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Erschienen in: Rechtsmedizin 2/2020

Open Access 28.02.2020 | Hämatom | Originalien

Häusliche Gewalt gegen Männer – auch ein rechtsmedizinisches Problem?

verfasst von: V. Kolbe, A. Büttner

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 2/2020

Zusammenfassung

Hintergrund

Auch männliche Geschädigte von häuslicher Gewalt wenden sich mit ihren Verletzungen häufig zunächst an ihre Hausärzte/Hausärztinnen oder Ärzte/Ärztinnen in Notaufnahmen. Daher ist das weiterhin eher schambesetzte Thema „häusliche Gewalt gegen Männer“ für alle medizinischen Professionen relevant.

Methode

Es wurde eine retrospektive Datenanalyse für einen Fünfjahreszeitraum durchgeführt. Dabei wurde analysiert, wie viele Männer nach häuslicher Gewalt das Angebot einer rechtsmedizinischen Befunddokumentation angenommen haben. Darüber hinaus wurden die Art der erfahrenen Gewalt sowie die erlittenen Verletzungen untersucht.

Ergebnis

Zwischen 2013 und 2018 wurden insgesamt 867 Personen in der Rostocker Gewaltopferambulanz untersucht, darunter 455 Erwachsene (52,5 %). Auffallend ist die Zunahme von männlichen Geschädigten häuslicher Gewalt im Jahr 2018, die in diesem Untersuchungsjahr 10,3 % der untersuchten Erwachsenen ausmachten. Die Untersuchten wiesen Folgen gering- bis höhergradig intensiver, stumpfer Gewalteinwirkungen auf; überwiegend wurden kratzerartige Hautdefekte und Hämatome festgestellt.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse betonen Bedeutung und Notwendigkeit von rechtsmedizinischen Untersuchungsstellen. Die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit sowie ein spezielles Angebot für betroffene Männer wären wünschenswert.
Es ist mehr belastbares Wissen zu dieser Thematik erforderlich, um auch als Mediziner*in dem stereotypen Bild gewalttätiger Männer mit einer faktenbezogenen Kenntnis begegnen zu können.
Hinweise
Die originale Onlineversion dieses Artikels wurde aufgrund einer rückwirkenden Open Access-Bestellung geändert.
Zu diesem Beitrag ist ein Erratum online unter https://​doi.​org/​10.​1007/​s00194-021-00523-3 zu finden.

Einführung

Partnerschaftsgewalt, auch als häusliche Gewalt bezeichnet, gilt der WHO zufolge als eines der zentralen Gesundheitsrisiken für Frauen [1]. Der Definition der seit dem 01.02.2018 in Deutschland in Kraft getretenen Istanbul-Konvention zufolge umfasst häusliche Gewalt nicht nur die partnerschaftliche Gewalt in der eigenen Wohnung, sondern sämtliche Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer und auch wirtschaftlicher Gewalt innerhalb der Familie, des Haushalts oder zwischen aktuellen sowie früheren Partnern [2].
Da überwiegend Frauen, unabhängig von ihrer sozialen Schicht, von häuslicher Gewalt betroffen sind, liegen (rechtsmedizinische) Fachbeiträge zu von Partnerschaftsgewalt betroffenen Männern, sowohl in hetero- als auch in homosexuellen Beziehungen, dagegen kaum vor. Aus diesem Grund soll nachfolgend versucht werden, Charakteristika von Gewalt gegen Männer aus rechtsmedizinischer Sicht zu beschreiben.

