Diskussion
In einer früheren Analyse hatten wir die Ergebnisse von EVAR und OAR bei Versorgung juxtarenaler AAA miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass EVAR im Vergleich zu OAR die signifikant geringere Komplikationsrate aufwies, die postoperative Letalität war jedoch mit 5,7 % vs. 7,7 % nur im Trend niedriger [
16]. Wie die vorliegende Untersuchung jetzt ergab, waren juxtarenale AAA sowohl bei EVAR als auch bei OAR mit einer signifikant höheren postoperativen Komplikationsrate, Klinikletalität und MACE im Vergleich zu infrarenalen AAA assoziiert.
Diese Beobachtung, dass juxtarenale AAA signifikant schlechtere Ergebnisse als infrarenale AAA aufweisen, steht im Widerspruch zu einer Erhebung der NSQIP-Datenbank der Jahre 2005 bis 2008, in der Patienten mit offener Versorgung komplexer AAA (AAA mit Einbeziehung der Viszeralarterien ohne Rekonstruktion oder Bypass der Viszeralarterien) sich in ihrer 30-Tage-Letalität (5,7 %) nicht von solchen mit infrarenalen AAA (30-Tage-Letalität 5,1 %) unterschieden [
13]. In der vorliegenden Studie wurde eine deutlich höhere Klinikletalität bei offener Versorgung juxtarenaler AAA als bei Patel et al. [
13] gefunden (7,7 %), während umgekehrt bei infrarenalen AAA die Klinikletalität mit 4,2 % niedriger als bei Patel et al. ausfiel. Eine Erklärung für diese Widersprüche muss offenbleiben, es fällt aber auf, dass in der vorliegenden Untersuchung speziell Frauen bei offener Versorgung juxtarenaler AAA ungünstig abschnitten, mit einer Klinikletalität von 11,8 % vs. 6,8 % bei den Männern (
p = 0,043). Eine Gender-Differenzierung hatten Patel et al. [
13] nicht vorgenommen. Die Ergebnisse unserer Untersuchung stimmen jedoch mit Ergebnissen zur externen Validierung des Risikovorhersagemodells der Vascular Study Group of New England [
7] überein. In diesem Modell war weibliches Geschlecht ein signifikanter Prädiktor für ein ungünstigeres Ergebnis bei AAA-Versorgung. Eine suprarenale Position der Aortenklemme im Vergleich zu einer infrarenalen Abklemmung sagte eine 2,3-mal höhere Odds Ratio für die Kliniksterblichkeit nach OAR voraus [
7]. Frauen zeigten in der vorliegenden Analyse nach EVAR sowohl bei infrarenalen als auch bei juxtarenalen AAA eine höhere Klinikletalität als Männer, sie waren auch älter, was mit der retrospektiven Analyse der Hospital Episode Statistics (HES) von England von Lowry et al. [
10] übereinstimmt.
Liu et al. [
9] fanden in einer Metaanalyse (32 Kohortenstudien, 74.969 Patienten) bei Frauen nach endovaskulärer Versorgung infrarenaler AAA eine signifikant höhere 30-Tage-Letalität im Vergleich zu Männern (Odds Ratio 1,67; 95 %-KI 1,50–1,87;
p < 0,001). Auch waren bei Frauen die Raten an weiteren Komplikationen wie Ischämie im Bereich der unteren Extremitäten, an renalen und kardialen Komplikationen nach EVAR höher als bei Männern. Darüber hinaus war das langfristige Überleben bei Frauen reduziert (Hazard Ratio [HR] 1,23; 95 %-KI 1,09–1,38;
p = 0,001). Als Gründe für die ungünstigeren Ergebnisse nach EVAR bei Frauen im Vergleich zu Männern nannten die Autoren zum einen den relativ größeren AAA-Durchmesser bei Intervention, wenn die Intervention wie bei Männern bei einem Durchmesser von 5,5 cm indiziert wird (Frauen haben kleinere Aortendurchmesser), zum anderen das höhere Lebensalter der Frauen im Vergleich zu Männern und die ungünstigeren anatomischen Voraussetzungen mit schmaleren Zugangsgefäßen bei endovaskulärer Intervention und eine ungünstigere Aneurysmahalsanatomie. Deery et al. [
5] wiesen darauf hin, dass bei Anwendung gleicher Durchmessergrenzen als Operationsindikation Frauen in einem späteren Stadium der AAA-Entwicklung versorgt werden als Männer und schlugen vor, zusätzlich den Aortic Size Index (ASI) zu bestimmen, da adjustiert bei gleichem ASI die Ergebnisunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht mehr signifikant waren. (Der ASI wurde in dieser Erhebung berechnet als Aortendurchmesser/Körperoberfläche.) Inwieweit demnach der ASI ein besserer Parameter als der Aortendurchmesser speziell bei Frauen für die Indikationsstellung zur Versorgung des AAA wäre, müsste in größeren Erhebungen evaluiert werden.
