Erschienen in:
01.03.2004 | Originalarbeiten
Patientenselbstbestimmung und Patientenverfügungen aus der Sicht von Patienten mit amyotropher Lateralsklerose
Eine qualitativ-empirische Studie
verfasst von:
Dipl. Psych. Nicole Burchardi, Oliver Rauprich, Prof. Dr. Jochen Vollmann
Erschienen in:
Ethik in der Medizin
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Ausgabe 1/2004
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Zusammenfassung
Patientenselbstbestimmung und Patientenverfügungen (PV) haben zunehmende Bedeutung und Beachtung erfahren. In der vorliegenden qualitativen Studie wurden 15 Patientinnen und Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS)—einer unheilbaren, chronisch-degenerativen Erkrankung mit vorhersehbarer Symptomatik—interviewt, um zu erfahren, welche Werte und Kriterien sie bei prospektiven Entscheidungen am Lebensende und bei der Abfassung von PV zugrunde legen. Die Auswertung erfolgte nach der Methode der „grounded theory“. Die befragten Patientinnen und Patienten befürworteten einen Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungen, wenn sie keine hinreichenden Lebensmöglichkeiten (LM) mehr sahen, d. h. wenn sie die aktuelle Lebensqualität für unzureichend erachteten und die Chance auf Besserung als gering einschätzten. Dem Patientenwillen sprachen sie bei der Entscheidungsfindung ein Vetorecht zu. Patientenverfügungen fassten sie erst ab, als sie keine Hoffnung mehr auf Besserung ihrer Erkrankung hatten. Sie verstanden diese als Instrumente zur vorsorglichen Erklärung ihres Wunsches, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, wenn die LM inakzeptabel geworden sind. Damit wollten sie sich gegenüber dem Arzt absichern, den sie in der Rolle eines Anwalts des Lebens sahen und mit dem sie daher ihre Behandlungswünsche nicht besprochen haben. Trotz vorhersehbarer Symptomatik legten sie in ihren PV keine spezifischen Behandlungswünsche nieder, sondern verwendeten allgemeine Formularmuster ohne konkreten Bezug zu ihrer Erkrankung. Daher bestehen auch bei dieser Patientengruppe Zweifel, ob die PV in einer konkreten Behandlungssituation hilfreich sind.