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Erschienen in: Der Schmerz 5/2018

Open Access 17.07.2018 | Pflege | Schwerpunkt

painApp – mobiles Schmerzmonitoring in der häuslichen Versorgung

verfasst von: Prof. Dr. A. Ewers, I. Gnass

Erschienen in: Der Schmerz | Ausgabe 5/2018

Zusammenfassung

Hintergrund

Ein suffizientes Schmerzassessment ist ein unabdingbares Element in der Prävention und Behandlung akuter und chronischer Schmerzen. In der Regel wird das Schmerzassessment mithilfe von Schmerzfragebögen, Schmerzzeichnungen oder ähnlichen Tools dokumentiert. Die Nutzung einer unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten entwickelten App zum Schmerzmanagement im häuslichen Setting ist in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht flächendeckend etabliert. Gleichwohl stehen bereits seit einigen Jahren verschiedene Apps zur Verfügung, die unter anderem für ein Schmerzscreening geeignet sind. Die Dokumentation der Daten durch die Patienten und der Transfer an ein Webportal zur Einsicht des behandelnden Hausarztes können helfen, die bestehende Kommunikationslücke zwischen den Hausarztbesuchen der Patienten sinnvoll zu schließen.

Ziel der Arbeit (Fragestellung)

Das Ziel der Studie war die Entwicklung einer Softwarelösung zur Verbesserung des Schmerzmanagements in der häuslichen Versorgung. Es wurden designtechnische Fragestellungen zum Layout und zur Navigation der painApp sowie nutzerrelevante Fragestellungen zum Schmerzmanagement (Ruhe- und Belastungsschmerz, Einnahme der Schmerzmedikation, Zufriedenheit mit der Schmerzsituation) an die Nutzer (Patienten, Hausarzt) gestellt.

Material und Methoden

Anhand einer formativen Evaluation mit insgesamt vier Evaluationszeitpunkten und einer Abschlussbefragung erfolgte in einem Erhebungszeitraum von 12 Monaten die nutzerzentrierte Entwicklung und praxisbasierte Testung der painApp unter Beteiligung der Patienten mit einem Alter von ≥65 Jahren. Ebenso wurde in dem genannten Zeitraum ein Webportal zur Darstellung der dokumentierten Daten unter Beteiligung der Hausärzte entwickelt und getestet.

Ergebnisse und Diskussion

Es konnte die nutzerorientierte Applikation painApp als Prototyp mit hoher Akzeptanz für die Anwendung von älteren Menschen entwickelt werden. Dies beinhaltet auch die technischen Voraussetzungen, die erhobenen Daten aus der painApp in ein Webportal zu transferieren und den Hausärzten in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.
Schmerz zeigt sich als ständig präsentes Phänomen, trifft Menschen jeden Alters und hat nicht nur Folgen für die Betroffenen, sondern auch für die gesamte Gesellschaft [3]. Die Nutzung mobiler Softwarelösungen kann vor allem im häuslich-ambulanten Bereich zur Verbesserung des Schmerzmanagements der Patienten führen. Das dargestellte Forschungsprojekt wurde vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), der Europäische Union (EU) sowie vom Forschungsförderungsfond der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg finanziell unterstützt. Kooperationspartner war die smart-Q Softwaresysteme GmbH in Bochum, die für die Einhaltung des Datenschutzgesetzes und die technische Umsetzung der Inhalte der painApp verantwortlich war.

