Schwerpunkt
Evidenzbasierte Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung: Welche Studiendesigns brauchen wir?Evidence-based health promotion and prevention in settings: Which types of study designs are needed?

https://doi.org/10.1016/j.zefq.2014.12.002Get rights and content

Zusammenfassung

Prävention und Gesundheitsförderung sind Kernbereiche von Public Health. Ein im Jahr 2013 vorgelegter Gesetzesentwurf zur Prävention wurde im Bundesrat auch mit Verweis auf die einseitige Fokussierung auf individuumsbezogene, verhaltenspräventive Maßnahmen abgelehnt. Im Gegensatz zur Verhaltensprävention zielen Maßnahmen zu Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung (auch) auf Änderungen der gesellschaftlichen und der Umgebungsbedingungen ab. Für sie fehlen häufig belastbare Wirksamkeitsstudien. Dies liegt u.a. an mangelnden Ressourcen, der Komplexität der Maßnahmen und der Schwierigkeit einer Randomisierung. So sind z.B. regulative Maßnahmen zum Nichtraucherschutz politischen Prozessen unterworfen, deren Akteure einer Randomisierung nur in Ausnahmefällen zustimmen würden.

In einem Workshop im Rahmen der 15. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (2014) wurden für zwei aktuelle Fallbeispiele Studiendesigns wie Controlled-Before-and-After- (CBA-) Studien oder Interrupted Time Series (ITS) als mögliche Alternativen zu randomisierten, kontrollierten Studien zur Evaluation von Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung entwickelt. Vor- und Nachteile der verschiedenen Designs wurden diskutiert und mit den Ansätzen aus den tatsächlichen Studien verglichen.

Die breite Spanne vorgeschlagener Ansätze für Wirksamkeitsstudien illustrierte die Möglichkeiten, aber auch die besonderen Herausforderungen, denen sich die Evidenzbasierung von Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung stellen muss.

Summary

Health promotion and health prevention are cornerstones of public health. In Germany, a draft health prevention law was rejected in 2013, partly because it almost exclusively focused on measures at the individual level. Many health promotion and prevention measures, by contrast, (also) address the societal level and the environment, but there are few robust studies on their effectiveness, not least because of a lack of resources, the complexity of the measures, or randomisation problems. For example, regulations that protect non-smokers from smoke are subject to political processes where the majority of decision-makers would decline consent for randomisation.

In a workshop at the 15th Annual Meeting of the German Network for Evidence-based Medicine (DNEbM) two case studies on controlled before-and-after studies (CBA) and interrupted time series (ITS) were developed by the audience as possible alternatives to randomised controlled trials for the evaluation of health promotion and health prevention programmes. The suggestions made by the audience were compared to the study designs chosen in published studies, and the strengths and weaknesses of the different study designs were discussed.

The wide array of suggestions for effectiveness studies illustrated the potential of evidence-based health promotion and prevention, but also the specific challenges to be faced.

Section snippets

Verhaltensprävention: Ansatz beim Individuum

Die Formel „Vorbeugen ist besser als heilen“ hat es inzwischen in den allgemeinen Wortschatz geschafft. Mit viel Hoffnung wurde daher ein erneuter Anlauf zu einem Präventionsgesetz in Deutschland begleitet. Das im Juni 2013 verabschiedete Gesetz zur Förderung der Prävention sah sich aber heftiger Kritik ausgesetzt und wurde letztlich durch den Bundesrat gestoppt. Dieser bemängelte u.a., dass das Gesetz von einem „überholten und engen Verständnis von Prävention geprägt“ sei, welches überwiegend

Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung: Fokus auf den Bedingungen

Im Gegensatz zur Verhaltensprävention setzt die Verhältnisprävention bei Veränderungen der sozialen, kulturellen und technisch-materiellen Umgebung sowie bei der Beeinflussung von Regeln, Gesetzen und sozialen Systemen an [2], [6]. Beispiele sind der Schutz vor Autoabgasen durch die Einrichtung von Umweltzonen oder die Vermeidung von Unfällen durch bauliche Maßnahmen.

Auch viele Maßnahmen zur Gesundheitsförderung setzen bei den Umgebungsbedingungen an. Gesundheitsförderung im Sinne der

Faktoren der Evaluierbarkeit

Ziel bei der Auswahl eines passenden Studiendesigns ist eine möglichst hohe interne und externe Validität.

Eine Interventionsstudie zeichnet sich durch eine hohe interne Validität aus, wenn

  • -

    die Intervention zufällig, meist auf individueller Ebene, zugeteilt werden kann,

  • -

    es eine Vergleichsintervention gibt und für keinen der Beteiligten erkennbar ist, wer welche Intervention erhalten hat,

  • -

    die Intervention gut messbare Auswirkungen auf die Gesundheit hat,

  • -

    die Intervention standardisiert ist und

Studiendesigns für Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung

Ein entscheidender erster Schritt für eine belastbare Evaluation komplexer verhältnispräventiver (und verhaltenspräventiver) Maßnahmen ist ihre explizite Konzeptionalisierung und Beschreibung als potenziell komplexe Intervention (bestehend aus mehreren interagierenden Komponenten, zugrunde liegende theoretische Annahmen, Implementierungsmodi und Outcomes) in einem potenziell komplexen System (bestehend aus Zielgruppe und Kontext). Logische Modelle [8], [9] versuchen Ordnung in diese

Studiendesigns für Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung

In dem Workshop wurden die Teilnehmer mit zwei Fallbeispielen aus publizierten Studien zu Maßnahmen der Verhältnisprävention konfrontiert und gebeten, angemessene Studiendesigns zur Evaluation zu entwickeln.

  • 1)

    Staatliches Programm zur Reduzierung der Feinstaubbelastung in der Stadt Launceston, Australien: Heizen mit Holz ist in Tasmanien seit den 1980er Jahren weit verbreitet. Launceston, die zweitgrößte Stadt Tasmaniens, ist aufgrund ihrer Lage in einem Flusstal besonders stark von der daraus

Fazit

Gesundheitsförderung und Prävention sind Kernbereiche eines jeden Gesundheitssystems. Rein verhaltenspräventive Maßnahmen weisen in methodisch adäquaten Untersuchungen oft eine moderate oder gar keine Wirksamkeit auf. Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Verhältnisprävention lassen sich nicht in auf individueller Ebene randomisierten Studien untersuchen. Statt eines „evaluatorischen Nihilismus“ sollte in diesen Fällen auf alternative Studiendesigns zurückgegriffen werden, entsprechende

Interessenkonflikt

Kein Interessenkonflikt.

Literatur (14)

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Cited by (9)

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