Erschienen in:
21.05.2019 | ADHS | Historisches
Die Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen in der klinischen Beschreibung und der Klassifikation von Emil Kraepelin
verfasst von:
Holger Steinberg, Maria Strauß
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 5/2020
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Zusammenfassung
Diese Studie identifiziert Beschreibungen störungsspezifischer Symptome der adulten Form der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in der 8. Auflage des Psychiatrie-Lehrbuches von Emil Kraepelin (1856–1926). Um herauszufinden, ob die ADHS bei Erwachsenen eine neue, „modische“ Erscheinung darstellt oder ob frühere Psychiater derartige Patienten auch sahen und wie sie sie klassifizierten, ist dies wesentlich. Denn diese Auflage aus den Jahren 1905 bis 1915 gilt als Höhe- und Endpunkt des krankheitskonzeptionellen Werkes Kraepelins und kann als ein ganz wesentlicher Anfangspunkt der Nosologie der modernen Psychiatrie angesehen werden. Kraepelin definierte und grenzte in seinem Lehrbuch keine in sich geschlossene Entität ADHS ab. Entweder hielt er für diese Störung eine eigene Entität nicht für gerechtfertigt oder ihm blieb diese Störung als eigenes Krankheitsbild unbekannt. Letzteres könnte dadurch bedingt sein, dass ADHS-Symptome häufig durch die Symptome anderer gleichzeitig vorliegender psychischer Erkrankungen maskiert werden. Nach der Durchsicht von Beschreibungen in Betracht zu ziehender aufgeführter Entitäten, kann man annehmen, dass das heute definierte Krankheitsbild ADHS bei Erwachsenen sich in zwei Krankheitsbildern Kraepelins wiederfindet: Einerseits in einem „Grundzustand“ des manisch-depressiven Irreseins, den er als „manische Veranlagung“ oder auch als „konstitutionelle Erregung“ bezeichnet und andererseits in der Gruppe der „Haltlosen“, die er als eine Form der psychopathischen Persönlichkeiten klassifiziert. Scheinbar ordnet er graduell leichtere Formen mit vordergründig ADHS-assoziierten Stimmungsschwankungen der „manischen Veranlagung“ zu und schwerere Formen, welche durch Komorbiditäten wie ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen gekennzeichnet sind, den „Haltlosen“.