Stabilisierung unter Rituximab |
Beispiel 2
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40-jährige Frau, zwei Episoden akuter, OKB-negativer Myelitis. Spinales MRT zeigt während der ersten Episode eine isolierte kurze Rückenmarksläsion und eine longitudinal extensive Rückenmarksläsion während der zweiten Episode; kraniales MRT auffällig, aber keine Dawson-Finger-artigen Läsionen, keine juxtakortikalen U‑Faser-Läsionen und keine Läsionen, die in Nachbarschaft zu den Ventrikeln liegen und entweder ovoid/rund oder mit einer inferioren Temporallappenläsion assoziiert sind [30, 39]; Aufflackern von Myelitissymptomen nach Absetzen der intravenösen Steroidbehandlung, gutes Ansprechen auf PEX |
Beispiel 3
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Junger Mann, in der Vergangenheit „OKB-negative RRMS“ diagnostiziert. Überwiegend ON- und Myelitis-Attacken; Konusläsion mit schwerer erektiler und Sphinkterstörung nach erster Myelitis; longitudinal extensive Sehnervenläsion mit Beteiligung des Chiasma opticum; Erhöhung der Schubrate unter Behandlung mit Interferon-β, aber Stabilisierung unter Rituximab |
Beispiel 4
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42-jährige Frau, die sich mit unvollständiger, schmerzhafter Tetraparese vorstellt. Frühere Diagnose „RRMS“; positive OKB. Spinales MRT zeigt eine zusammenhängende Läsion von C3 bis T1; negative Serologie für AQP4-IgG |
Beispiel 5
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ADEM-ähnliche Präsentation mit großen Läsionen der weißen Substanz und Bewusstseinsstörung, Hirnstammläsionen und Beteiligung des gesamten Rückenmarks bei einer 25 Jahre alten Frau; Beginn 3 Wochen nach einer Impfung |
Beispiel 6
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39-jähriger Mann mit simultaner unilateraler ON und LETM mit Fortsetzung in die Medulla oblongata. Liquorpleozytose (90 Zellen/μl) mit 5 % Neutrophilen; keine CSF-restringierten OKB; negativer AQP4-IgG-Serostatus |
Beispiel 7
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Junge Frau, die sich mit rezidivierender und steroidabhängiger isolierter ON vorstellt, die bislang als „CRION“ klassifiziert wurde; normales MRT des Gehirns |
Beispiel 8
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Junger Mann mit akuter Enzephalitis und epileptischen Anfällen. Das kraniale MRT zeigt kortikale sowie subkortikale Läsionen der weißen Substanz; gutes Ansprechen auf Steroide; kein Hinweis auf virale und autoimmune Enzephalitis anderer Ursache |
Assay-Typen
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Zellbasierte Assays (IFT/FACS): empfohlen (aktueller Goldstandard); muss humanes Volllängen-MOG als Zielantigen verwenden; Verwendung eines Fc-spezifischen (oder IgG1-spezifischen [66]) Sekundärantikörpers dringend empfohlen, um eine Kreuzreaktivität mit (spezifisch oder nichtspezifisch bindenden) IgM- und IgA-Antikörpern zu vermeiden [57, 66] |
Immunhistochemie: derzeit nicht empfohlen (weniger empfindlich als zellbasierte Assays, begrenzte Daten zur Spezifität verfügbar [48, 57]; Sensitivität von Art des Spendergewebes abhängig [48]); falls verwendet, sind Fc-spezifische Sekundärantikörper, die gegen Gewebedonor-IgG adsorbiert sind, erforderlich, um eine Kreuzreaktivität mit IgM und IgA oder mit gewebegebundenem Donor-IgG zu vermeiden |
Peptidbasierter ELISA, Western Blot: ungenügend spezifisch, obsolet |
Biomaterial
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Serum: empfohlen (Probenmaterial der Wahl); Versand bei 4 ℃ oder auf Trockeneis ratsam, wenn die Proben nicht innerhalb von 1 bis 2 Tagen eintreffen |
Liquor: in der Regel nicht erforderlich, da MOG-IgG meist extrathekal produziert wird, was zu einem niedrigeren CSF- als Serumtiter führt [24]; möglicherweise in seltenen, ausgewählten Fällen hilfreich (z. B. starker Hintergrund durch koexistierende, nicht MOG-spezifische Serumantikörper); Versand bei 4 ℃ oder auf Trockeneis ratsam |
Immunglobulinklassen
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Testung auf MOG-IgG: empfohlen |
Testung auf MOG-IgM und/oder MOG-IgA: derzeit nicht empfohlen; zusätzliche MOG-IgM- und MOG-IgA-Antikörper wurden bei einigen MOG-IgG-positiven Patienten beschrieben [24, 36]; die klinische Relevanz isolierter MOG-IgM- oder MOG-IgA-Ergebnisse ist nicht bekannt; das Testen auf Antikörper der IgM-Klasse erfordert die Entfernung von Gesamt-IgG aus der Probe, um sowohl falsch-negative (aufgrund von hochaffinem, IgM-verdrängendem IgG) als auch falsch-positive (aufgrund von IgM-anti-IgG-Fc-Rheumafaktoren) Ergebnisse zu vermeiden [19] |