Hintergrund und Fragestellung

In der Literatur wird die Schmerzprävalenz von Patienten im häuslich-ambulanten Bereich international mit etwa 70 % angegeben [13]. Für die Bundesrepublik Deutschland stehen, zumindest auf regionaler Ebene, die ersten belastbaren Daten zur Schmerzprävalenz im häuslich-ambulanten Bereich zur Verfügung [16]. Im Bereich deutscher Hausarztpraxen zeigt sich eine Punktprävalenz von 18,6 % der Patienten, die länger als 3 Monate über Schmerzen klagen [12].
Das Gut Gesundheit ist stark mit dem Alter der Menschen verknüpft [21]. Covinsky et al. [5] konnten in diesem Zusammenhang aufzeigen, dass Menschen mit chronischen Schmerzen im Alter von 50 bis 59 Jahren hinsichtlich ihrer Abhängigkeit und Funktionalität Menschen in einem Alter zwischen 80 und 89 Jahren entsprechen, die nicht über chronische Schmerzen klagen. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass chronischer Schmerz als „Beschleuniger hin zum geriatrischen Patienten bereits im mittleren Lebensalter wirken kann“ [21].
Chronische Schmerzen des muskuloskeletalen Systems sind die häufigsten Ursachen dafür, dass Patienten zum Arzt gehen [19]. Im Bereich der Rückenschmerzen steht die Schmerztherapie sogar im Vordergrund des hausärztlichen Handelns [4]. Die Behandlung von Schmerzen beim Hausarzt wird in der Literatur jedoch als zentrales Problem in Hausarztpraxen beschrieben [18]. Häuser et al. [11] stellen im Rahmen einer Studie zu den Prädiktoren von Schmerzen in mehreren Körperregionen fest, dass über 34 % der Personen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren wie auch im Alter über 75 Jahre mindestens 2 bis maximal 5 Schmerzlokalisationen rückblickend auf die letzten 7 Tage angeben. Dies zeigt, wie individuell das jeweilige Schmerzmanagement auf die Patienten und ihre Schmerzen abgestimmt sein muss und welch hohen Stellenwert bereits jetzt die Kompetenz der Haus- und Fachärzte im Schmerzmanagement hat.

mHealth und Apps im Gesundheitswesen

Bereits heute sind Tools zum Schmerzmanagement in der hausärztlichen Praxis in Verwendung [2], die den Bereich mHealth („mobile Health“) im häuslich-ambulanten Sektor bereichern. Die World Health Organization (WHO; [22, S. 6]) definiert den Begriff mHealth wie folgt:
Das Global Observatory for eHealth (GOe) hat mHealth oder mobile Gesundheit als Praktiken und Verfahren der medizinischen und öffentlichen Gesundheitsfürsorge definiert, die durch Mobilgeräte wie Mobiltelefone, Patientenüberwachungsgeräte, persönliche digitale Assistenten (PDA) und andere drahtlose Geräte gestützt werden. (Übersetzung aus dem Englischen)
Anwendungen im Bereich mHealth sind in der Regel auf chronische Krankheitsbilder zum Selbstmanagement ausgerichtet. Sie setzen ihren Fokus auf die Realisierung flexibler, zeitlich und örtlich unabhängiger Kommunikationsstrukturen, die Förderung der Kommunikation sowie die nachhaltige Dokumentation von Informationen [9]. Aus diesem Grund ist der Ansatz von mHealth im Schmerzmanagement prädestiniert für den flächendeckenden Einsatz im häuslich-ambulanten Bereich.
Die freie Verfügbarkeit von Apps im Gesundheitssektor ist jedoch als problematisch zu beschreiben, da die Bedürfnisse der Nutzerinnen in der Regel außer Acht gelassen werden [17], die Evidenz in Bezug auf den Nutzen der App nicht ausreichend belegt ist [10], eine mangelnde Transparenz in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten vorliegt [7] und die Veröffentlichung von Apps meist Vorrang vor deren Qualität und Nutzen hat [14]. Die Anzahl der schmerzbezogenen Apps lag im Jahr 2013 bei 283 [7]. Von diesen 283 Apps wurde keine App unter wissenschaftlicher Begleitung entwickelt [7]. Das Ziel des Forschungsprojekts war daher die nutzerzentrierte Entwicklung und praxisbasierte Testung des Anwendungsprogramms painApp, welches die schmerztherapeutische Versorgung älterer Menschen in der hausärztlichen Versorgung unterstützt.
Die Fragestellungen des Projekts sind in design-technische Fragen und nutzungsrelevante Fragen unterteilt (Infobox 1). Neben der Beantwortung dieser Fragen sollte sichergestellt werden, dass die behandelnden Hausärzte über ein Webportal die Daten ihrer Patienten einsehen und ggf. zeitnah durch die Einbestellung der Patienten in die Hausarztpraxis darauf reagieren können.
Infobox 1 Fragestellungen des Forschungsprojekts
Designtechnische Fragestellungen:
  • Wie werden die audiovisuellen Komponenten der painApp von den Anwendern beurteilt?
  • Fördert der Einsatz von Farben für die Navigation die Übersichtlichkeit des Programms und dessen Bedienung?
  • Inwieweit lassen sich personenspezifische Unterschiede in der Nutzung der painApp beobachten?
Nutzungsrelevante Fragestellungen:
  • Wie stark ist der Schmerz der Betroffenen zu bestimmten Messzeitpunkten in Ruhe?
  • Wie stark ist der Schmerz der Betroffenen zu bestimmten Messzeitpunkten bei Belastung?
  • Bei welchen Aktivitäten des täglichen Lebens verstärkt sich der Schmerz bei der/dem Betroffenen?
  • Werden verordnete Medikamente zur Schmerztherapie eingenommen?
  • Wie zufrieden ist der Betroffene mit der Schmerzbehandlung?
  • Welche Optimierungsmöglichkeiten des Schmerzmanagements werden vom Betroffenen angeregt?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

