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Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 1/2014

01.03.2014 | Originalarbeit

Wie heilig sind uns psychoanalytische Konzepte?

verfasst von: Dr. phil. Anna Ursula Dreher

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 1/2014

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Zusammenfassung

Unsere Konzepte sind jene sprachlichen Werkzeuge, die wir sowohl in der klinischen Arbeit als auch in der kollegialen und wissenschaftlichen Kommunikation benutzen. Aus vielfältigen Gründen sind Bedeutung und Gebrauch von Konzepten einem beständigen historischen und wissenschaftlich begründeten Wandel unterworfen. Es ist gelegentlich jedoch auch ein gegenläufiger Trend beobachtbar: Die Bedeutung von Konzepten soll kodifiziert werden, sie werden damit gleichsam „heilig“ gesprochen. In dieser Arbeit wird dafür plädiert, Konzepte nicht als „heilig“ anzusehen, sondern als anpassungsfähig und veränderbar. Dabei gilt es jedoch, einige jener Eigenschaften unserer Konzepte zu bewahren, die daraus resultieren, dass unsere Konzepte sich auf einen speziellen Gegenstand beziehen – die menschliche Psyche – und dass unsere Konzepte sich in der klinischen Praxis bewähren müssen.
Fußnoten
1
Einen systematischen Forschungsansatz, den tatsächlichen klinischen Gebrauch analytischer Konzepte samt der Veränderungen in kulturellen und historischen Kontexten zu untersuchen, stellt die psychoanalytische Konzeptforschung dar. In Forschungsprojekten zu konkreten Konzepten (zum Beispiel psychisches Trauma) kann eine ganze Reihe empirischer, qualitativ-hermeneutischer, historischer und philologischer Methoden zum Einsatz kommen (Dreher 2000, 2005).
 
2
Vor allem auch die in der klinischen Forschung eingesetzten Methoden sollten in der Lage sein, dynamisch-unbewusste Phänomene, auf die unsere Konzepte ja referieren, überhaupt erfassen zu können. Viele am Empirismus orientierten Methoden scheitern jedoch daran, unbewusste Phänomene messend zu erfassen. Daraus die Konsequenz zu ziehen und dynamisch-unbewusste Prozesse gänzlich unbeachtet zu lassen, würde die Psychoanalyse einer ihrer zentralen Ideen berauben. Unsere Stärken sind nicht die Vermessung und Erklärung der Welt der manifesten Phänomene, sondern das Aufdecken und Verstehen latenter Dynamiken dahinter.
 
3
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems.
 
4
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders.
 
5
Eine aktuelle Arbeit über die grundsätzliche Begrenztheit der naturwissenschaftlichen Weltsicht hat Thomas Nagel (2013) vorgelegt. Er erläutert, warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist.
 
6
In der Psychoanalyse ist empirisch ein weit gefasstes Konzept. Es umfasst nicht nur Phänomene der äußeren Realität, sondern auch Phänomene der psychischen Realität. Dass jeder Mensch nicht nur in einer sozial geteilten Realität lebt, sondern sich zudem seineinnere Welt schafft, die nicht einfach ein Abbild der äußeren Realität ist, ist konstitutiv für das psychoanalytische Weltbild.
 
7
Die Archäologie zum Beispiel zieht großen Erkenntnisgewinn daraus, dass neben naturwissenschaftlichen Methoden auch historisch-rekonstruktive und hermeneutisch-interpretative Methoden Verwendung finden. Dieser Methodenmix muss natürlich kombiniert werden, der Einsatz interpretativer Methoden schadet dem Status der Archäologie als Wissenschaft aber in keiner Weise.
 
8
Die Idee, dass sich die Bedeutung von Konzepten nur unter Bezugnahme auf holistische Sprachspiele bestimmen lässt, geht zurück auf Wittgenstein (1969).
 
9
Im Folgenden zitiere ich aus einem Interview, das in einem der nächsten Hefte vom Forum der Psychoanalyseerscheinen wird (Dreher 2014, im Druck).
 
