Minimal-invasive Implantation von Hüftprothesen ohne Verletzung oder Ablösung von Muskeln.
Indikationen
Fortgeschrittene Koxarthrose, Schenkelhalsfrakturen, allgemein gültige Indikationen der Hüftendoprothetik.
Kontraindikationen
Kontraindikationen der Hüftendoprothetik.
Operationstechnik
Anhand eines Operationsvideos, das online zur Verfügung steht, wird die Operationstechnik detailliert dargestellt: Lagerung auf Extensionstisch mit speziellem Beinhalter, Zugang im Hueter-Intervall zwischen M. tensor fasciae latae und M. rectus femoris, Eröffnung und Erhalt der Hüftkapsel, Osteotomie des Hüftkopfes in situ, Entfernung des Hüftkopfes und Pfannenfräsung, minimal-invasive Implantation der Hüftpfanne, Release des Lig. pubofemorale und bei Bedarf Lig. ischiofemorale, Außenrotation und Hyperextension im Beinhalter mit Anheben des koxalen Femurs über ein Hypomochlion, Femurpräparation und Implantation des Femurschafts, Reposition, Kapselnaht, Wundverschluss.
Weiterbehandlung
Schmerzadaptierte Vollbelastung, keine Limitation des Bewegungsumfangs.
Evidenz
Randomisierte Studien und systematische Reviews mit Nachweis einer schnelleren Mobilisation und besseren Funktion in den ersten 3 Monaten postoperativ; postoperativ weniger Schmerzen, weniger Muskelschädigung sowie kürzere stationäre Behandlung; geringere Morbidität und Mortalität bei älteren Patienten.
Die Online-Version dieses Beitrags (https://doi.org/10.1007/s00132-018-3591-y) enthält ein Video zur minimal-invasiven AMIS-Technik zur Implantation von Hüftprothesen. Beitrag und Video stehen Ihnen im elektronischen Volltextarchiv auf SpringerMedizin.de unter http://www.springermedizin.de/der-orthopaede zur Verfügung. Sie finden das Video am Beitragsende als „Supplementary Material“.
Abkürzungen
AMIS
„Anterior minimally invasive surgery“
ASIS
Spina iliaca anterior superior
TEP
Totalendoprothese
Die AMIS-Technik zur Implantation von Hüftprothesen ist definiert durch den anatomischen anterioren Zugangsweg im Intervall zwischen M. tensor fasciae latae (lateral) sowie M. rectus femoris und M. sartorius (medial) sowie durch die Verwendung eines Extensionstisches mit einem speziellen Beinhalter (Abb. 1). Dieser ermöglicht, dass das zu operierende Bein in die für den jeweiligen Operationsschritt optimale Position gebracht wird.
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Anatomische Vorbemerkungen
Beim anterioren Zugang handelt es sich um den einzigen sowohl intermuskulären als auch internervalen Zugang zur Hüfte, der im Intervall zwischen M. tensor fasciae latae und M. rectus femoris erfolgt. Um den N. cutaneus femoris lateralis zu schonen, sollte die Oberschenkelfaszie lateral über dem M. tensor fasciae latae eröffnet werden (Abb. 2 und 3). Ein regelhaft vorhandenes Perforansgefäß, das oberflächlich zum M. tensor fasciae latae durch die Faszie tritt, ist für die Orientierung hilfreich [1]. Der N. femoralis sowie die A. und V. femoralis verlaufen weit medial und sind durch Kapsel und Muskeln geschützt (Abb. 4).
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Die ventralen Muskeln der Hüfte sind allesamt lang, weshalb sie für eine gute Übersicht ohne Schädigung oder Ablösen zur Seite gehalten werden können. Die kurzen pelvitrochantären Muskeln werden komplett gemieden.
Vorteile
Zuverlässig muskelschonendes Vorgehen mit Meidung des M. glutaeus medius und M. glutaeus minimus
Niedrige Luxationsrate (im Vergleich zu dorsalen Zugängen) mit Erhalt von Muskeln und Kapsel
Beinhalter spart einen Assistenten, ferner kein Halten des Beins oder Umsetzen von Haken notwendig.
Erweiterung nach proximal bis zum Beckenkamm ohne Denervierung des M. tensor fasciae latae für pelvine Defektsituationen möglich [2‐4].
Geringste Fettverteilung anterior, daher auch bei adipösen Patienten vorteilhaft.
Nachteile
Langstielige femorale Revisionsimplantate sind schwierig zu implantieren, wobei eine femorale Erweiterung des Zugangs möglich ist [4, 5].
Erhöhtes Risiko einer Läsion des N. cutaneus femoris lateralis
Notwendigkeit eines Extensionstisches mit speziellem Beinhalter und in der Bedienung geschultem Operationspersonal
Erhöhtes Risiko von Femurfrakturen sowie verlängerte Operationszeit im Rahmen einer flacheren Lernkurve im Vergleich zu anderen Standardzugängen. Das Komplikationsrisiko kann durch ein spezielles Ausbildungsprogramm minimiert werden.