In der Studie wurde mit der Methode der formativen Evaluation ein qualitativer Forschungsansatz gewählt. Bei der formativen Evaluation wird im Gegensatz zur summativen Evaluation kein Vergleich zwischen einem erwarteten und einem tatsächlich erreichten Ergebnis gezogen. Vielmehr werden durch das Setzen einzelner Evaluationszeitpunkte Zwischenergebnisse produziert, die nach jeweiliger Analyse zu einer Veränderung des weiteren Entwicklungsprozesses führen können. Damit ist gewährleistet, dass eine Entwicklung anhand von festgelegten Indikatoren vorangetrieben werden kann. Hauptort der Studie war die Stadt Münster in Westfalen. Im Erhebungszeitraum vom 01.01.2014 bis 31.12.2014 wurden an insgesamt vier Evaluationszeitpunkten (im Zeitraum von einer Woche jeweils im März 2014, Juli 2014, September 2014, Dezember 2014) anhand von Interviewleitfäden Einzelinterviews mit den Patienten zur painApp und Einzelinterviews mit ihren Hausärzten zum Webportal geführt. Der Fokus der Untersuchung beruht auf der Beantwortung der in Infobox 1 dargestellten Fragen in Bezug auf designtechnische Punkte und der Verständlichkeit der Fragen zum Schmerz. Die Fragen im Interviewleitfaden zur Verständlichkeit, Handhabbarkeit und zum Nutzen der Tablet-basierten painApp wurden an die Patienten angepasst, je nachdem, ob sie erst kurze oder bereits längere Zeit mit der App ihre Schmerzen dokumentierten. Die Interviews wurden sprachlich aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Hausärzte wurden zu ihren Erfahrungen mit dem Webportal befragt. Am Projektende erfolgte eine Abschlussbefragung der Patienten als Gruppendiskussion zu ihren Erfahrungen und Meinungen zur painApp.

Einschlusskriterien der Hausärzte und Patienten

Die Hausärzte konnten in das Projekt eingebunden werden, wenn sich die aus ihrer Praxis an der Studie beteiligten Patienten seit mindestens 3 Monaten in der Behandlung des Hausarztes befanden. Die Patienten konnten dann in das Forschungsprojekt eingebunden werden, wenn sie mindestens 65 Jahre alt waren, eine schmerzassoziierte Erkrankung nach ICD-10 aufwiesen und keine kognitiven Einschränkungen vorlagen. Die Alterseinschränkung ergab sich aus dem Förderprogramm der EU und des Landes NRW, das eine Einbindung von Patienten ab dem 65. Lebensjahr vorsah.

Stichproben und Stichprobengrößen

Bei den Stichproben der Patienten und Hausärzte handelte es sich um Gelegenheitsstichproben. Die geplante Stichprobengröße lag bei 30 Patienten. Die Rekrutierung der Hausärzte und ihrer Patienten erfolgte zunächst ausschließlich in Münster, wobei der größte Teil der Hausärzte aus dem Hausärzteverbund Münster rekrutiert werden konnte. Insgesamt konnten so Zug um Zug 8 Hausärzte und 15 Patienten in die Studie eingeschlossen werden. Da die angestrebte Zahl von 30 Patienten noch nicht erreicht wurde und zu erwarten war, dass weitere Hausärzte in Münster nicht zu rekrutieren waren, erfolgte durch persönliche Kontakte eine gezielte Anfrage an Hausärzte der Stadt Bochum. Auf diese Weise konnten ein Hausarzt und weitere 5 Patienten gewonnen werden.
Die beteiligten 9 Hausärzte waren männlich und länger als 5 Jahre als Hausärzte tätig. Von den 20 in die Studie aufgenommenen Patienten waren 12 Patienten männlich, 8 Patienten waren weiblich. Die jüngste Patientin war 66 Jahre, die älteste Patientin 90 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 75 Jahren. Zwei der 20 Patienten verfügten vor Studienteilnahme über ein Smartphone bzw. einen Tablet-Computer. Acht Patienten bezeichneten sich als technikaffin und damit als geübte Nutzer im Umgang mit modernen Kommunikationsmedien. Zehn Patienten bezeichneten sich als ungeübte Nutzer im Umgang mit mobilen Technologien. Zwei PatientInnen gaben Einschränkungen der Sehkraft bzw. der Hörfähigkeit an. Die beteiligten Patienten litten an akuten oder chronischen Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems mit zentralen ICD-Codes in den Bereichen M17–M54 sowie R52.