10
Im Jahr 1923 formuliert als Grundpfeiler, als „Hauptinhalte der Psychoanalyse und … Grundlagen ihrer Theorie“ (Freud 1923, S. 223). Hier rangiert der Ödipuskomplex neben dem Unbewussten, der Verdrängung, dem Widerstand und der Rolle der Sexualität.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Carroll L (2002) Die Alice-Romane (Alices Abenteuer im Wunderland; Durch den Spiegel und was Alice dort fand). Philipp Reclam jun., Stuttgart (Orig. 1872) Carroll L (2002) Die Alice-Romane (Alices Abenteuer im Wunderland; Durch den Spiegel und was Alice dort fand). Philipp Reclam jun., Stuttgart (Orig. 1872)
Zurück zum Zitat Dreher AU (2000) Foundations for conceptual research in psychoanalysis. International Universities Press, Madison. (Erweiterte Fassung von: Dreher AU (1998) Empirie ohne Konzept? Einführung in die psychoanalytische Konzeptforschung. Klett-Cotta, Stuttgart) Dreher AU (2000) Foundations for conceptual research in psychoanalysis. International Universities Press, Madison. (Erweiterte Fassung von: Dreher AU (1998) Empirie ohne Konzept? Einführung in die psychoanalytische Konzeptforschung. Klett-Cotta, Stuttgart)
Zurück zum Zitat Dreher AU (2005) Conceptual research. In: Person ES, Cooper AM, Gabbard GO (Hrsg) Textbook of psychoanalysis. American Psychiatric Publishing, Arlington Dreher AU (2005) Conceptual research. In: Person ES, Cooper AM, Gabbard GO (Hrsg) Textbook of psychoanalysis. American Psychiatric Publishing, Arlington
Zurück zum Zitat Dreher AU (2014) Psychoanalyse und IPV in Zeiten der Globalisierung – Interview mit Stefano Bolognini (Arbeitstitel). Forum Psychoanal 30: (im Druck) Dreher AU (2014) Psychoanalyse und IPV in Zeiten der Globalisierung – Interview mit Stefano Bolognini (Arbeitstitel). Forum Psychoanal 30: (im Druck)
Zurück zum Zitat Freud S (1923) „Psychoanalyse“ und „Libidotheorie“. Gesammelte Werke, Bd 13. Fischer, Frankfurt a. M. Freud S (1923) „Psychoanalyse“ und „Libidotheorie“. Gesammelte Werke, Bd 13. Fischer, Frankfurt a. M.
Zurück zum Zitat Freud S (1939) Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW, Bd 16. Fischer, Frankfurt a. M. Freud S (1939) Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW, Bd 16. Fischer, Frankfurt a. M.
Zurück zum Zitat Habermas J (1971) Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. In: Habermas J, Luhmann N (Hrsg) Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 101 ff. Habermas J (1971) Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. In: Habermas J, Luhmann N (Hrsg) Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 101 ff.
Zurück zum Zitat Kohut H (1984) Wie heilt die Psychoanalyse? Suhrkamp, Frankfurt a. M. (1989) Kohut H (1984) Wie heilt die Psychoanalyse? Suhrkamp, Frankfurt a. M. (1989)
Zurück zum Zitat Nagel T (2013) Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Suhrkamp, Berlin Nagel T (2013) Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Suhrkamp, Berlin
Zurück zum Zitat Sandler J (1983) Die Beziehung zwischen psychoanalytischen Konzepten und psychoanalytischer Praxis. Psyche – Z Psychoanal 37:577–595 Sandler J (1983) Die Beziehung zwischen psychoanalytischen Konzepten und psychoanalytischer Praxis. Psyche – Z Psychoanal 37:577–595
Zurück zum Zitat Snow CP (1959) The two cultures. Cambridge University Press, London Snow CP (1959) The two cultures. Cambridge University Press, London
Zurück zum Zitat Wittgenstein L (1969) Philosophische Untersuchungen. In: Schriften, Bd 1. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 278–544 Wittgenstein L (1969) Philosophische Untersuchungen. In: Schriften, Bd 1. Suhrkamp, Frankfurt a. M., S 278–544
Metadaten
Titel
Wie heilig sind uns psychoanalytische Konzepte?
verfasst von
Dr. phil. Anna Ursula Dreher
Publikationsdatum
01.03.2014
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 1/2014
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-014-0171-6

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