Mit der ab 2020 gültigen Krebsfrüherkennungsrichtlinie gelten im deutschen Zervixkarzinom-Screening erstmals Algorithmen zur Abklärung auffälliger Befunde. Bisher besteht lediglich Konsens hinsichtlich der Therapiebedürftigkeit einer CIN3 (zervikale intraepitheliale Neoplasie). Das Management bei Zellbildern der Gruppe IIID ebenso wie bei den Gruppen II und III ist durchaus unterschiedlich mit Kontrollzytologie, HPV(humane Papillomviren)-Test, Immunzytochemie und Kolposkopie. Für ein risikoadaptiertes Procedere mit Vermeidung von Überdiagnostik bei Gewährleistung der nötigen Sicherheit für die Patientinnen sollte das Risiko der einzelnen zytologischen Befunde bekannt sein.
Um bei Patientinnen mit den Befundgruppen II‑p, IIID1, III‑p und IIID2 das Risiko für CIN2+/CIN3+ beurteilen zu können, haben wir eine Verlaufsbeobachtung durchgeführt. Aufgrund der Patientinnenzahl und der Beobachtungsdauer erlauben die hier vorgestellten Daten Risikobewertungen, welche die statistische Wahrscheinlichkeit von Progression bzw. Regression zytomorphologischer Befunde abbilden.
Diskussion
Die in Deutschland seit 2014 gültige MN III für die Zervixzytologie [
8] führt das Prinzip der risikoorientierten Gruppenstruktur fort, wobei Subgruppen Kompatibilität zum TBS schaffen [
25]. Im Gegensatz zum TBS werden Befunde plattenepithelialer Dysplasien dreigliedrig graduiert, um Überdiagnostik und Übertherapie vor allem junger Frauen mit CIN2 zu vermeiden. Die durch die WHO (World Health Organization) seit 2014 auch für die histologischen Befunde eingeführte zweistufige Differenzierung LSIL/HSIL („low-/high-grade squamous intraepithelial lesion“) wird einerseits mit dem bereits bei CIN2 vorhandenen „signifikanten“ Risiko für ein Karzinom begründet, andererseits mit der großen Interobserver-Variabilität bei CIN2 [
5,
27]. Die histologischen Diagnosen unserer Patientinnen weisen, wie in Deutschland üblich, zusätzlich zu „HSIL“ stets „CIN2“ oder „CIN3“ aus. Die zytologisch-histologische Korrelation lässt sich dadurch exakt darstellen.
Beim Zellbild einer CIN3 (Gruppe IVa‑p, HSIL/„severe dysplasia/carcinoma in situ“) und korrelierendem kolposkopischem Befund besteht Konsens über die Indikation zur Therapie mittels LLETZ („large loop excision of the transformation zone“; [
15,
22,
23]). Demgegenüber ist das klinische Management mit Einsatz von Kontrollzytologie, HPV-Test, p16‑/Ki-67-Immunzytochemie und Kolposkopie bei den Gruppen II, III und IIID bzw. bei ASC-US („atypical squamous cells of undetermined significance“), ASC‑H („atypical squamous cells of undetermined significance cannot exclude high-grade squamous intraepithelial lesion“) und LSIL („low-grade squamous intraepithelial lesion“) uneinheitlich und wird kontrovers diskutiert. Algorithmen aus anderen Ländern können nicht ohne weiteres auf das deutsche Screening-System übertragen werden. Während für TBS Follow-up-Studien zu ASC-US und LSIL durchgeführt wurden, liegen für MN III nur wenige Verlaufsbeobachtungen vor [
20]. Unsere Analysen mit zytologischen und histologischen Verlaufsdaten für die Gruppen II‑p, IIID1, III-p und IIID2 stellen erste Längsschnittuntersuchungen zur MN III an einem großen Kollektiv mit langer Beobachtungsdauer von bis zu 60 Monaten dar. Laborstruktur und Befunderhebung unterliegen dem in Deutschland seit 1971 praktizierten opportunistischen Screening-Modell mit dem Angebot einer jährlichen zytologischen Untersuchung. Mit diesem Konzept und den Abklärungsmodalitäten bei auffälliger Zytologie konnte die Inzidenz des Zervixkarzinoms um mehr als 70 % gesenkt werden [
10,
26]. Bei der Restinzidenz des Zervixkarzinoms unter Screening-Teilnehmerinnen handelt es sich überwiegend um prognostisch günstige Karzinome [
4,
19].
Die Kaplan-Meier-Schätzung zeigt, dass eine zytologische Differenzierung von 3 Schweregraden bei signifikant unterschiedlichem Risiko für CIN2+/CIN3+ möglich ist und eine sichere Überwachung der Läsion unter Vermeidung unnötiger diagnostischer Maßnahmen erlaubt.