Hintergrund

Die Bedeutung klinisch-rechtsmedizinischer Untersuchungen, insbesondere im Rahmen sog. Gewaltopferambulanzen, ist unbestritten. Derartige Untersuchungsstellen sind in den vergangenen Jahren an nahezu allen rechtsmedizinischen Instituten etabliert worden und somit zu einem integralen Bestandteil des rechtsmedizinischen Alltags geworden [3, 4]. Betroffenen soll im Rahmen von niedrigschwellig verfügbaren rechtsmedizinischen Untersuchungen – abseits von möglichen strafrechtlichen Verfahren – die Möglichkeit gegeben werden, vorhandene Verletzungen professionell und gerichtsverwertbar dokumentieren und Spuren sichern zu lassen. Insbesondere Geschädigte, die zunächst keine polizeiliche Anzeige erstatten möchten, sind auf eine qualifizierte gerichtsfeste Befunddokumentation angewiesen, um eine spätere juristische Aufarbeitung des Falles weiterhin zu ermöglichen.
Geschädigte von häuslicher Gewalt wenden sich mit ihren Verletzungen dennoch häufig zunächst an ihre Hausärzte oder Ärzte in Notaufnahmen. Eine nichtfachgerechte Dokumentation von Verletzungen hält einem späteren strafrechtlichen Verfahren jedoch oft nicht statt, weshalb sich vielerorts eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit klinischer und rechtsmedizinisch tätiger Ärzte entwickelt hat: Mit der Etablierung einer Gewaltopferambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock Ende 2010 konnte nicht nur für Geschädigte, sondern auch für klinische Kollegen ein niederschwellig verfügbares Beratungs- und Unterstützungsangebot geschaffen werden.
Durch diese einfach zugängliche Möglichkeit der Beweissicherung im Rahmen der Gewaltopferambulanzen konnte das Thema „häusliche Gewalt“ in den vergangenen Jahren zwar zunehmend enttabuisiert werden, partnerschaftliche Gewalt gegen Männer scheint jedoch weiterhin eher schambesetzt zu sein. In der jüngeren Vergangenheit wurde das rechtsmedizinische Untersuchungsangebot in Rostock dennoch vermehrt auch von Männern nach häuslichen Gewalterfahrungen bzw. Partnerschaftsgewalt wahrgenommen.

Material und Methode

Es wurde eine retrospektive Datenanalyse des Untersuchungsguts der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock für den Zeitraum zwischen 2013 und 2018 durchgeführt. Für den genannten Zeitraum wurde differenziert analysiert, wie viele Männer nach häuslicher Gewalt das Angebot einer rechtsmedizinischen Befunddokumentation angenommen haben. Darüber hinaus wurden das Anzeigeverhalten, die Art der erfahrenen Gewalt und die erlittenen Verletzungen untersucht.
Die Daten wurden aus der Untersuchungsdokumentation generiert und anonymisiert mithilfe der Software Microsoft Excel 2003 ausgewertet.

Ergebnisse

In den Jahren zwischen 2013 und 2018 wurden insgesamt 867 Personen in der Gewaltopferambulanz untersucht, darunter 455 Erwachsene (52,5 %). Unter den erwachsenen Untersuchten fanden sich insgesamt 190 Männer, von denen 16 angaben, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein, und eine rechtsmedizinische Befunddokumentation erbeten haben. Auffallend ist die Zunahme von untersuchten männlichen Geschädigten im Jahr 2018, die in diesem Untersuchungsjahr 4,7 % der Gesamtuntersuchungen bzw. 10,3 % der Untersuchungen von Erwachsenen ausmachten, wie Abb. 1 verdeutlicht.
Die von Partnerschaftsgewalt betroffenen Männer, die sich zur Untersuchung vorstellten, waren ausschließlich im mittleren bis höheren Lebensalter: Insgesamt 7 Männer waren zwischen 31 und 50 Jahre alt, 9 Männer waren älter als 50 Jahre alt.
In 10 Fällen stellten die Männer sich privat in der Gewaltopferambulanz vor, teils auch ohne vorherige telefonische Anmeldung; lediglich 3 Männer wurden über behandelnde Ärzte vermittelt, in 2 Fällen wurde der Kontakt über eine Interventionsstelle hergestellt. In einem Fall fand die Kontaktaufnahme über eine Angehörige statt (Nichte).
Die Untersuchungen fanden ausschließlich im Institut für Rechtsmedizin in Rostock bzw. der Außenstelle in Schwerin sowie in den vermittelnden Kliniken statt.
Alle untersuchten Männer lebten in heterosexuellen Beziehungen.
Insgesamt 6 Männer gaben psychiatrische Erkrankungen ihrer Partnerinnen an, darunter zu gleichen Teilen Alkoholabhängigkeit, Depressionen und paranoide Schizophrenien. Von diesen Männern gaben wiederum 2 an, selbst psychiatrisch erkrankt zu sein (Alkoholabhängigkeit, Borderline-Persönlichkeitsstörung).
Die Gewalt wurde überwiegend durch die Ehefrauen ausgeübt (62,5 %), in 4 Fällen (25 %) durch die Lebenspartnerin. In 2 Fällen (12,5 %) übten Expartnerinnen Gewalt aus, wobei es in beiden Fällen aufgrund von gemeinsamen Kindern einen weiterhin engen – auch räumlichen – Kontakt gab und Streit über den Umgang mit den Kindern als Gewaltauslöser benannt wurde. Informationen dazu, von wem die Gewaltausübung initial ausgegangen ist, liegen jedoch nicht für alle Fälle vor.
In den übrigen Fällen wurden überwiegend Fremdgehvorwürfe, Geldsorgen oder die bereits genannten psychiatrischen Grunderkrankungen als Auslöser für die körperliche Eskalation genannt. Die Vorfallshäufigkeit wurde zwischen „einmalig“ und „seit 3 Jahren“ angegeben.
In lediglich 3 Fällen gaben die Männer an, dass ihre Partnerinnen zum Vorfallszeitpunkt alkoholisiert gewesen wären.
Überwiegend seien die betroffenen Männer mit der flachen Hand geschlagen und gekratzt worden (Fälle 1 und 2). Die Formen der angewandten Gewalt verdeutlicht Abb. 2; hierbei wurden überwiegend Kombinationen aus verschiedenen Gewaltformen angewandt. Zwei Männer gaben an, mit Gegenständen geschlagen worden zu sein, darunter hätten sich eine Hantel sowie ein Schuhanzieher befunden.
Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Gewaltanwendung auch wechselseitig ausgeübt werden kann: In 2 Fällen stellten sich auch die Ehefrauen der Verletzten in der Gewaltopferambulanz vor.
Die untersuchten Männer wiesen demzufolge Folgen gering- bis höhergradig intensiver, stumpfer Gewalteinwirkungen auf: Überwiegend wurden kratzerartige Hautdefekte und Hämatome festgestellt (Fälle 1 und 2); die weiter festgestellten Verletzungen sind in Abb. 3 dargestellt. In 2 Fällen war eine stationäre Behandlung erforderlich; vier Männer wurden ambulant medizinisch behandelt.
Nachfolgend sollen 2 Fälle exemplarisch dargestellt werden.

