Schwerpunkt
Cluster-randomisierte Studien: eine wichtige Methode in der allgemeinmedizinischen ForschungCluster randomised trials: an important method in primary care research

https://doi.org/10.1016/j.zefq.2009.07.004Get rights and content

Zusammenfassung

Interventionsstudien in der Allgemeinmedizin untersuchen häufig organisatorische Veränderungen oder edukative Interventionen z.B. im Rahmen von Leitlinienimplementierungen. Die Randomisierung findet dann aus pragmatischen Gründen meist nicht auf Patientenebene, sondern auf Praxisebene statt. Die Studienteilnehmer aus einer Praxis bilden ein sog. Cluster (Gruppe), womit die Grundannahme der unabhängigen Patientenstichprobe nicht mehr gegeben ist. Dies erfordert eine höhere Probandenzahl und eine komplexere Auswertung. Die Vor- und Nachteile der Cluster-Randomisierung, sowie die praktische Bedeutung bei der Planung und Auswertung dieser Studien werden in diesem Artikel am Beispiel von zwei Cluster-randomisierten Studien vermittelt.

Summary

In primary care research interventional studies often address organisational changes or educational interventions, for example, in the context of guideline implementation. For pragmatic reasons randomisation is often conducted at practice level instead of at the individual patient level. Patients from one practice form a cluster, thus violating the basic assumption of independent patient samples. Hence an increased number of participants and a more complex analysis are required. Using the example of two cluster randomised trials the present article provides insights into the advantages and disadvantages of cluster randomisation as well as its practical significance for the planning and analysis of cluster randomised trials.

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Einleitung

Randomisiert kontrollierte Studien (RCT) werden zunehmend auch in Allgemeinmedizinpraxen in der Primärversorgung durchgeführt [1]. Sie gelten als Goldstandard der evidenzbasierten Medizin, insbesondere in der Pharmakotherapie. Studien in der Primärversorgung untersuchen häufig organisatorische Veränderungen, edukative Interventionen, z.B. im Rahmen von Leitlinienimplementierungen. Da solche Interventionen typischerweise in einer Organisationseinheit stattfinden, findet auch die Randomisierung

Was sind die Vor- und Nachteile der Cluster-Randomisierung?

Das wichtigste Argument für die Cluster-Randomisierung ist, dass es aus pragmatischen Gründen innerhalb einer Praxis organisatorisch oft nicht möglich ist, Patienten unterschiedliche Interventionen anzubieten. Es wird eine sog. Kontamination befürchtet, d.h. dass z.B. Patienten der Kontrollgruppe doch einen Teil oder die ganze Intervention des Interventionsarms erhalten oder umgekehrt [5]. Alternativen Studiendesigns bei organisatorischen Interventionen können unter Umständen dass sog. stepped

Ethische Probleme

Eine Besonderheit von cluster-randomisierten Studien in Allgemeinmedizinpraxen ist, dass statt der potentiellen Studienteilnehmer die Praxis in die Studie einwilligt. Es ist umstritten, ob bei Studien in der Routineversorgung ohne zusätzliche Datenerfassung auf eine Aufklärung und Einverständniserklärung der individuellen Patienten evtl. verzichtet werden kann [9]. Werden zusätzliche Patientendaten erhoben ist auf jeden Fall eine doppelte Einwilligung (Praxis und Patienten) notwendig. Patienten

Der Intraclusterkorrelationskoeffizient

Der Anteil der Gesamtvarianz des Studienendpunkts, der durch die Clusterzugehörigkeit aufgeklärt wird, kann durch den sog. Intraclusterkorrelationskoeffizient (ICC oder manchmal auch ρ) ausgedrückt werden [11]. Die Varianz ist die Streuung oder Verteilung des Studienendpunkts in einem Studienarm oder Cluster [9]. Es gibt mehrere Formeln zur Berechnung des ICC. Eine häufig verwendete Variante ist der Quotient aus der Varianz (S) innerhalb eines Clusters (Sw w=within) und der Gesamtvarianz.