Die
Gruppe IIID2 („HSIL/moderate dysplasia“) wird bisher zytologisch sowie durch kolposkopisch geführte Biopsie überwacht und ggf. durch Exzision therapiert [
9,
15,
16,
24]. Die Empfehlung, bereits nach erstmaliger Gruppe IIID2 zwingend eine Kolposkopie durchzuführen [
3,
7], lässt sich aus unseren Berechnungen nach dem Kaplan-Meier-Verfahren nicht nachvollziehen. Das Risiko für eine CIN3+ ist derart gering, dass eine kolposkopische Abklärung erst bei Persistenz/Progression in der Kontrollzytologie nach 3 Monaten notwendig wird. Von 216 Patientinnen mit einer CIN3+-Diagnose nach Gruppe IIID2 erhielten im Verlauf 200 Frauen (93 %) Folgebefunde der Gruppe III‑p, IIID2 oder IVa‑p, woraufhin die Abklärung erfolgte. Eine unmittelbare Kolposkopie führt zweifellos zur früheren Entdeckung einer bereits unterliegenden CIN3. Jedoch zeigen unsere Daten, dass bei erstmaliger Gruppe IIID2 in 62 % am Verlaufsende keine CIN3 vorhanden ist.
Für die
Gruppe IIID1 (LSIL) sind die Risikowerte der Erstbefunde höher als Ergebnisse aus der Literatur (nach 5 Jahren für CIN2+ 16 %, CIN3+ 5,6 %), wobei Unterschiede im Studiendesign zu berücksichtigen sind [
1,
12]. Hinter Befunden der Gruppe IIID1 können sich mittel- und hochgradige CIN verbergen bzw. im Verlauf entwickeln. Das Risiko, dass ein Karzinom vorliegt oder in kürzerer Frist entstehen könnte, ist hingegen auch nach unseren Daten mit einem Beobachtungszeitraum von bis zu 5 Jahren äußerst gering. In einer Follow-up-Studie mit über 38.000 Frauen mit LSIL wurden innerhalb von 6 Monaten 6000 Befunde histologisch ohne Karzinomdiagnose abgeklärt [
29]. Dass LSIL-Patientinnen ein Niedrigrisikokollektiv für ein Zervixkarzinom darstellen, hatte zudem 2016 eine schwedische Follow-up-Studie mit Beobachtungszeiten von mehr als 10 Jahren anhand großer Zahlen nachgewiesen [
28]: In nur 0,5 % fanden sich Karzinome. In einer prospektiven Follow-up-Studie an HPV-positiven Frauen mit LSIL und „unauffälliger“ Kolposkopie betrug das Risiko für eine CIN3+ bei einem 3‑Jahresintervall ebenfalls nur 4,4 % [
14].
In der ASCUS-LSIL Triage Study betrug die high-risk HPV-Positivität bei LSIL mehr als 80 %
Bei unseren Patientinnen war das Risiko für CIN3+ bei einmaligem IIID1-Befund sehr gering und lag auch nach mehr als zweimaliger Befundwiederholung für CIN3+ unter 10 %. Orientiert man sich an US-amerikanischen und deutschen Risikoschwellenwerten für die Kolposkopie von 10 % für eine therapiebedürftige Läsion (in Schweden 20 %; [
3]), so kann die Gruppe IIID1 zunächst ausschließlich zytologisch kontrolliert werden. Der HPV-Status ist für die Frauen mit Gruppe IIID1 unserer Analyse nur für 20 % bekannt, zeigt hier aber eine Positivitätsrate von 79 %. Nach den Daten der ALTS (ASCUS-LSIL Triage Study) betrug die high-risk HPV-Positivität bei LSIL mehr als 80 % [
2]. Eine Kolposkopie erscheint demnach – unabhängig vom HPV-Testergebnis – erst nach Persistenz über 24 Monate notwendig, sie dient dem Ausschluss von „major changes“ als Korrelat für eine CIN2+. Diese Schlussfolgerungen stehen im Gegensatz zu den Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie [
3] und zu den darauf gründenden Algorithmen der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie [
7]. Eine frühzeitige Kolposkopie trägt lediglich dazu bei, eine mögliche CIN2/3 zu einem früheren Zeitpunkt als bei einer ausschließlich zytologischen Kontrolle zu erkennen, sodass sie bei Frauen mit schlechter Compliance in Betracht kommt.
Bei der
Gruppe III‑p (ASC-H) mit differenzialdiagnostischer Erwägung einer CIN2/CIN3 bzw. eines Karzinoms zeigt sich eine hohe Interobserver-Variabilität und damit eine größere Varianz hinsichtlich der Häufigkeit in verschiedenen Laboren. In Deutschland wurden für 2015 und 2016 0,11 % III-p-Fälle berichtet [
21], dieser Anteil ist der ASC-H-Rate aus den USA vergleichbar [
6]. Das Wortgutachten des Zytologen mit Nennung der jeweiligen Differenzialdiagnose (CIN2, CIN3 oder Karzinom) ist Voraussetzung für ein angemessenes Procedere. Ein einmaliger III-p-Befund hat ein CIN3+-Risiko unter 10 %, sodass bei Erwägung einer CIN zunächst eine zytologische Kontrolluntersuchung vertretbar ist. Die Risikosteigerung vom ersten zum zweiten III-p-Befund ist so erheblich, dass an dieser Stelle eine kolposkopische Abklärung zwingend erscheint.
