Erschienen in:
10.05.2016 | Psychotherapie | Originalien
Achtsamkeit
Wahrnehmen ohne Urteilen – oder ein Weg, Ethik in der Psychotherapie zu verkörpern?
verfasst von:
Prof. Dr. med. Paul Grossman, Luise Reddemann
Erschienen in:
Die Psychotherapie
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Ausgabe 3/2016
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Zusammenfassung
In den letzten 3 Jahrzehnten werden in der westlichen Psychologie, Psychotherapie und Medizin Ansätze als anziehend angesehen, die auf Achtsamkeit als besondere Form urteilsfreier Wahrnehmung abzielen. Jedoch ist Achtsamkeit ihren Wurzeln aus dem frühen Buddhismus zufolge ein wesentlicher Bestandteil einer Reihe von ethischen Werten, und deren Ausdruck ist verkörperte Ethik. Diese ethischen Aspekte betrachten wir als Chance, um Achtsamkeit therapeutisch zu nutzen.
Buddhistische Psychologie strebt, ähnlich wie westliche psychodynamische und andere psychotherapeutische Ansätze, danach, die Erfahrung von Leid zu verstehen und die Linderung von Leid zu ermöglichen. Wir gehen davon aus, dass absichtsvolle Praxis von Achtsamkeit (wie weiter unten erläutert) eine neue (und uralte) Dimension der Pflege von ethischen Haltungen wie Freundlichkeit, Geduld, Toleranz, Großzügigkeit, Mitgefühl und Mut hinzufügt. Anhaltendes Gewahrsein des Spektrums momentaner Erfahrungen kann sonst unzugänglich bleiben. Die wohlwollenden Haltungen ermöglichen es, sogar unter schwierigen Umständen Zustände von physischem und psychischem Wohlbefinden zu erleben. Es entfaltet sich sowohl in körperlicher wie mentaler Hinsicht ein Prozess, der eine Synergie von Aufmerksamkeit und ethischen Absichten ermöglicht, die im Wortsinn eine verkörperte ethische Präsenz bedeuten. Wir diskutieren die Implikationen dieser Art von Verständnis von Achtsamkeit im Hinblick auf derzeitig gängige psychotherapeutische Richtungen.