Stichprobenberechnung

Die Stichprobenberechnung (power calculation) dient dazu, die Anzahl der Studienteilnehmer zu schätzen, die benötigt werden, um einen bestimmten Effekt nachzuweisen [14]. Bei der Berechnung spielt die Varianz des Studienendpunkts und der erwartete Unterschied zwischen den Studienarmen eine entscheidende Rolle. Je höher die Varianz (Hintergrundrauschen), umso mehr Studienteilnehmer werden gebraucht, um im Rauschen den Effekt der Intervention zu ermitteln. Dabei muss eine

Datenanalyse

Um eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch die Clusterung bei der Analyse zu berücksichtigen, muss bei der Auswertung eine sog. Cluster-Adjustierung durchgeführt werden. Viele cRCTs werden ohne Adjustierung ausgewertet, man spricht dann von einer „naiven Analyse“. Dies führt zur Schätzung von zu kleinen Konfidenzintervallen und erhöht die Wahrscheinlichkeit einen signifikanten Unterschied zu finden, obwohl keiner besteht (Fehler erster Art) [17], [18]. In diesem Artikel können nur die

Berichterstattung

Für die nachvollziehbare Berichterstattung (Reporting) von RCTs ist das sog. CONSORT-Statement entwickelt worden. Für Cluster-ranomisierte RCTs gibt es eine Erweiterung des CONSORT-Statements, das im Wesentlichen die zusätzliche Angabe der Anzahl der Cluster und der Clustergröße vorsieht [23].

Ergebnis
Beispielstudie 1: Die Intervention hatte einen geringen (statistisch signifikanten) Effekt auf die Funktionskapazität bei Rückenschmerzpatienten, der im Studienarm mit der Beratung durch die

Schlussfolgerung

Cluster-Randomisierung ist ein in der allgemeinmedizinischen Forschung häufiges und adäquates Studiendesign, wenn pragmatische Gründe oder ein erhöhtes Kontaminationsrisiko vorliegen. Sie stellt allerdings erhöhte methodische Anforderungen, da die Clustereffekte bei der Stichprobengrößenberechnung und der Analyse berücksichtigt werden müssen. Diese sollten Forscher in der Primärversorgung in Grundzügen verstehen.

Anmerkung

Das Manuskript basiert auf einen 2008 gehaltenen Prüfungsvortrag für das Zertifikat Epidemiologie der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention.

Interessenkonflikte

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Danksagung

Für kritische Durchsicht und konstruktive Kritik bedanke ich mich bei Prof. Dr. Martin Scherer, Dr. Anne Simmenroth-Nayda und Dr. Carsten Schmidt.

Literatur (23)

  • B. Giraudeau et al.

    Preventing Bias in Cluster Randomised Trials

    PLoS Med

    (2009)
  • Cited by (25)

    • Ready for SDM- evaluation of an interprofessional training module in shared decision making – A cluster randomized trial

      2022, Patient Education and Counseling
      Citation Excerpt :

      Third, analyses of the CRCT, on the level of clusters might have gained more robust results, however, on the other hand neglected individual variability within the clusters. Moreover, variation of size between the clusters would have meant a disadvantage of cluster level analysis [27,28]. Fourth, the primary and secondary endpoints were assessed either at the beginning of the training session or at the end.

    • Active vehicle pitch motion for communication in automated driving

      2022, Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour
      Citation Excerpt :

      Statistical power analyses were conducted using the software G*Power (Version 3.1.9.2; Faul, Erdfelder, Buchner, and Lang, 2009). As recommended for hierarchical data, the calculated sample size was corrected with the Design Effect (Chenot, 2009). In the virtual reality experiments, CIT and subjective safety feelings were repeatedly collected for each participant.

    • Reducing conflicts in school environments using restorative practices: A systematic review

      2020, International Journal of Educational Research Open
      Citation Excerpt :

      Sample selection, randomisation and selection of appropriate control conditions form one of the greater challenges for researchers. However, it is often organisationally impossible to offer different interventions to students of the same school, so that randomisation in clusters must be carried out at school level (Chenot, 2009). Higher grade classes that are taught by multiple teachers thereby face an additional challenge, in particular because it should be expected that RP are implemented in a consistent way by all teachers, as it can be assumed that consistency and predictability are likely to affect the intervention's effectiveness.

    • Educational intervention to improve diagnostic accuracy regarding psychological morbidity in general practice

      2019, Zeitschrift fur Evidenz, Fortbildung und Qualitat im Gesundheitswesen
    • The Effects of Tai Chi on Lung Function, Exercise Capacity and Health Related Quality of Life for Patients With Chronic Obstructive Pulmonary Disease: A Pilot Study

      2019, Heart Lung and Circulation
      Citation Excerpt :

      In order to cover the potential attrition rate of 15%, 48 subjects (24 per group) were targeted. An allocation bias on cluster level and a sub sampling bias on patient level was considered, so a randomisation took place after the baseline assessment [27]. Participants were randomised to the Tai Chi group or to usual care group, respectively.

    • Benefit assessment in nursing research: Illustrative examples and questions left unanswered

      2013, Zeitschrift fur Evidenz, Fortbildung und Qualitat im Gesundheitswesen
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