Erschienen in:
01.02.2005 | Originalarbeit
Aufgaben rechtsmedizinischer Forschung
Differente Studientypen in Grundlagenfächern, Klinik und Rechtsmedizin
verfasst von:
Prof. Dr. B. Madea, R. Dettmeyer, F. Mußhoff
Erschienen in:
Rechtsmedizin
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Ausgabe 1/2005
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Zusammenfassung
Das Fach Rechtsmedizin sieht sich in den letzten Jahren—nicht zuletzt unter dem Diktat knapper Ressourcen mit der Zielsetzung, in der Forschung angeblich ineffiziente Fächer aus den Fakultäten zu eliminieren—dem Vorwurf ausgesetzt, wissenschaftlich unergiebig zu sein, am wissenschaftlichen Fortschritt nicht zu partizipieren bzw. zum allgemeinen Wissenszuwachs nicht beizutragen. Kriterien für diese Einschätzung sind dabei Impactfaktoren und Drittmittelaufkommen. Ein bekannter Wissenschaftsfunktionär prognostizierte sogar, die Abschaffung des Faches Rechtsmedizin würde in der Scientific Community niemandem auffallen. Diese Einschätzung resultiert einerseits aus einer mangelhaften Rezeption der Aufgaben des Faches Rechtsmedizin, das im Wesentlichen angewandte Forschung zur Befunderhebung, zum Beweiswert von Befunden, zur Rekonstruktion und Begutachtung an verschiedenen Schnittstellen zwischen Medizin und Recht betreibt und im Gegensatz zu klinischen Fächern nur begrenzt ätiologische oder pathogenetische Forschung und damit auch vom Zugang zu drittmittelträchtigen Forschungsfeldern ausgeschlossen bleibt.
Ein weiterer Grund ist, dass aufgrund autochthoner Forschungsfelder des Faches Rechtsmedizin (Thanatologie, gewaltsamer Tod, Vitalität, Verkehrsmedizin, analytische Toxikologie, Hämogenetik und Spurenkunde) in der Klinik etablierte und erfolgreiche Studientypen wie etwa kontrollierte randomisierte Studien, prospektive Querschnittstudien, Kohortenstudien bzw. Fall-Kontrollstudien in der Rechtsmedizin nur sehr begegrenzt zur Anwendung kommen können. In der Rechtsmedizin erfolgreich etablierte Studientypen sind demgegenüber Methodenvergleiche, Sensitivitätsstudien, Validierung von Methoden, kinetische Untersuchungen etc.. Diese Unterschiede der Studienformen werden für verschiedene rechtsmedizinische Funktionsbereiche systematisch aufgezeigt. Aufgrund der methodischen Heterogenität innerhalb des Faches Rechtsmedizin differieren selbst innerhalb des Faches die anwendbaren Studientypen von Funktionsbereich zu Funktionsbereich. Auch auf höchstem methodischen Niveau durchgeführte Untersuchungen bleiben aufgrund der Fragestellung nur für einen kleinen Kreis von Forschern interessant. So ist z. B. die deutschsprachige Forschung zur Thanatologie weltweit führend, ohne dass diese Forschung über den rechtsmedizinischen Binnenraum hinaus rezipiert würde. Dies gilt umgekehrt für die Ergebnisse anderer Fächer in gleicher Weise, die für die Aufgaben der Rechtsmedizin überhaupt keine Relevanz besitzen.
Der Unterschied zwischen Grundlagenfächern, Klinik und Rechtsmedizin ist also nicht ein Mangel wissenschaftlicher Leistung im Fach Rechtsmedizin, sondern eine Resultante der im Fach bearbeiteten Fragestellungen, den hierfür zur Verfügung stehenden Methoden und den Adressaten spezifisch rechtsmedizinischer Forschungsergebnisse. Im Gegensatz zu einer reduktionistisch-naturwissenschaftlichen Forschung, wie sie derzeit für die meisten medizinischen Disziplinen paradigmatisch ist, hat die Rechtsmedizin darüber hinaus als typisches Querschnittsfach große Schnittmengen zu geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich im Forschungsprofil niederschlagen.