Das zytologische Gutachten mit Differenzialdiagnose ist Voraussetzung für ein angemessenes Procedere
Die Gruppe III-p zeigt im Gegensatz zu den Gruppen II‑p, IIID1 und IIID2 ein altersabhängig hoch signifikant unterschiedliches Risiko sowohl beim Vergleich der Patientinnen < bzw. ≥35 als auch < bzw. ≥30 Jahre, wobei das Risiko für CIN2+ und CIN3+ bei den jüngeren Frauen signifikant höher ist. Deshalb ist für die Befundgruppen II‑p, IIID1 und IIID2 ein aggressiveres Procedere für ältere Frauen aufgrund des Risikos nicht zu begründen, wohingegen eine Gruppe III-p auch bei jüngeren Frauen zuverlässig abzuklären ist.
In Übereinstimmung mit Untersuchungen zur vergleichbaren TBS-Kategorie ASC-US zeigt die von uns untersuchte
Gruppe II‑p, bei der differenzialdiagnostisch allenfalls eine CIN1 erwogen wird, ein geringes Risiko für CIN2+/CIN3. Im Vergleich mit Literaturdaten für negative Zytologiebefunde ist dieses Risiko jedoch deutlich erhöht [
13], was die Existenz und Anwendung dieser Befundgruppe rechtfertigt. In Deutschland wurden 2015 und 2016 bei 15 Mio. untersuchten Frauen 1,13 bzw. 0,99 % II-p-Fälle registriert [
21]. Trotz bekannter hoher Interobserver-Variabilität mit einem κ‑Maß von lediglich 0,2 [
18] und obwohl die morphologischen Kriterien für ASC-US zwischen den einzelnen Zytologen differieren können, ist der extreme Unterschied zur Häufigkeit von ASC-US in den USA (4,3 %; [
6]) allein aus der Morphologie kaum zu erklären. Denkbar ist ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der TBS-Anwender bei geringen Atypien: Die Anteile von LSIL (2,5 %; [
6]) und Gruppe IIID1 (0,74 %; [
21]) unterscheiden sich ebenfalls deutlich.
In der vorliegenden Untersuchung weisen Erstbefunde der Gruppe II-p mit einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 36 Monaten ohne nachfolgende zytologische Progression selbst bei Befundpersistenz ein geringes Risiko für CIN2+/CIN3 auf (je eine Frau mit CIN2 bzw. CIN3). Ähnliche Ergebnisse sind in der Literatur angegeben (nach 5 Jahren CIN2+ 6,9 %, CIN3+ 2,6 %; [
11]). Zervixkarzinome kommen in den wenigsten Studien vor. Die deutsche S3-Leitlinie und die Krebsfrüherkennungs-Richtlinie sehen bei HPV-positiven II-p-Befunden eine Kolposkopie vor [
3,
7]. Der HPV-Status wurde nur in 7 % unserer erstmaligen II-p-Fälle erhoben. Das Patienten-Management erfolgte unabhängig davon. Unsere Daten weisen darauf hin, dass sich bei definitionsgemäßer Gruppenzuordnung das Risiko für die Patientin nicht erhöht, wenn auf einen HPV-Test, eine zytologische Kontrolle bereits nach 6 Monaten und/oder eine Kolposkopie verzichtet wird. In einer Metaanalyse ergab sich in einem Vergleich von zytologischen Kontrollen und frühzeitiger Kolposkopie bei ASC-US keine Überlegenheit für eine dieser Methoden [
17].
Unsere Schlussfolgerungen für das Procedere bei auffälligen zytologischen Befunden sollten zurückhaltend bewertet werden. Die retrospektiv erfassten zytologischen Befunde sind in der Routine eines einzelnen zytologischen Labors erstellt worden. Eine histologische Abklärung wurde – mit Ausnahme der Gruppen IV und V – primär äußerst selten vorgenommen. Kolposkopie, HPV-Testung oder p16‑/Ki‑67-Immunhistochemie im Verlauf erfolgten nach individueller Befundkonstellation und wurden nicht in die Auswertung einbezogen. Weitere wichtige Risikofaktoren wie Rauchen, Sexualanamnese, Immunsuppression etc. wurden nicht erfasst.
Künftig wird im deutschen organisierten Früherkennungsprogramm bei über 35-jährigen Frauen aus der Ko-Testung zusätzlich zur Zytologie der HPV-Status bekannt sein. Bei Frauen unter 35 soll der HPV-Test, Algorithmen folgend, in die Abklärung einbezogen werden. Die Synopse der Befunde wird das Procedere bestimmen. Gerade deshalb ist es von Interesse, bei der bekannten schlechten Spezifität des HPV-Testes die Risikowerte der zytologischen Befunde zu kennen.