Zentralbl Chir 2010; 135(5): 451-457
DOI: 10.1055/s-0030-1247377
Chirurgische Fort- und Weiterbildung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Gedanken zur Aus- und Weiterbildung zum Chirurgen – gestern, heute und morgen

Some Thoughts on Surgical Education and Training – Past, Present and FutureH. Scheuerlein1 , U. Settmacher1
  • 1Universitätsklinik Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Jena, Deutschland
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Publication Date:
25 October 2010 (online)

In der Chirurgie zeichnet sich ein beträchtlicher Nachwuchsmangel ab: Über 15 000 der 28 500 in Deutschland tätigen Chirurgen sind älter als 50 Jahre und nach dem PJ sehen nur 5 % der Medizinstudierenden ihre Zukunft in der Chirurgie – davor sind es noch 12 %. Die Gründe dafür sind vielfältig: Defizite der Weiterbildung, fehlende Karriereperspektiven, Gehaltsfragen [1]. Trotz der Faszination des Fachgebiets herrscht ein Gefühl der fehlenden Berechenbarkeit der Lebensplanung und des Ausgeliefertseins aufgrund defizitärer Weiterbildungsstrukturen [2]. Um aber den Bedarf aktiver Chirurgen in Zukunft zu decken, müsste ein Prozentsatz von über 10 % der Medizinstudierenden eine Karriere in der Chirurgie starten. Die Diagnose für das fehlende Interesse liegt klar zutage: Die deutsche Chirurgie glänzt durch eine hohe Fremdarbeitsbelastung, eine dünkelhafte Hierarchie und eine im europäischen Vergleich absurd schlechte Bezahlung. Hinzu kommt die ökonomische Reformwut im stationären Sektor, strenge Niederlassungsbeschränkungen und Chefarztverträge auf dem Niveau eines mittleren Angestellten, sodass auch die ­Perspektive einer attraktiven Endposition zerstört ist [3]. Viele dieser Faktoren sind fremdgesteuert und können nicht unmittelbar durch die Chirurgen beeinflusst werden – im besten Falle ist eine Verbesserung der Rahmenbedingungen durch den Berufsverband, die wissenschaftlichen Gesellschaften, die Gesellschaft überhaupt und natürlich die Politik möglich.

Die Defizite folgen zu einem relevanten Anteil den stürmischen Veränderungen im sich wandelnden Gesundheitssystem, der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin und den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes [3]. Was allerdings in unserer Hand liegt, ist die Aus- und Weiterbildung. Über den Strukturwandel in der Chirurgie und die Weiterbildungsqualität ist viel diskutiert worden. Die Defizite sind bekannt und eine Reihe von Verbes­serungsansätzen wurden benannt – sie müssen allerdings vie­lerorts noch umgesetzt, gelebt werden. Was die Weiterbildung betrifft, muss oberstes Ziel sein, dass die Chirurgen das Heft des Handelns selbst in der Hand behalten. Externe Milieuveränderungen müssen aktiv begleitet und sollten nicht trauernd tor­pediert werden [3]. Ein „Früher war alles besser!“ ist auch hier ein Trugschluss. Moderne Organisationsstrukturen mit prozess­ori­en­tierten klinikinternen Abläufen erschweren unter den aktuell ­gegebenen Rahmenbedingungen häufig die Organisation ­einer guten Weiterbildung [3]. Daher ist mehr „Köpfchen“, guter Wille und Engagement gefordert. Erschwerend kommt hinzu (und das ganz im Gegensatz zu vielen unserer europäischen Nachbarn), dass Weiterbildung nicht eigens vergütet wird. Klar ist, und hierzu haben sicherlich auch die Änderungen des Arbeits­zeitgesetzes beigetragen, dass in Zukunft Weiterbildung als Konzert mit den verschiedensten Orchestermitgliedern und unter verschiedenen Dirigenten organisiert sein muss. Das ­bedeutet, strukturierte Weiterbildung bedarf – soll sie innerhalb eines vernünftigen Zeitfensters zu absolvieren sein – einer curricularen Organisation ­unter Einbeziehung und v. a. Erleichterung von Rotationsprogrammen, externer Fortbildung, Operationstraining außerhalb des Operationssaals und Erlernung anderer, nicht streng zum Fach korrelierter Fähigkeiten wie Kommunikationstraining, Führungskompetenz, Ökonomie etc. („Alles, was ein Chirurg außer Chirurgie wissen muss“). Dass junge Kollegen heute mit den ­Füßen abstimmen und dorthin gehen, wo sie eine attraktive und für sie akzeptable Weiterbildung „geboten“ bekommen, zwingt uns alle zum Umdenken. Umso erstaunlicher ist es, dass sich auch in aktueller Zeit noch frappierende Schwächen unseres Weiterbildungssystems zeigen: Nur 58 % der Assistenten erreichen die Facharztqualifikation nach 6 Jahren, 61 % sind mit ihren Lehrassistenzen unzufrieden, 54 % werden nicht zum Besuch externer Veranstaltungen angehalten, 36 % müssen dafür Erholungsurlaub ­einreichen, 18 % geben an, dass sich ihr Arbeit­geber für die Weiterbildung seiner Mitarbeiter interessiert [4]. Noch erstaunlicher ist es, dass sich daran im zeitlichen Verlauf ausweislich der repräsentativen BDC-Umfrage nichts geändert hat [3]. Beispiele (abgesehen von den obigen Zahlen, die sich ähneln): nur 22 % geben an, dass es eine grobe Struktur für den Weiterbildungsgang in ihrer Klinik gibt; nur 40 % sind der Meinung, dass Operationen fair und transparent auf alle Weiterbildungsassistenten verteilt werden; 20 % haben im vergangenen Jahr weniger als 1 Operation pro Woche eigenverantwortlich durchführen können.

