Erschienen in:
01.03.2011 | Originalarbeit
Mona Lisa hinter Glas
Die Herausforderung ästhetischer Erfahrungen
verfasst von:
Dr. med. Diana Pflichthofer
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
|
Ausgabe 1/2011
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Zusammenfassung
Betritt man heute ein Museum, so sieht man sich relativ bald einer Glasbarriere gegenüber. Die Mona Lisa verbirgt sich im Louvre hinter Panzerglas, Nofretete hat im Neuen Museum in Berlin gar in einem ganzen Glaskasten auf gefedertem Fundament ihren neuen Aufenthaltsort gefunden. Es handelt sich um Kunstwerke, Objekte, die verehrt, bewundert, geliebt, gehasst und zerstört werden. Wir können uns von ihnen berühren lassen, sie allerdings sind für uns in der Regel nicht (mehr) berührbar. Aber: Der zunehmenden Entrückung der Kunstwerke stehen die Kunstattentate gegenüber.
Haben der Besuch in einem Museum und eine psychoanalytische Stunde etwas gemeinsam? Gibt es aus Kunstattentaten etwas für uns zu lernen, oder können wir diese einfach als das unverständliche Werk schwer gestörter Persönlichkeiten abstempeln?
Kunstwerke haben ebenso wie die Psychoanalytiker die Macht, ästhetische, das heißt sinnliche Erfahrungen zu ermöglichen, die verwandeln können. Im Gegensatz zu dem immer wieder mit der Ästhetik in Verbindung gebrachten Begriff des „Schönen“ können diese Verwandlungen jedoch auch verstörend sein.
Der Eintritt in die psychoanalytische Praxis schafft – ebenso wie der Eintritt ins Museum – einen Spannungszustand zwischen der sinnlichen Präsenz der Objekte, ihrer Verführungskraft, ihrer Aufforderung, sie sinnlich aufzunehmen, auf der einen und dem gleichzeitigen sinnlichen Entzug, dem Gebot des Abstandhaltens und dem Berührungsverbot auf der anderen Seite.
Unter diesem Aspekt betrachtet, liest man eher selten von Angriffen auf Psychoanalytiker oder auf ihr Praxisinventar. Aber es kommt vor. Margaret Little lässt uns von solchen – geschehen während ihrer Analyse bei Winnicott – wissen.
Was wird zerstört, wenn ein Bild zerstört wird? Sollten Attentate vielleicht den Versuch darstellen, eine sinnliche Antwort zu provozieren, die die Existenz und Wirksamkeit des Subjekts bestätigen soll? Diese Suche nach Antwort wäre auch eine mögliche Begründung für die nicht enden wollenden neuen Theorien, über das „wirkliche Vorbild“ der Mona Lisa. Dieser Ansatz neigt dazu, das Gemälde als reines Zeichen zu sehen, das auf ein Signifikat verweist, vielleicht, um sich vor der sinnlichen Präsenz des Gemäldes zu schützen.
Entsprechend könnten auch psychoanalytische Theorien, so sie über das ethisch notwendige Gebot der anhaltenden Reflexion scheinbar erhaben sein sollen, als Glasscheibe dienen, hinter der sich die Analytikerin in Sicherheit bringen kann, die aber auch ungeheure Verzweiflung und Zerstörungswut aufseiten des Patienten auszulösen imstande ist.