Entwicklung der painApp und des Webportals

Die erste Konzeption der painApp basierte auf den in der Literatur empfohlenen Grundsätzen für die barrierefreie Handhabbarkeit von Apps bei älteren Menschen [1] und den Empfehlungen zur Schmerzerfassung von akuten und chronischen Schmerzen bei älteren Menschen [6, 8]. Zentraler Anspruch war es, die Menüführung der painApp und deren Inhalte alltagstauglich zu gestalten. So galt es, sowohl den eher textlich orientierten Anwender der App wie auch den ikonografisch orientierten Anwender in der Gestaltung der App anzusprechen (Abb. 123 und 4). Nach den jeweiligen Evaluationszeitpunkten wurden die Antworten der Patienten analysiert, Vorschläge zu Veränderungen in der App seitens der Patienten wurden geprüft und in der Regel auch umgesetzt. Durch diese Vorgehensweise konnte die finale Version der App generiert werden. Die App ist sowohl mit einem Windows-Betriebssystem wie auch mit einem iOS-Betriebssystem einsetzbar.
Das Webportal dient dazu, die von den Patienten dokumentierte Schmerzeinschätzung so darzustellen, dass der Hausarzt nach kurzem Blick ein möglichst umfängliches Bild aus den Informationen zur Schmerzsituation des Patienten erhält (Abb. 5). In den Interviews mit den Hausärzten wurden deren Anregungen zu Veränderungen im Webportal oder der App ebenfalls aufgegriffen, geprüft und in der Regel umgesetzt. So äußerte die Mehrzahl der Hausärzte den Wunsch, den Export und Versand der Daten aus dem Webportal durch eine Fax-Schnittstelle zu ermöglichen. Ebenso regten die Hausärzte an, die Einstellung der Dokumentationsintervalle der Patienten individuell anpassen zu können.

Schulung der Patienten und Hausärzte

Die Patienten erhielten umfassende Schulungen in der Nutzung der painApp sowie ein dazu erstelltes Benutzerhandbuch. Während der gesamten Datenerhebungsphase wurde eine telefonische Hotline für die Patienten eingerichtet, um Probleme in der Anwendung der App direkt mit dem Projektteam zu besprechen. Die Hausärzte erhielten eine ausführliche Einweisung in das Webportal, zur Datensicherheit und zum Zugriff auf das Webportal.

Datenschutz und ethisches Clearing

Die Zustimmung zur Teilnahme der Patienten und ihrer Hausärzte erfolgte schriftlich und auf freiwilliger Basis. Jeder Teilnehmer konnte jederzeit und ohne Angabe von Gründen die Teilnahme am Projekt beenden. Die Daten aus der painApp wurden auf einem separaten Server pseudonymisiert gespeichert. Zusätzlich wurde eine Mehrfachauthentifizierung zwischen dem jeweiligen Computer der Hausärzte und dem Datenserver eingerichtet. Im Webportal wurde sichergestellt, dass die Patientendaten nur vom jeweiligen Hausarzt eingesehen werden konnten. Das ethische „clearing“ der Studie erfolgte mit positivem Bescheid durch die Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Projektbeirat

Das Projekt wurde von einem Projektbeirat auf ehrenamtlicher Basis begleitet. Die Aufgaben des Beirats bestanden in der wissenschaftlichen Beratung zu spezifischen medizinischen, pflegerischen oder medizintechnologischen Fragestellungen. Bei den Mitgliedern des Projektbeirats handelte es sich um lokale Akteure im häuslichen Bereich aus Pflege und Medizin, aus dem Bereich Gesundheitsplanung der Stadt Münster sowie des Datenschutzes. Die Treffen des Projektbeirats erfolgten im halbjährlichen Zyklus.