Literatur

  • 1 Schneider K. Warum so viele junge Ärzte den Job quittieren (29.05.2008). Im Internet: www.welt.de/finanzen/karriere/article2042545; Stand: 22.02.2010
  • 2 Gawad K A, Berberat P O, Euteneier A J et al. Ohne qualifizierte Weiterbildung keine sichere Chirurgie – Neue Konzepte in der chirurgischen Weiterbildung.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2008;  37 42-43
  • 3 Ansorg J, Schröder W, Krones C J et al. Qualität der chirurgischen Weiterbildung in Deutschland – Entwicklungsanalyse von 2004 bis 2007.  Der Chirurg BDC. 2008;  47 292-297
  • 4 Post S. Anforderungen an die Ausbildung zum Chirurgen.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2007;  36 141-144
  • 5 Müller W. AWMF-Stellungnahme: Förderung der wissenschaftlichen Medizin schon in der studentischen Ausbildung (21.05.2008).  www.egms.de/static/en/journals/awmf/2008–5/awmf000155.shtml; Stand: 22.02.2010
  • 6 Braun L. Billroth und die universitäre Lehre.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2006;  35 215-219
  • 7 Dralle H. Strukturwandel in der Chirurgie – und was bleiben sollte. ­Ansprache zur Kongresseröffnung des 3. Mitteldeutschen Chirurgenkongresses 2006.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2007;  36 15-17
  • 8 Peiper H J. Chirurgische Schule: Tradition – Wandel – Paradigmenwechsel.  Zentralbl Chir. 1999;  124 902-906
  • 9 Schlein U, Hager-van der Laan J. Junge Assistenzärzte in gestandenen chirurgischen Teams – Ein Kulturschock für beide Seiten?!.  Der Chirurg BDC. 2008;  47 354-355
  • 10 Schlein U. „Neue Besen kehren gut!“.  Der Chirurg BDC. 2008;  47 240
  • 11 Schemmer P. Plädoyer für eine gesundheitsökonomische Ausbildung von Ärzten.  CHAZ. 2009;  10 111-112
  • 12 Goldschmidt A JW, Schmidt A. Wie viel Ökonomie braucht der Chirurg?.  CHAZ. 2007;  8 201-208
  • 13 Buddeberg-Fischer B, Stamm M, Buddeberg C et al. Arbeitsstress, Gesundheit und Lebenszufriedenheit junger Ärztinnen und Ärzte.  Dtsch Med Wochenschr. 2008;  133 2441-2447
  • 14 Grün A. Festvortrag anlässlich der 180. Tagung der Vereinigung Nordwestdeutscher Chirurgen e. V.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2008;  37 231-236
  • 15 Horn J. Medizin und Wissenschaft: eine Frage der Kultur.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2008;  37 216-222
  • 16 Herfarth C. Erlebte Chirurgie: Der medizinische Erfolg ist eine Leihgabe auf Zeit.  Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2005;  34 348-351
  • 17 Krüger M. Die chirurgische Weiterbildung in Deutschland und die Rolle des Weiterbilders – eine Assistentensichtweise.  Der Chirurg BDC. 2008;  47 301-304

Dr. H. Scheuerlein

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