Zusammenfassung
Frakturen der Mittelhandknochen verlaufen nicht selten komplikationsbehaftet und zeigen einen durch Delayed Union oder Pseudarthrosenbildung verzögerten Heilungsverlauf. Einen klaren Behandlungsalgorithmus gibt es aktuell noch nicht. Wir empfehlen ein stufenartiges Vorgehen: Eine hyperthrophe instabile Pseudarthrose ist durch eine osteosynthetische Stabilisierung, ggf. ergänzt um eine Spongiosaplastik zu behandeln. Atrophe Pseudarthrosen erfordern ein komplexeres Vorgehen. Bei überschaubarer Größe des knöchernen Defektes und Vorliegen von guten Weichteilverhältnissen ist eine Spongiosaanlagerung, bei größeren knöchernen Defekten bei weiterhin suffizienten Weichteilverhältnissen ist die Transplantation eines kortikospongiösen Beckenkammspans mit überbrückender Plattenosteosynthese das adäquate Verfahren. Bei großen Defekten und kompromittierter Weichteilsituation besteht die Indikation für einen freien vaskularisierten Knochentransfer. Auch die Anwendung modernerer Verfahren wie BMP (bone morphogenic protein)-Anlagerung oder supportive Behandlung mit niedrigenergetischem Ultraschall oder extrakorporaler Stoßwellentherapie sind denkbar. Aufgrund vieler moderner Therapieansätze ist eine aktuelle Evaluation dieser Thematik jedoch unabdingbar.
Abstract
It is not uncommon for fractures of the metacarpal bones to develop complications and they are therefore at risk of developing a delayed union or pseudarthrosis which delay the course of healing. Currently, no clear treatment algorithm is existing. We recommend a stepwise approach: hypertrophic, an unstable pseudarthrosis should be treated by osteosynthetic stabilization and if necessary supplemented by spongioplasty. An atrophic pseudarthrosis requires a more complex strategy. A manageable size of bony defect in the presence of sufficient perfusion of surrounding soft tissue can be treated by cancellous bone transplantation or in the case of larger bony defects and a sufficient soft tissue situation with a corticocancellous graft from the iliac crest in combination with a bridging plate osteosynthesis. Large bony defects with poorly perfused surrounding soft tissue require a free vascularized bony and cutaneous tissue transfer. The use of modern approaches, such as administration of bone morphogenic protein (BMP) or treatment with extracorporeal shock wave therapy or low energy ultrasound therapy also have to be considered. Due to the many modern therapeutic approaches, a current evaluation of this topic is, however, inevitable.
Pseudarthrosen und andere komplikationsbehaftete Heilungsverläufe können nach Mittelhandfrakturen einen komplexen und protrahierten Verlauf bedingen. Die Datenlage in der medizinischen Literatur ist diesbezüglich recht schmal und verweist auf viele Jahre alte Manuskripte [1–4]. Daher sollen in dieser Arbeit die Hintergründe und Behandlungsmöglichkeiten aus heutiger Perspektive aufgearbeitet werden.
Definition
Bereits die Definitionen einer Delayed Union oder Pseudarthrose im Mittelhandbereich weichen von der im unfallchirurgischen Bereich gängigen, zeitbezogenen Definition ab. So würden wir eine Delayed Union im Handbereich als eine „verlangsamte, aber fortschreitende Konsolidierung“ bezeichnen. Die Pseudarthrose bezeichnet eine „ohne Eingriff nicht zu erwartende Konsolidierung“, da klare radiologische Zeichen einer ausbleibenden Heilung wie Sklerosierungen und subchondrale Zysten vorliegen. Dabei ist unerheblich, ob diese bereits 2 Monate oder erst 6 Monate nach Fraktur vorliegen.
Inzidenz und Pathogenese
Die Inzidenz von solchen Heilungsstörungen nach Mittelhandknochenfrakturen ist unklar. Die Angaben variieren zwischen 0 und 15 % [2–4]. Manche Autoren erwähnen sie nicht einmal als Komplikation.
Die Entstehung solch gestörter Heilungsprozesse von Mittelhandfrakturen kann durch einige Risikofaktoren begünstigt werden. Dabei ist als wichtigster Aspekt eine instabile, insuffiziente Osteosynthese zu nennen. Hier sind im Wesentlichen die Wahl des falschen Verfahrens und eine nicht korrekte Reposition zu nennen. Nur eine übungs- und im besten Falle belastungsstabile Osteosynthese kann einen regelrechten Heilungsverlauf gewährleisten. Auch der Frakturverlauf scheint eine Rolle zu spielen. So wurde bei Querfrakturen der Diaphyse eine Pseudarthrosenrate von bis zu 29,6 % beschrieben, wobei die Rate bei Nicht-Querfrakturen 7,4 % beträgt [3]. Manuell tätige Arbeiter entwickeln mit 28,1 % ebenfalls häufiger eine Pseudarthrose, als nichtmanuell Tätige mit 1,74 %. Wie bei allen Frakturen ist auch ein regelmäßiger Nikotinkonsum schädlich für den Heilungsverlauf von Mittelhandfrakturen. Ein weiterer Aspekt liegt im begleitenden Weichteilschaden. Bei dünnem Weichteilmantel und begleitenden Nerven- und Gefäßverletzungen ist die Inzidenz einer Pseudarthrosenentwicklung erhöht [5]. Erklärbar ist dies auch durch den anatomischen Verlauf der Metakarpalarterien, die sehr engen Kontakt zum Knochen aufweisen und bei dislozierten Frakturen leicht verletzt werden, was eine lokale Minderperfusion bedingt [6]. Keine Signifikanz wurde im Hinblick auf den gewählten Plattentyp und die Händigkeit des Patienten beschrieben.