Operationsindikationen und Kontraindikationen
Die Operationsindikationen und Kontraindikationen entsprechen den etablierten Indikationen für einen Hüftgelenkersatz. Spezifische Kontraindikationen für den AMIS-Zugang liegen nicht vor. Wird bei der Arthroplastik gleichzeitig eine Osteotomie des Femurs notwendig, wird ein alternativer Zugang zur Exposition des Femurschafts empfohlen.
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Fallbeschreibung
65-jähriger männlicher Patient mit beidseitiger, links beschwerdeführender Koxarthrose. Anlauf‑, Ruhe- und Belastungsschmerz bei frustraner konservativer Therapie. Regelmäßiger Analgetikabedarf. Massive Bewegungseinschränkung mit Außenrotationskontraktur.
Radiologisch beidseitige Koxarthrose (Abb. 5; Video online).
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Operationstechnik
Planung und Operationsvorbereitung
Risikostratifizierung mit frühzeitiger Behandlung modifizierbarer Risikofaktoren zur Senkung des perioperativen Komplikations- und Infektionsrisikos (Anämie, Infektionsherde wie Zähne, latenter Diabetes mellitus etc.; [6]). Präoperativ antiseptische Waschungen zur Hautdekontamination, insbesondere Staphylococcus aureus.
Die radiologische präoperative Planung hat bei der AMIS-Technik einen besonderen Stellenwert zur Planung von Implantat, Offset und Beinlänge (Abb. 6). Bestimmung intraoperativ reproduzierbarer Strecken, z. B. Hüftlänge vom Trochanter minor bis zum Konusende der Prothese zur Beinlängenkontrolle.
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Operationsdurchführung
Obligate Antibiotikaprophylaxe mindestens 30 min vor dem Hautschnitt, z. B. mit Cephalosporin der 2. Generation für 24 h. Spinalanästhesie oder Vollnarkose in Kombination mit einem Regionalanästhesieverfahren, z. B. Psoaskompartmentblock. Präoperativ bei fehlenden Kontraindikationen Tranexamsäure intravenös [7].
Lagerung in Rückenlage auf dem Extensionstisch, wobei der Fuß des zu operierenden Beins gut gepolstert in einem speziellen Schuh am AMIS-Beinhalter befestigt wird. Ein Hypomochlion wird zur Elevation des koxalen Femurendes unter dem proximalen Femur platziert (Abb. 1).
Steriles Abwaschen und sterile Abdeckung mit Viereckabdeckung und durchsichtigem Vertikaltuch, um während der Operation die Rotationsstellung des Beins beurteilen zu können. Bedienung des Beinhalters durch den Springer.
Hautschnitt anterior über dem M. tensor fasciae latae. Faszienspaltung medial des Perforansgefäßes durch den M. tensor fasciae latae [1]. Stumpfes Abschieben des M. tensor fasciae latae von seiner Faszie nach lateral, Einsetzen eines Beckmann-Spreizers. Abschieben des M. rectus femoris nach medial, vorsichtige Spaltung der tiefen Muskelfaszie und Ligatur der Äste des R. ascendens der A. und V. circumflexa femoris lateralis. V‑förmige Eröffnung der Hüftkapsel. Einsetzen zweier Haken um den Schenkelhals und Osteotomie. Durch Längszug und Außenrotation des Beins um 45° am Beinhalter klappt die Osteotomie auf, der Hüftkopf kann entfernt werden.
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Vergleich der Osteotomiehöhe mit der Operationsplanung und Längenvergleich zwischen Hüftkopf und femoralem Probeimplantat. Einstellen der Hüftpfanne durch intrakapsuläres Setzen des Charnley-Rahmens mit Schutz der neurovaskulären Strukturen vor Hakendruck und Protektion des Pfannenrandes (Abb. 7). Pfannenfräsung sowie Einsetzen von Hüftpfanne und Inlay. Eine intraoperative Bildwandlerkontrolle ist aufgrund der Rückenlagerung jederzeit möglich.
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Release der Kapsel anterior am femoralen Ansatz des Lig. pubofemorale zur Exposition des koxalen Femurendes. Bei Außenkontraktur ebenfalls partielles Kapselrelease dorsal am Lig. ischiofemorale. Bei massiven Kontrakturen ist auch ein Release der Außenrotatoren möglich. Dann vorsichtige Außenrotation und Absenken des Beins mittels Beinhalter. Über das Hypermochlion tritt das koxale Femurende nach ventral, es wird eine gute Sicht auf das Femur erreicht (Abb. 8).