Fall 1

Ein 53-jähriger Mann wurde untersucht, der sich nach eigenen Angaben in einer „Ehekrise“ befände und, nachdem er von seiner Ehefrau mit Fremdgehvorwürfen konfrontiert worden sei, die Wohnung habe verlassen wollen. Dabei habe sie ihn beschimpft, an der Kleidung gezerrt und ihn mehrere Minuten lang gegen den Oberkörper geschlagen und gekratzt (Abb. 4 und 5).

Fall 2

Ein 64-jähriger Mann wurde untersucht, der angab, von seiner langjährigen Lebenspartnerin, die zunehmend größere Mengen von Alkohol konsumieren würde, seit etwa 6 Monaten fast täglich geschlagen zu werden. Aufgrund des gewünschten Auszugs aus der gemeinsamen Wohnung sei es erneut zu einem körperlichen Übergriff gekommen, bei dem der Betroffene u. a. mit einem Schuhanzieher geschlagen worden sei (Abb. 6 und 7).

Diskussion

Häusliche Gewalt gegen Männer scheint so sehr im Widerspruch zu den vorherrschenden Geschlechterklischees zu stehen, dass sie auf den ersten Blick unwahrscheinlich, wenn nicht gar unvorstellbar erscheint.
Das Anzeigeverhalten von Fällen häuslicher Gewalt liegt einer aktuellen Dunkelfeldstudie zufolge bei lediglich 3 %, wobei jedoch keine Geschlechtsdifferenzierung vorgenommen wurde [5]. Es ist also anzunehmen, dass die Dunkelziffer betroffener Männer deutlich höher liegt.
Es gibt zahlreiche Theorien zu der Frage, warum Männer nach Partnerschaftsgewalt dieses zögerliche Anzeigeverhalten zeigen: Neben der Scham der Betroffenen glauben die Männer, dass nur ihnen dergleichen passiert und Männer keine Opfer häuslicher Gewalt seien. Darüber hinaus haben die Betroffenen Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird und man sie ihrerseits für die Täter halten könnte, verbunden mit der Sorge, dass der Kontakt zu vorhandenen Kindern unterbunden werden kann. Weiterhin gibt es auch die bereits von weiblichen Geschädigten bekannten Gründe: die Hoffnung, dass der Partner sich ändert, und der Wunsch nach einer „intakten“ Familie [6].
Die bekannte dreiphasige Gewaltspirale von Spannungsaufbau, Gewalteskalation und Reue/Versöhnung wird ohne eine externe Intervention nur selten durchbrochen, sondern verstärkt sich in ihrer Intensität eher noch [7]. Dieses Modell bezieht sich zwar auf von Männern ausgeübte Gewalt an Frauen, bei den geschilderten Biografien der betroffenen Männer ist jedoch durchaus anzunehmen, dass es ebenfalls auf ihre Situationen übertragbar ist.
Auch wenn häusliche Gewalt gegen Frauen in der Rostocker Gewaltopferambulanz weiterhin der häufigste Untersuchungsanlass erwachsener Frauen war – 2018 gaben 48 % der untersuchten Frauen Partnerschaftsgewalt an – müssen die Zunahme männlicher Betroffener sowie ihre Bedürfnisse Beachtung finden. Der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge wurden im Jahr 2018 in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt 4317 Personen Opfer ihres Ehepartners oder Lebenspartners (2017: 3978), wobei jedoch keine Geschlechtsdifferenzierung vorgenommen wurde [8].
Die erste Erhebung der Rostocker Fälle zeigt, dass das Angebot der rechtsmedizinischen Befunddokumentation von männlichen Gewaltbetroffenen grundsätzlich gut angenommen wird, sich zunehmend aber auch insbesondere männliche Opfer von häuslicher Gewalt rechtsmedizinische Hilfe suchen. Dabei ist das Verletzungsbild der männlichen Verletzten dem von weiblichen Betroffenen sehr ähnlich: Todt et al. beschreiben als häufigste Verletzungsfolgen Hämatome, Hautabschürfungen und Hautrötungen, die gehäuft an den oberen Extremitäten, Kopf und Körperstamm von verletzten Frauen auftreten [9]. Einer Pilotstudie zur Gewalt gegen Männer in Deutschland zufolge haben 67 % der Betroffenen zwar keine Verletzungen davongetragen, 21 % haben jedoch über Hämatome und Prellungen berichtet, 7 % über Schmerzen und 5 % über Kopfverletzungen geklagt [10]. Auch bei den betroffenen Männern in vorliegender Erhebung dominieren stumpfe Gewalteinwirkungsfolgen, insbesondere gegen die obere Körperhälfte. Scharfe oder thermische Gewalt, Halskompressionen oder sexualisierte Gewalt wurden nicht angewandt, wobei jedoch auch das vergleichsweise kleine Kollektiv zu berücksichtigen ist.
Einer bundesweiten Prävalenzstudie zufolge berichteten 64 % der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen von körperlichen Verletzungen, 56–80 % über psychische Folgebeschwerden [11]. Ähnliche Dimensionen dürften auch für männliche Betroffene angenommen werden, auch wenn psychische Belastungen in rechtsmedizinischen Untersuchungen nur orientierend exploriert werden können. Um diese Annahme jedoch sicher zu verifizieren, wären weitere Untersuchungen mit einer größeren Kohorte erforderlich.