Datenerhebung und Auswertung

Die Patienten erhielten zu Projektbeginn die painApp auf einem Tablet (Samsung Galaxy Tab II) ausgehändigt. Die Befragungen der Patienten und Hausärzte zur painApp bzw. zum Webportal erfolgten als Einzelinterviews unmittelbar am Ende der jeweiligen Testzeiträume der App. Die Interviews der Patienten wurden inhaltsanalytisch nach Mayring [15] ausgewertet. Hierbei wurden die Interviews entlang der in den Interviewleitfäden gesetzten Themenbereiche in ein Codierschema umgewandelt. Entlang dieses Codierschemas wurden entsprechende Aussagen in den Interviews systematisch zusammengefasst. Die Beiträge innerhalb der Gruppendiskussion, die im Rahmen einer Abschlussbefragung mit den Patienten erfolgte, wurden in Anlehnung an Ruddat [20] ausgewertet. Der Ansatz von Ruddat [20] liegt in der Annahme, dass ein Diskussionsaspekt dann als zentral angenommen werden kann, wenn er in der Gruppendiskussion mehrfach angesprochen sowie tief und breit diskutiert wird.

Ergebnisse

Größe und Gewicht des mobilen Endgeräts wurden von allen Patienten als handlich empfunden. Die deutliche Mehrheit der Patienten gab an, dass die Fragen in der App klar und verständlich formuliert sind. Das Schmerztagebuch der App wurde von einigen Patienten genutzt, die dies als probate Form des Krankheitsbewältigungsprozess beschrieben. Die Verwendung des in die painApp integrierten Tutoriums, in dem die Patienten auch die Schriftgröße und die Alarmlautstärke in der App einstellen konnten, bewerteten die Patienten als sehr hilfreich. Sie äußerten sich zudem sehr positiv über ihren direkten Einbezug in die Entwicklung der Software. Anzumerken ist, dass die Zahl der Schmerzdokumentationen pro Patient im Laufe des Erhebungszeitraums leicht abnahm, wobei die Patienten in den Interviews nicht von einem Motivationseinbruch berichteten. Rückfragen der Patienten über die Hotline bezogen sich auf die Handhabung des Tablets (z. B. leerer Akku, Grundeinstellungen zur Lautstärke der Alarmfunktion).
Hinsichtlich der Beurteilung der audiovisuellen Komponenten der painApp wird die Menüführung von den Patienten als übersichtlich und leicht verständlich beschrieben. Die Größe der Tasten auf der spezifisch programmierten Tastatur ist für Eingaben passend und gelingt gut bis sehr gut. Ein Touch-Stift zur Dateneingabe wird nur von wenigen Patienten benutzt.
Die deutliche Mehrzahl der Patienten gibt an, dass der Einsatz von Farben die Übersichtlichkeit der Bedienung und Navigation der painApp fördert. So findet eine Änderung der Hintergründe (vgl. Abb. 2 und 3) bei der Bearbeitung einzelner Menüführungselemente zur Orientierung eine sehr positive Rückmeldung.
