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Erschienen in: Psychotherapeut 1/2005

01.01.2005 | Originalien

Differenzialdiagnostik

Borderlinepersönlichkeitsstörung und komplexe posttraumatische Belastungsstörung

verfasst von: Dr. Thomas Kühler, Renate Stachetzki

Erschienen in: Die Psychotherapie | Ausgabe 1/2005

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Zusammenfassung

Die allgemein gebräuchlichen Diagnosemanuale ICD-10 und DSM-IV weisen bei der Kategorie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) Mängel auf, die herausgearbeitet und mit anderen, schon vorliegenden diagnostischen Beschreibungen verglichen werden. Ein Vergleich der diagnostischen Kriterien der chronifizierten PTSD mit denen der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetypus weist auf vielfältige Überlappungen der beiden Störungsbilder hin, die in der Fachdiskussion der letzten Jahre auch schon zu der Frage geführt haben, ob die Borderlinestörung nicht eigentlich eine chronifizierte PTSD sei. Demgegenüber vertreten die Autoren die Ansicht, dass sich die Borderlinestörung sehr wohl von der chronifizierten und komplexen PTSD unterscheiden lässt. Die immer wieder zu beobachtende Besserung einer „Borderlinesymptomatik“, die sich auch in der Katamnese als stabil erweist, bestätigt die Existenz einer Subgruppe von Patienten unter den sog. Borderlinestörungen, die innerhalb der gebräuchlichen Diagnosemanuale in einer neuen Kategorie, nämlich der „chronifizierten komplexen posttraumatischen Belastungsstörung“ erfasst werden müsste. Ein Fallbeispiel illustriert die Ausführungen.
Fußnoten
1
Die neurobiologischen Veränderungen als Folgen von Traumatisierungen sind nach der Übersicht von van der Kolk et al. (1999) kurz zusammengefasst in folgenden Vorgängen zu sehen: - Aufgrund der rechtsseitigen Aktivierung der Amygdala und verwandter Strukturen entsteht eine isolierte Speicherung von Erfahrungen in filmähnlicher Form ohne Verbindung zu linguistischen Komponenten. (Bilder laufen ab, ohne versprachlicht werden zu können.) - Aufgrund einer Abnahme der linken unteren Präfontalaktivität werden Erlebnisse nichtsequenziell verarbeitet. Die Folge sind häufig Zustände von „zeitlosem“ oder „ichfremdem“ Erleben. - Die bei Traumapatienten zu beobachtende verringerte Größe des Hippocampus kann erklären, wieso sensorische Eindrücke nicht zu einem Ganzen integriert wurden und werden. - Bei Traumapatienten findet man eine veränderte Aktivierung des Cingulums auf potenziell bedrohliche Reize; dies kann dazu führen, dass diese Menschen nicht mehr zwischen gefährlichen und neutralen Reizen unterscheiden können, und dass sie in beiden Fällen ein schnelles Hyperarousal zeigen.
 
2
Die Patientin bringt hier mit ihren eigenen Worten ein inneres Geschehen zum Ausdruck, das den neurophysiologischen Befunden in den Studien der letzten Jahre (vgl. van der Kolk et al. 1999; Kapfhammer 2001) entspricht: das für Traumatisierungen typische Bild der separaten Speicherung von Bild- und Worterinnerungen der traumatischen Erlebnisse.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Differenzialdiagnostik
Borderlinepersönlichkeitsstörung und komplexe posttraumatische Belastungsstörung
verfasst von
Dr. Thomas Kühler
Renate Stachetzki
Publikationsdatum
01.01.2005
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Die Psychotherapie / Ausgabe 1/2005
Print ISSN: 2731-7161
Elektronische ISSN: 2731-717X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00278-004-0379-9

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