In der vorliegenden Analyse betrug bei EVAR die Klinikletalität bei infrarenalen AAA 1,0 % und MACE 1,6 % verglichen mit einer Klinikletalität von 5,7 % und MACE 8,8 % bei juxtarenalen AAA. Im Gegensatz hierzu fanden Glebova et al. [
8] bei Analyse der American College of Surgeons-National Surgical Quality Improvement Program database bei FEVAR (fenestrierte Endografts) juxtarenaler AAA keine signifikant erhöhte Klinikletalität im Vergleich zu EVAR bei infrarenalen AAA (2,4 % vs. 1,5 %). In der FEVAR-Gruppe war allerdings wie auch hier die Komplikationsrate höher und der Transfusionsbedarf größer als bei EVAR. Inwieweit die niedrigere Klinikletalität bei FEVAR in dem Kollektiv von Glebova et al. [
8] im Vergleich zur vorliegenden Untersuchung auf einem Selektionsbias beruhte, muss offenbleiben. Immerhin wurden bei Glebova et al. nur 2,4 % der Patienten mit FEVAR behandelt, bei 97,7 % der Patienten handelte es sich um solche mit infrarenalem AAA.
In der Datenbank der Vascular Quality Initiative (VQI) der Jahre 2003 bis 2016 identifizierten O’Donnell et al. [
11] unter 8880 offenen Versorgungen eines AAA 3470 juxtarenale AAA (39 %). Juxtarenale AAA waren wie in der vorliegenden Untersuchung als solche definiert, wenn die Aortenklemme wenigstens oberhalb der ersten Nierenarterie platziert wurde. Das Krankenhausfallvolumen an juxtarenalen AAA wurde in niedrig (0–<4), mittel (4–14) und hoch (>14 Fälle/Jahr) eingeteilt. In dieser Erhebung war ein geringes Fallvolumen an juxtarenalen AAA mit einer höheren Kliniksterblichkeit assoziiert, mit einer Klinikletalität von 9,0 %, 4,9 % und 3,9 %. Diese Assoziation war unabhängig davon, wie häufig ein Krankenhaus generell offene Eingriffe bei AAA durchführte, was bedeutet, dass es spezifisch auf die Fallzahl an juxtarenalen AAA ankam. Die Autoren forderten, komplexe AAA an erfahrene Zentren zu überweisen. Die Klinikletalität von 7,7 % in der Gruppe der offen operierten juxtarenalen AAA in der vorliegenden Untersuchung unterstützt diese Forderung: 27,7 % aller OAR bei juxtarenalem AAA wurden in unserer Untersuchung in Krankenhäusern mit <5 juxtarenalen AAA/Jahr vorgenommen.
Inwieweit unsere Ergebnisse für Deutschland repräsentativ sind, ist zweifelhaft, zumindest gilt dies für die Versorgung der juxtarenalen AAA. Gerade große Zentren waren in unserer Datenerhebung unterrepräsentiert, mit nur 12 von 37 Universitätskliniken. So wurde von Silveira et al. [
15] bei endovaskulärer Versorgung juxtarenaler AAA von 35 achtzigjährigen Hochrisikopatienten, die für OAR nicht geeignet waren, lediglich eine 30-Tage-Letalität von 2,9 % (1 Todesfall) und eine frühe Morbidität von 14,3 % berichtet. In einem italienischen Zentrum machte die 30-Tage-Letalität bei OAR von 155 juxtarenalen AAA sogar nur 0,6 % aus, die postoperative Morbidität 10 % [
6]. Fünf akademische Zentren aus Frankreich berichteten über eine multizentrische konsekutive Serie von 315 OAR juxtarenaler AAA [
3]. In dieser Serie wurden lediglich 3 (0,9 %) Todesfälle postoperativ (30-Tage-Letalität und Klinikletalität eingeschlossen) gesehen, postoperative Komplikationen traten in 14,6 % auf. Auch fällt in unserer Untersuchung der geringe Anteil an juxtarenalen AAA am Gesamtkrankengut bei EVAR auf (5,4 %) verglichen mit immerhin 19,8 % bei OAR (
p < 0,001). Ein Selektionsbias bei der Krankenhausauswahl lässt sich demnach für die vorliegende, aber auch für die anderen Untersuchungen nicht ausschließen. Dies gilt generell für relativ kleine Kollektive. Deery et al. [
4] berichteten über 443 offene Versorgungen bei komplexen AAA, definiert als Versorgungen, bei denen die Klemme entweder suprarenal (einschließlich zwischen den Nierenarterien) oder supracoeliakal positioniert wurde vs. 1041 OAR bei infrarenalen AAA. Es handelte sich um das Krankengut der Vascular Study Group of New England der Jahre 2003 bis 2011 von lediglich 14 Krankenhäusern. In diesem Kollektiv machten komplexe AAA am Gesamtkrankengut der AAA 28,9 % aus, mit einer 30-Tage-Letalität von 1,2 % bei infrarenalen AAA vs. 2,7 % bei suprarenalem Clamping oder Clamping oberhalb einer Nierenarterie.