Ob es einen Trend zu dauerhaften oder systematischen Misshandlungen gibt, kann aufgrund der kleinen Kohorte nicht beantwortet werden, mehrere Männer berichteten jedoch, bereits mehrfach geschlagen worden zu sein; ein Mann gab an, dass es seit nahezu 3 Jahren fast täglich Übergriffe gebe. Es darf allerdings auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Angaben zum Sachverhalt und damit zu Häufigkeiten, möglichen Vorerkrankungen etc. bei Untersuchungen in den Gewaltopferambulanzen fast ausschließlich auf den Angaben der Geschädigten beruhen und somit durch die Untersucher nicht überprüft werden können: So stellten sich in 2 Fällen auch die Ehefrauen von betroffenen Männern in der Rostocker Gewaltopferambulanz vor, um ihrerseits eigene Verletzungen dokumentieren zu lassen.
Auffallend ist, dass sich überwiegend Betroffene aus den größeren Städten Rostock, Schwerin und Wismar an die rechtsmedizinische Ambulanz gewandt haben, deutlich seltener fanden Untersuchungen an Männern aus dem strukturschwächeren Umland statt: Vier Männer stammten aus dem großstadtnahen Landkreis Rostock; lediglich ein Mann suchte die Ambulanz aus dem weiter entfernten Landkreis Ludwigslust-Parchim auf. Auch wenn sich das Angebot der Gewaltopferambulanz grundsätzlich als aufsuchend versteht, bestätigen auch andere Untersuchungsanlässe den Trend, dass die Ambulanz eher von Betroffenen aus den Städten in Anspruch genommen wird. Ein Umstand, der in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern als problematisch zu werten ist und durch die Tatsache, dass sich auch das Hilfenetzwerk eher auf die urbanen Räume konzentriert, verstärkt wird.
Der bereits erwähnten Pilotstudie zufolge gaben 11 % der befragten Männer an, von ihren Partnerinnen körperlich angegriffen worden zu sein, z. B. geschlagen, geohrfeigt, getreten oder mit einem Gegenstand bedroht wurden zu sein [10]. Bundesweit sind im Jahr 2017 23.872 Männer (18,8 %) Opfer partnerschaftlicher Gewalt geworden, wobei die Altersklasse der 30- bis 39-Jährigen am häufigsten betroffen war [12]. Dass der Bedarf an rechtsmedizinischen Untersuchungen auch in Mecklenburg-Vorpommern vorhanden sein dürfte, verdeutlichen die Beratungszahlen des lokalen Beratungs- und Hilfenetzes, das nach eigenen Angaben im Jahr 2018 39 Männer in Fachberatungsstellen für sexualisierte Gewalt und 346 Männer in den Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking beraten hat [13]. In der Rostocker Interventionsstelle waren 2018 15,3 % der Betroffenen männlich; somit zeichnet sich auch dort eine Zunahme der männlichen Hilfesuchenden ab (2017: 10 %, 2016: 11,3 %, 2015: 10,7 %, 2014: 10 %) [14].
Ein gesellschaftlich offener, unterstützender Umgang mit der stigmatisierten Thematik häusliche Gewalt gegen Männer, wie etwa durch Medienkampagnen, dürfte als zwingende Voraussetzung gesehen werden, die Anzeigemotivation zu steigern. Außerdem sollten kontinuierlich weitere Fortbildungsmaßnahmen sowohl für medizinisches Personal als auch Akteure in den Hilfenetzwerken angestrebt werden, um diese ebenfalls für das Thema zu sensibilisieren.
Zwar stellte sich der Großteil der betroffenen Männer privat in der Gewaltopferambulanz vor, was darin begründet sein mag, dass das Angebot in den vergangenen Jahren regional intensiv medial beworben wurde und das entsprechende Wissen in der Bevölkerung vorhanden ist. Dennoch kommt auch klinischem Personal – insbesondere Ärzten, Pflegepersonal oder Mitarbeitern im Rettungsdienst – eine weichenstellende Funktion zu, die durch weitere gezielte Schulungen noch weiter verankert werden sollte.
In Mecklenburg-Vorpommern existiert ein etabliertes Hilfe- und Beratungsnetzwerk, welches jedoch vornehmlich auf weibliche Betroffene von Gewalt ausgerichtet ist. Schutzunterkünfte für Männer existieren im Land derzeit nicht. Die vorhandenen Männerberatungsstellen sind derzeit lediglich auf die Beratung tatsächlicher und potenzieller Täter ausgerichtet. Einer Kleinen Anfrage und der Antwort der Landesregierung aus 2018 zufolge würden im Dritten Landesaktionsplan jedoch auch männliche Gewaltopfer erfasst und weitere Maßnahmen geplant [15]. Wünschenswert wären spezielle Angebote für männliche Betroffene, wie sie beispielweise im benachbarten Bundesland Schleswig-Holstein etabliert sind: Dort bietet die Männerberatung an insgesamt 3 Standorten (Flensburg, Kiel und Elmshorn) neben niedrigschwelligen Beratungen u. a. auch Unterstützung bei der Verarbeitung des Erlebten [16].