Personenspezifische Unterschiede zeigen sich nur in der Nutzung einiger Features, wie beispielsweise in der Nutzung von Erinnerungsalarmen zur Dateneingabe. Ein geschlechtsspezifischer Unterschied zeigt sich tendenziell in der Intensität von Kommentierungen zu den individuellen Schmerzsituationen. Frauen kommentieren in diesem Bereich deutlich umfänglicher und detaillierter ihre Schmerzsituation als die männlichen Nutzer. Sie erwarten durch die detaillierte Dokumentation ihrer Schmerzsituationen einen Wissenszuwachs des Hausarztes, der im Idealfall zu einer Verbesserung der Schmerzsituation führt.
Die Beantwortung nach der Stärke des Ruhe- und Belastungsschmerzes zeigte über den gesamten Projektverlauf breite Angaben von 0 bis 10 auf der NRS und damit auch hohe Schmerzwerte. Positiv auffallend ist, dass die Schmerzstärken bei allen Patienten variieren und somit nicht der Eindruck entsteht, dass hohe Schmerzscores einfach von der Vordokumentation übernommen werden.
Die Angaben der Patienten, bei welchen Aktivitäten des täglichen Lebens sich der Schmerz verstärkt, sind unterschiedlich. Vornehmlich werden Aktivitäten wie Laufen und Treppensteigen sowie die allgemeine Hausarbeit über den gesamten Projektverlauf als Gründe angeführt. Auch hier zeigt sich der vorab geschilderte geschlechterspezifische Unterschied in der detaillierten Dokumentation der Aktivitäten, die schmerzverstärkend wirken.
Die deutliche Mehrzahl der Patienten gibt an, die verordneten Medikamente zur Schmerztherapie einzunehmen. Nur ein Patient erwähnt, dass er die Schmerzmedikation zu einem Großteil nicht oder gar nicht einnimmt. Der Grund, warum dies so ist, wird vom Patienten nicht genannt. Neben der Eingabe der Regelmedikation wurde von den Patienten auch angeregt, die Bedarfsmedikation eingeben zu können, was den Patienten mittels Auswahl der Medikamente aus einer Liste ermöglicht wurde. Wie bereits erörtert war die Frage nach einer leitliniengerechten Verordnung der Medikamente nicht Gegenstand der Studie.
Die Zufriedenheit mit der Schmerzbehandlung wird von den Patienten auf der NRS nahezu durchgehend und variabel zwischen 1 und 9 angegeben. Auch hier zeigen sich Schwankungen in der Zufriedenheit bei den einzelnen Patienten. Kein Patient gibt an, mit der Schmerzsituation ausschließlich unzufrieden zu sein. Inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Schmerzsituation und den vereinbarten Hausarztbesuchen besteht, wurde nicht überprüft.
Zur Optimierung des Schmerzmanagements sehen die Patienten in erster Linie den Hausarzt in der Pflicht, sich mit ihren dokumentierten Daten zu beschäftigen. Die Patienten regten an, dass die Informationen auch anderen Personen in der Gesundheitsversorgung (z. B. weiteren Fachärzten) zur Verfügung gestellt werden sollten.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Abfrage der klinischen Charakteristika (Schmerzqualität, Schmerzlokalisation, Schmerzauslöser, Medikation) in der App erfolgte, die Beantwortung dieser Angaben jedoch eher dazu diente zu erfahren, ob die Patienten nachvollziehbar in der Lage sind, diese Fragen auch über einen längeren Zeitraum zu beantworten. Dies war bei allen teilnehmenden Patienten der Fall.