In der vorliegenden Untersuchung waren sowohl bei OAR als auch bei EVAR Patienten mit juxtarenalen AAA in ihren Ausgangsbedingungen nicht mit Patienten mit infrarenalen AAA vergleichbar, was sich negativ auf die Ergebnisse bei juxtarenalen AAA ausgewirkt haben könnte. Bei den juxtarenalen AAA war der Frauenanteil im Vergleich zu den Männern relativ höher und der Aneurysmadurchmesser signifikant größer (Tab.
1 und
2). Ebenso bedeutsam war, dass bei EVAR und bei OAR Patienten mit juxtarenalem AAA signifikant häufiger als Patienten mit infrarenalem AAA bereits präoperativ eine eingeschränkte Nierenfunktion aufwiesen. O’Donnell et al. [
12] haben gezeigt, dass bei offener Versorgung juxtarenaler AAA Patienten mit präoperativ eingeschränkter Nierenfunktion (GFR <60 ml/min/1,73 m
2) postoperativ ein signifikant höheres Risiko einer akuten Nierenschädigung aufweisen als Patienten mit einer GFR >60 ml/min/1,73 m
2, was sich negativ auf die perioperative Sterblichkeit und Langzeitsterblichkeit auswirkte. In der vorliegenden Untersuchung wurde dementsprechend bei juxtarenalem AAA signifikant häufiger eine postoperative Verschlechterung der Nierenfunktion gefunden als bei infrarenalem AAA, bei EVAR in 12,2 % vs. 2,0 % (
p = 0,000), bei OAR in 19,5 % vs. 7,9 % (
p = 0,000).
Verglichen mit unseren bisherigen Jahresberichten, die juxta- und infrarenale AAA – wie übrigens fast alle Register – stets zusammengefasst haben, machte die Klinikletalität der rein infrarenalen AAA bei EVAR jetzt 1,0 % (früher 1,26 %), bei OAR 4,2 % (früher 4,9 %) aus. Speziell für OAR ist diese Korrektur von Bedeutung, da sie belegt, dass wir über alle Jahre zumindest bei infrarenalen AAA deutlich unter dem Schwellenwert einer Klinikletalität von 5,0 % geblieben sind, der laut Leitlinien der Society for Vascular Surgery von einer Klinik nicht überschritten werden sollte, die AAA offen behandelt [
2]. Gleichwohl besteht aber speziell bei OAR weiterhin ein Verbesserungspotenzial, verglichen mit den Daten einer Metaanalyse von 51 Studien (189.022 Patienten) [
1], in der nach EVAR eine gepoolte 30-Tage-Letalität von 1,16 % (95 %-KI 0,92 bis 1,39), nach OAR von 3,27 % (95 %-KI 2,71 bis 3,83) berechnet wurde (alle AAA zusammengefasst, infra- und juxtarenal nicht unterschieden). Dass solche Zielwerte auch in flächendeckenden Registern zu erreichen sind, zeigt der Jahresbericht 2019 der Vascular Society of Great Britain and Ireland [
17] zur Versorgung des intakten AAA (ebenfalls juxta- und infrarenale AAA zusammengefasst): dort wurde für die 3‑Jahres-Periode 2016 bis 2018 bei EVAR eine Klinikletalität von lediglich 0,5 % und für OAR von 3,1 % genannt! Gleichwohl ziehen wir aus der vorliegenden Analyse die Konsequenz, aus Vergleichsgründen weiterhin in künftigen Jahresberichten die Komplikationsraten bei Versorgung des AAA (zusammengefasst) anzugeben und zusätzlich zwischen infra- und juxtarenalen AAA zu differenzieren.
Zusammenfassend waren in der vorliegenden Untersuchung die Ergebnisse bei Versorgung juxtarenaler AAA signifikant schlechter als bei Versorgung infrarenaler AAA, dies galt sowohl für EVAR als auch für OAR. Die große Diskrepanz deckt sich nur bedingt mit anderen Registererhebungen. Speziell die hohe Klinikletalität bei den Frauen, sowohl nach EVAR als auch nach OAR, wurde in diesem Ausmaß bei Versorgung juxtarenaler AAA bisher nicht berichtet. Ein Selektionsbias ist nicht auszuschließen. Wesentliches Ziel muss es folglich sein, mehr Zentren als bisher zur Teilnahme an dem DIGG-Register zu motivieren, damit aussagekräftige Daten zur Versorgungssituation speziell juxtarenaler AAA in Deutschland gewonnen werden können.