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Eröffnung des Markraums mittels Kastenmeißel und stumpfer Bananenraspel, Präparation mit Formraspeln bis zur gewünschten Femurgröße mit speziell kurviertem Einschläger. Messung der Hüftlänge vom Trochanter minor zur Prothesenspitze sowie von der Implantatschulter bis zur Spitze des Trochanter major als Referenz für die Beinlänge. Probereposition und Stabilitätsprüfung. Einsetzen des endgültigen Implantats. Lokale Infiltrationsanästhesie mit lang wirksamem Lokalanästhetikum und Adrenalin perikapsulär zur Analgesie und Blutstillung.
Abschließend Bildwandlerkontrolle. Naht der Kapsel zur Reduktion der Luxationsrate [8]. Fasziennaht unter Schonung des N. cutaneus femoris lateralis. Fakultative Einlage einer Redon-Drainage [9]. Subkutannaht in mehreren Schichten, wobei die tief subkutan liegende Fascia innominata gesondert vernäht wird (Abb. 9).
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Postoperative Nachbehandlung
Die Nachbehandlung geschieht entsprechend den etablierten Nachbehandlungsprotokollen bei Hüftendoprothetik. Aufgrund des muskelschonenden Vorgehens kann die schmerzadaptierte Vollbelastung ab Operation erfolgen, es sind keine Bewegungslimitationen erforderlich. Die Seitenlage ist beidseitig nach Abklingen der Regionalanästhesie möglich. Der weitere Belastungsaufbau richtet sich nach der Integration des zementfreien Implantats.
Fehler, Gefahren, Komplikationen
Einer der wesentlichen Schritte bei der Implantation einer Hüft-TEP mittels AMIS-Technik ist die Exposition des Femurs, wofür eine ausreichende Relaxation des Patienten und Mobilisation des Femurs notwendig ist. Bei der Außenrotation und dem Absenken des Beins ist darauf zu achten, dass sich der dorsale Anteil des Trochanter major nicht hinter dem Acetabulum verhakt und frakturiert.
Die spezifische Hauptkomplikation der vorderen Zugänge ist ein meist vorübergehendes Sensibilitätsdefizit eines Astes des N. cutaneus femoris lateralis am anterolateralen Oberschenkel. Durch eine lateralere Haut- und Faszieninzision lässt sich dieses Risiko minimieren; das Perforansgefäß durch den M. tensor fasciae latae dient zur Orientierung.
Evidenz der Technik
Inzwischen liegt eine Vielzahl an qualitativ hochwertigen Publikationen zur AMIS-Technik und anderen Modifikationen der vorderen Zugänge vor.
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Randomisierte Studien und systematische Reviews [10] zeigen dabei bessere frühfunktionelle Ergebnisse nach Eingriff über den vorderen Zugang mit weniger Schmerzen verglichen mit Eingriffen über den lateralen oder dorsalen Zugang, wobei sich die Funktionsscores nach 6 Monaten angleichen [10‐15]. Andere Studien ergaben keine signifikanten Unterschiede, wobei der vordere Zugang regelhaft zu mindestens gleichwertigen oder besseren funktionellen Resultaten als laterale und dorsale Zugänge führt [12, 16].
Patienten konnten nach Operation mittels AMIS-Technik früher aus der stationären Behandlung entlassen werden als nach Eingriffen über den lateralen oder dorsalen Zugang [12, 13], waren früher ohne Gehstützen mobil [13, 15, 17] und zeigten früher ein besseres Gangbild [18] sowie eine geringe Luxationsrate von unter 1 % [18]. Sowohl MR-tomographisch als auch laborchemisch und funktionell war eine bessere Schonung der Glutealmuskulatur durch den vorderen Zugang möglich [19‐22]. Ältere Patienten profitieren aufgrund einer verminderten Mortalität und Morbidität von einem direkten vorderen Zugang [23, 24].
Eine vermehrte Fehlpositionierung der Implantate – wie für manche minimal-invasive Zugänge berichtet – konnte für den vorderen Zugang nicht nachgewiesen werden [12, 25]. Als nachteilig wurde für die vorderen Zugänge eine längere Operationszeit im Vergleich zum lateralen Zugang [12] als auch eine relevante Lernkurve angeführt [26].
Hinsichtlich einer längeren Haltbarkeit der Prothese gibt es keine Vorteile.
Fazit
Mit der AMIS-Technik steht eine standardisierte Operationstechnik für die muskelschonende Implantation von Hüftprothesen zur Verfügung, die trotz minimal-invasiven Vorgehens eine ausgezeichnete Übersicht erlaubt. Neben dem vorderen Zugangsweg ist die Verwendung eines speziellen Beinhalters eine technische Besonderheit, die die Operation standardisiert und vereinfacht.
Danksagung
Ein herzlicher Dank an Prof. Dr. med. Jens Waschke und Herrn Michael Becker (Anatomische Anstalt der LMU München, Lehrstuhl Anatomie I – vegetative Anatomie) für die Unterstützung bei der Anfertigung der anatomischen Darstellungen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
H. Gollwitzer gibt an, dass die Herstellung der Operationsvideos durch freundliche Unterstützung von Medacta International, Castel San Pietro, Schweiz, erfolgte.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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