Ergebnisse bei den Hausärzten

Die Hausärzte bezeichnen den Informationsgehalt des Webportals im gesamten Projektverlauf als übersichtlich und ausreichend und sehen die painApp als zusätzliche Informationsquelle an. Die Möglichkeit eines Faxausdrucks der Patienteneingaben sowie die Speicherung der Daten im PDF-Format wurden von den Ärzten rege genutzt. Zwei Patienten wurden aufgrund ihrer Eingaben von hohen Schmerzscores zeitnah von den Hausärzten einbestellt und die Schmerztherapie wurde angepasst. Die Hausärzte stehen der Begleitung von mHealth außerhalb dieses Projekts jedoch wegen mangelnder monetärer Abrechnung des Aufwands eher skeptisch gegenüber.

Diskussion

Es kann resümiert werden, dass die formative Evaluation als qualitativer Ansatz für das vorliegende Projekt gut geeignet war. Der Einbezug der Patienten in die Softwareentwicklung hatte positive Auswirkungen auf die Akzeptanz, die Tauglichkeit und die Anwenderhäufigkeit, auch wenn die Anzahl der Eingaben im Projektverlauf leicht rückläufig war. In der vorliegenden Studie wurden durch die vier Evaluationszeitpunkte die Patienten engmaschig betreut. Eine Reduktion auf drei Evaluationszeitpunkte erscheint unter Beibehaltung der Gesamterhebungsdauer jedoch als möglich, da sich zum vierten Evaluationszeitpunkt keine neuen inhaltlich relevanten Aspekte zeigten, sondern eine Bestätigung bereits vorangegangener Aussagen.
Das Projekt konnte zeigen, dass Patienten im höheren Lebensalter in der Lage sind, die painApp umfänglich zu nutzen. Es ist zu unterstellen, dass die individuelle Schulung sowie der enge Kontakt des Projektteams zu den Patienten als Gründe dafür angeführt werden können. Die aktuelle Version der painApp ist für die Verlaufserfassung von Schmerzsituationen für ältere Menschen gut geeignet.
Die Haus- und Fachärzte dienen als Therapeuten dem Patienten in der Regel als erste Ansprechpartner hinsichtlich der Äußerung von Schmerzen. Sie sind als Mediziner so qualifiziert, dass sie eine für den Patienten individuelle und suffiziente Schmerztherapie einleiten oder aufgrund der Komplexität der Schmerzsymptomatik den Patienten an einen qualifizierten Schmerztherapeuten überweisen. Bei individualisierter Einstellung von Alarmgrenzen kann der Haus- und Facharzt auch nach der Schmerzbehandlung instabile Schmerzsituationen frühzeitig erkennen und entsprechend intervenieren. Die App bereichert damit die onlinebasierte Möglichkeit einer digitalen Schmerzdokumentation und -kommunikation für den häuslich-ambulanten Bereich, ohne jedoch zum jetzigen Zeitpunkt den Anspruch zu erheben, bewährte Assessmentinstrumente wie den Schmerzfragebogen ersetzen zu wollen. Die Hausärzte werden durch übersichtliche Grafiken in die Lage versetzt, den Trend des Schmerzverlaufs und die Einnahme von Bedarfsmedikamenten zu erkennen, und erhalten zudem Aussagen über die Zufriedenheit mit der aktuellen Schmerzsituation ihrer Patienten. Dies ermöglicht es, zeitnah auf die Eingaben des Patienten reagieren zu können und ggf. eine Therapieangleichung noch vor dem nächsten geplanten Hausarzttermin vorzunehmen.

Limitierung der Studie

Bei der Studie handelt es sich um eine Pilotstudie, die wegen ihres Forschungsansatzes keine Verallgemeinerung der Ergebnisse zulässt, auch wenn nach Auffassung der Autoren keine gänzlich anderen Ergebnisse bei erhöhter Patientenzahl zu erwarten sind. Die angestrebte Stichprobengröße von 30 Patienten konnte nicht erreicht werden. Als ein Grund ist der für den Hausarzt anfallende Mehraufwand (Schulung im Webportal, Sichtung der eingehenden Daten, Evaluierung der Erfahrungen des Hausarztes mit dem Webportal etc.) zu sehen, der aufgrund der damalig geltenden EU-Richtlinien nicht durch einen Entschädigungsaufwand für die Hausärzte abgegolten werden konnte. Es zeigte sich jedoch, dass eine Datensättigung durch die Befragung der teilnehmenden 20 Patienten bereits nach der dritten Evaluationsphase eintrat. Somit kann unterstellt werden, dass eine höhere Stichprobe zu keinen neuen Ergebnissen geführt hätte.

Fazit für die Praxis

Die vorliegende Studie zeigt, dass die dauerhafte Anwendung einer painApp als digitales Kommunikationssystem für Schmerzpatienten oberhalb von 65 Jahren in der häuslichen Umgebung möglich ist. Dabei sind die nutzerzentrierte Entwicklung und praxisbasierte Testung von Apps im Gesundheitswesen unter wissenschaftlicher Begleitung unerlässlich. Eine modifizierte Form der painApp wird aktuell als painAppPLUS in der Studie „Schmerz lass nach! Optimierte Schmerzversorgung für Pflegebedürftige im Alter“ im Rahmen des Projektaufrufs „Pflege inklusive“, gefördert von der Stiftung Wohlfahrtspflege in Kooperation mit der Diakonie Düsseldorf und der smart-Q Softwaresysteme GmbH, erfolgreich eingesetzt. Die Modifikation bezieht sich dabei auf die Hinzunahme von Assessmentinstrumenten zur Fremdeinschätzung von Schmerzen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Ewers und I. Gnass geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Es besteht keine wirtschaftliche Beziehung zwischen den Autoren und der Firma smart-Q Softwaresysteme GmbH. Die Firma smart-Q Softwaresysteme GmbH arbeitet seit einigen Jahren mit dem Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität als deren Dienstleister in wissenschaftlichen Projekten zusammen.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Metadaten
Titel
painApp – mobiles Schmerzmonitoring in der häuslichen Versorgung
verfasst von
Prof. Dr. A. Ewers
I. Gnass
Publikationsdatum
17.07.2018
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Pflege
Erschienen in
Der Schmerz / Ausgabe 5/2018
Print ISSN: 0932-433X
Elektronische ISSN: 1432-2129
DOI
https://doi.org/10.1007/s00482-018-0313-7

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