Fazit für die Praxis

  • Die deutliche Zunahme der Untersuchungen im Jahr 2018 ist beachtenswert und betont die Bedeutung und Notwendigkeit eines derartigen Angebots.
  • Die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit sowie ein spezielles Angebot für von Partnerschaftsgewalt betroffene Männer, wie es etwa in Schleswig-Holstein bereits etabliert ist, ist anzustreben.
  • Auch wenn die reine rechtsmedizinische Befunddokumentation von Verletzungen betroffener Männer praktisch problemlos durchführbar sein sollte, sollten auch sie einfühlsam und fundiert beraten werden.
  • Dazu ist mehr belastbares Wissen zu dieser Thematik erforderlich, um dem stereotypen Bild gewalttätiger Männer mit einer faktenbezogenen Kenntnis begegnen zu können.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

V. Kolbe und A. Büttner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Diese retrospektive Studie erfolgte nach Konsultation der zuständigen Ethikkommission und im Einklang mit nationalem Recht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Zurück zum Zitat Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017) Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017) Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention)
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Zurück zum Zitat Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion DIE LINKE „Männerberatung und spezifische Angebote im Hilfesystem für Betroffene von häuslicher Gewalt Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung. Drucksache 7/2046 Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion DIE LINKE „Männerberatung und spezifische Angebote im Hilfesystem für Betroffene von häuslicher Gewalt Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung. Drucksache 7/2046
Metadaten
Titel
Häusliche Gewalt gegen Männer – auch ein rechtsmedizinisches Problem?
verfasst von
V. Kolbe
A. Büttner
Publikationsdatum
28.02.2020
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Hämatom
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 2/2020
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-020-00382-4

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