Therapie
Einen klaren Behandlungsalgorithmus für solche gestörten Heilungsprozesse gibt es derweil noch nicht. Unterschiedliche Verfahren erscheinen schlagwortartig in der Literatur und haben je nach Ausgangssituation sicherlich ihren Stellenwert. Im Folgenden möchten wir daher diese Verfahren ordnen und eine Art Algorithmus zur Behandlung von komplikationsbehafteten Verläufen erstellen (Abb. 1).
Eine hyperthrophe Pseudarthrose ist am ehesten durch eine instabile Osteosynthese bedingt. Hier mag die alleinige Stabilisierung der Situation durch Anpassung des Osteosyntheseverfahrens, ggf. ergänzt um eine Spongiosaplastik ausreichen.
Meistens liegen jedoch atrophe Pseudarthrosen mit Substanzdefekten vor, die ein komplexeres Vorgehen erforderlich machen.
Bei überschaubarer Größe des knöchernen Defektes und Vorliegen von guten Weichteilverhältnissen ist eine Spongiosaanlagerung am ehesten aus dem ipsilateralen, distalen Radius zu empfehlen. Entscheidend ist dabei die stabile Plattenosteosynthese. Die Verwendung von winkelstabilen Schrauben gibt insbesondere bei umschriebenen Substanzdefekten zusätzliche Stabilität.
Handelt es sich um einen größeren knöchernen Defekt bei weiterhin suffizienten Weichteilverhältnissen, ist die Transplantation eines kortikospongiösen Beckenkammspans mit überbrückender Plattenosteosynthese das adäquate Verfahren (Abb. 2).
Sollte der knöcherne Defekt auch hierfür zu groß sein und/oder sollten begleitend unzureichende Weichteilverhältnisse vorliegen, besteht die Indikation für einen freien vaskularisierten Knochentransfer. Hierbei kommt beispielsweise die freie Femurkondyle, die freie Fibulatransplantation oder der freie, vaskularisierte Beckenkammspan infrage. Diese Transplantate können zudem osteokutan gehoben werden, um gleichzeitig eine stabile Weichteilsituation zu erzielen (Abb. 3).
Diese Verfahren sind je nach Indikation frei wählbar und sollen keinen aufeinander aufbauenden Charakter haben. In seltenen Fällen können jedoch auch Situationen auftreten, in denen trotz dieser Verfahren keine abschließende Heilung erreicht werden kann. Hier wäre auch die Anwendung modernerer Verfahren wie BMP (bone morphogenic protein)-Anlagerung oder supportive Behandlung mit niedrigenergetischem Ultraschall oder extrakorporaler Stoßwellentherapie denkbar. Insbesondere die beiden Letztgenannten scheinen sich vielversprechend zu entwickeln und finden aufgrund des minimalen zusätzlichen Risikos zunehmend Anwendung in der eigenen klinischen Praxis.
Niedrigintensive (30 mW/cm2) gepulste Ultraschallsignale können die Frakturheilung beschleunigen [7–12] und sind durch eine verstärkte Absorption in Knochengewebe besonders wirksam. Die mechanischen Stimuli werden von ossären Zellen in eine molekulare Antwort umgesetzt [Osteocalcin (OC), tartratresistente saure Phosphatase (TRAP)] und dadurch wird ein osteoinduktiver Effekt erzielt. Auch die durch Expression von „vascular endothelial growth factor“ (VEGF) induzierte Angiogenese unterstützt diesen Vorgang [13, 14].
Ebenso wurden durch die extrakorporale Stoßwellentherapie positive Ergebnisse bei verzögerter Knochenheilung und Therapie der Pseudarthrose berichtet [15, 16]. Auch hierdurch kommt es zu einer Neovaskularisation [durch Expression von eNOS (endotheliale Stickstoffmonoxidsynthase), VEGF, PCNA (proliferating cell nuclear antigen)] des Gewebes. Eine direkte Aktivierung von Fibroblasten und deren konsekutive Transformation in Osteoblasten unterstützt den knöchernen Heilungsprozess [17, 18]. Insbesondere eine niedrige Energiedichte von 0,15–0,4 mJ/mm2 erhöht die metabolische Aktivität der Osteoblasten [19, 20].
Für beide Therapien wäre evtl. ein Einsatz auch bereits früher, bei Erscheinen der ersten Anzeichen einer gestörten Frakturheilung zu überlegen.
Fazit für die Praxis
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Zusammenfassend handelt es sich bei Pseudarthrosen und komplikationsbehafteten Verläufen nach Mittelhandfrakturen um Prozesse, die jeder Handchirurg kennt, die aber wenig in der Literatur beschrieben sind.
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Über eine gezielte Auswahl aus dem Armamentarium der Behandlungsstrategien (nicht vaskularisierte Knochentransplantation, vaskularisierter Knochentransfer und supportive Ansätze) kann jedoch in den meisten Fällen eine Konsolidierung erreicht werden.
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Aufgrund vieler moderner Therapieansätze und neuer Osteosyntheseverfahren und Implantate ist eine aktuelle Evaluation dieser Thematik jedoch unabdingbar.
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Harhaus, L., Bickert, B. & Kneser, U. Pseudarthrosen und komplikationsbehaftete Verläufe nach Mittelhandfrakturen. Trauma Berufskrankh 18 (Suppl 4), 372–375 (2016). https://doi.org/10.1007/s10039-015-0111-8
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-015-0111-8