Befundbericht
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In Laborbericht und Arztbrief dokumentiert werden sollten grundsätzlich: nachgewiesene Immunglobulinklasse, Testmethode, antigenes Substrat, verwendetes Biomaterial, Titer/Konzentration/Einheiten, Assay-spezifische Grenzwerte und durchführendes Labor (z. B. „Serum MOG-IgG 1: 1280 [Cut-off ≥1:160a]; Nachweismethode: Live-CBA, Labor: Universitätsklinikum Heidelberg; Antigen: humanes Volllängen-MOG“) |
Dateninterpretation
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Wie bei allen Labortests sollten positive Testergebnisse immer im Kontext der Gesamtpräsentation interpretiert werden; wenn „red flags“ gemäß der Definition in Tab. 4 vorhanden sind, wird eine Retestung der ursprünglich positiv befundeten Serumprobe (oder, falls nicht mehr verfügbar, zumindest der Test einer Folgeserumprobe) empfohlen; um das Risiko zu mindern, falsch-positive Ergebnisse aufgrund von methodeninhärenten Fehlern zu reproduzieren, ist die Verwendung eines zweiten (und, im Fall von abweichenden Ergebnissen, dritten), methodologisch unterschiedlichen zellbasierten Tests ratsam; im Zweifelsfall Konsultation eines spezialisierten Zentrums erwägen |
Zeitpunkt der Probenentnahme
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Die MOG-IgG-Serumkonzentration schwankt im zeitlichen Verlauf, u. a. in Abhängigkeit von Krankheitsaktivität (mit meist höheren medianen Konzentrationen während akuter Schübe) und Behandlungsstatus (mit möglicherweise niedrigeren Konzentrationen unter Immunsuppression), und kann nach Plasmapherese unter die Nachweisgrenze absinken [23]; wenn MOG-IgG bei Ersttestung negativ ist, aber eine MOG-EM klinisch weiterhin vermutet wird, ist eine Retestung insbesondere während akuter Attacken und/oder behandlungsfreier Intervalle bzw. 1–3 Monate nach PEX/IA (oder IVIGb) ratsam – N.b.: Ein dauerhaftes Verschwinden des Antikörpers wurde bei Kindern, aber gelegentlich auch bei Erwachsenen beobachtet und war in diesen Fällen mit einem monophasischen Krankheitsverlauf assoziiert [9, 14, 20, 23, 24, 50] |
Krankheitsverlauf
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Kontinuierliche, schubunabhängige, chronisch fortschreitende Verschlechterung (sehr selten bei MOG-IgG-positiven Patienten [23]), einschließlich SPMS (insbesondere SPMS ohne Schübe) und PPMSa |
Plötzliches Auftreten der Symptome, z. B. <4 h vom Beginn bis zum Maximum (ischämische Ursache erwägen), oder kontinuierliche Verschlechterung der Symptome über Wochen (Tumor, Sarkoidose etc. erwägen) |
MRT
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Dawson-Finger-artige Läsion oder Läsion neben einem lateralen Ventrikel, die ovoid/rund ist oder mit einer inferioren Temporallappenläsion assoziiert ist |
Aktivität im kranialen MRT zwischen klinisch manifesten Schüben mit stiller Zunahme der Läsionslast (begrenzte Evidenz) |
CSF
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Bi- oder trispezifische MRZ-Reaktionb (MS erwägen) |
Serologie
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MOG-IgG-Titer am oder nur knapp über dem Assay-spezifischen Cut-offc; insbesondere, aber nicht ausschließlich, wenn das klinische Bild atypisch ist |
MOG-IgM und/oder MOG-IgA positiv, aber MOG-IgG negativ (klinische Signifikanz unbekannt) |
MOG-IgG-Positivität nur im Liquor, nicht im Serumd (MOG-IgG wird typischerweise extrathekal produziert) |
Gleichzeitiges Vorliegen von AQP4-IgG und MOG-IgG („Doppelpositivität“; extrem selten; Wiederholung beider Tests empfohlen)e |
Sonstiges
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Klinische oder paraklinische Befunde, die auf andere Diagnosen als MOG-EM, NMOSD oder MS hinweisen (z. B. Neurotuberkulose, Neuroborreliose, Neurosyphilis, Neurosarkoidose, Behçet-Syndrom, funikuläre Myelose, Lebersche hereditäre Optikusneuropathie, Vaskulitis, ZNS-Lymphom, Gliomatosis cerebri, paraneoplastische neurologische Syndromef, PRES, PML, Hinweise auf eine ZNS-Infektiong) |
Kombinierte zentrale und periphere Demyelinisierung ([8]; MOG wird im peripheren Nervensystem nicht exprimiert)h |