Erschienen in:
01.08.2013 | Leitthema
Antikonvulsive Pharmakotherapie Jugendlicher und Erwachsener
State of the Art
verfasst von:
Prof. Dr. B.J. Steinhoff
Erschienen in:
Clinical Epileptology
|
Ausgabe 3/2013
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Zusammenfassung
Trotz der Einführung und Verbesserung v. a. der Epilepsiechirurgie, aber auch anderer Therapiemöglichkeiten wie ketogener Diät oder Stimulationsverfahren, ist und bleibt die medikamentöse Behandlung die Standardtherapie bei weitaus den meisten Epilepsiepatienten. Dabei hat sich durch die Generation neuerer Antikonvulsiva seit 1992 allerdings nicht wirklich nennenswert häufiger dauerhafte und verlässliche Anfallsfreiheit erreichen lassen, die das 1. Ziel einer Epilepsiebehandlung sein muss. Allerdings erlauben einige neue Antikonvulsiva aufgrund ihrer günstigen pharmakologischen Charakteristika potenziell störwirkungsärmere Langzeitbehandlungen, die sie aufgrund des regelhaften Aspekts der chronischen Pharmakotherapie und im Hinblick auf Komorbiditäten, die es akut oder im Verlauf medikamentös zu adressieren gilt, vorteilhafter erscheinen lassen. So ist es in erster Linie also der Verträglichkeitsvorteil, der in den aktuell neu aufgelegten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) erneut Lamotrigin (LTG) und Levetiracetam (LEV) als erstrangig bei fokaler Epileptogenese benennen lässt. Je nach individueller Bedürfnislage können aber natürlich prinzipiell alle zugelassenen Antikonvulsiva auch frühzeitig eingesetzt werden. Bei generalisierten Epilepsien des Erwachsenen bleibt Valproinsäure (VPA) das Medikament der 1. Wahl; in besonderen individuellen Sachlagen kann LTG der Vorzug gegeben werden. De facto schätzen viele Experten LEV trotz seines „Off-label“-Status und setzen es ein, obwohl es nur zur Kombination bei juveniler myoklonischer Epilepsie zugelassen ist. Denn die Monomedikation ist bei Ersttherapie und generell zu bevorzugen, da sie nach wie vor am praktikabelsten und hinsichtlich Wirksamkeit sowie Verträglichkeit am besten zu beurteilen ist. Scheitert sie trotz richtiger Diagnose und Klassifikation, wird die alternative Monotherapie angestrebt. Hierbei sollte die Tatsache, dass gemäß einigen Publikationen durchaus auch gut verträgliche Kombinationen zu zuvor nichterreichter Langzeitanfallsfreiheit führen, die unbedingte Notwendigkeit der Verwirklichung der Monotherapie etwas differenzierter betrachten lassen, als dies in den Leitlinien formuliert ist. Kombinationen sollten möglichst einfach und hinsichtlich des jeweiligen Einflusses der Kombinationspartner beurteilbar sein. Hohe Wirksamkeit, Interaktionsarmut und gute Verträglichkeit haben LEV klar zur führenden Substanz werden lassen, abgesehen von der supraadditiven Kombination aus VPA und LTG. Ob die zuletzt eingeführten neuen Antiepileptika Lacosamid (LCM), Retigabin (RTG) und Perampanel zu einer rationaleren, mechanismusorientierten Polytherapie zum Nutzen des Patienten führen, muss geprüft und zunächst abgewartet werden. Bis dahin sind bei vergleichbarer Wirksamkeit Interaktionsprofil und Verträglichkeit die wichtigsten Kriterien bei der Auswahl von in Polytherapie eingesetzten Antikonvulsiva. Bei generalisierten Epilepsien einschließlich der im Adoleszentenalter manifest werdenden juvenilen myoklonischen Epilepsie ist über alle Patienten gesehen nach wie vor VPA das erstrangige Antikonvulsivum gefolgt von Topiramat (TPM) und LTG. Analog den Empfehlungen im Kindesalter sind VPA und Ethosuximid (ESM) gleichermaßen Medikamente der 1. Wahl bei Epilepsien mit Absencen. Medikament der 2. Wahl ist LTG. Phenobarbital (PB) und Primidon (PRM) sind Medikamente der 3. Wahl, wenn bilateral konvulsive Anfälle bestehen. In Kombination kann LEV eine sehr sinnvolle Möglichkeit darstellen. Allerdings ist die Monotherapie, also der Standard, mit LEV eine Off-label-Therapie ebenso wie alle Therapien idiopathischer und generalisierter Epilepsien über die juvenile myoklonische Epilepsie hinaus. Trotzdem hat sich gezeigt, dass Epileptologen in Deutschland sich über dieses Problem durch den rationalen und richtigen Einsatz von LEV hinwegsetzen. Ein Absetzen der Antikonvulsiva sollte erst nach mehrjähriger Anfallsfreiheit erwogen werden. Am günstigsten ist die Prognose, wenn der wesentliche auslösende Faktor nicht mehr besteht oder beseitigt werden konnte.