Geburtshilfe Frauenheilkd 2010; 70 - A6
DOI: 10.1055/s-0030-1269964

Thrombozytopenie in der Schwangerschaft

R Klamroth 1
  • 1Berlin-Friedrichshain

Thrombozyten in der Schwangerschaft: Die Thombozytenzahl sind über die gesamte Schwangerschaft in der Regel konstant zwischen 150–420 G/l. Man spricht von einer Thrombozytopenie bei Thrombozytenzahlen <150 G/l, dabei gilt es zunächst Laborartefakte auszuschließen. Hierzu zählt die Pseudothrombozytopenie durch EDTA-bedingte Verklumpung der Thrombozyten (Kontrolle der Thrombozyten im Citrat-Blut, ggf. Blutausstrich mit Nachweis von Aggregaten)

Ursachen der Thrombozytopenie: Hier zu zählt der erhöhte Umsatz/Abbau der Thrombozyten (häufig), was auf Immunologische Ursachen zurückzuführen sein kann.

Herabgesetzte Neubildung der Thrombozyten ist eher selten und hat Alkoholabusus, Virusinfekte (z.B. HIV), aber auch Folsäure- und Vitamin B12-Mangel oder gar eine maligne hämatologische Erkrankung zur Ursache. Auch der steigende Verlust oder eine vermehrter Verbrauch durch Blutungen, massive Gerinnungsaktivierungen, z.B. im Rahmen einer Sepsis kommen in Frage. Es werden sehr verschiede Formen der Thrombozytopenie unterschieden:

Gestations-Thrombozytopenie: Häufig in der Schwangerschaft (ca. 5%) (Burrows et al. NEJM 1993). Man vermutet, dass die Genese am ehesten immunologisch im Sinne einer transienten Immunthrombozytopenie zu verstehen ist. Die Gestations-Thrombozytopenie stellt ca. 75% aller Thrombozytopenien in der Schwangerschaft und tritt ab dem 2. Trimenon, in der Regel jedoch im 3. Trimenon auf. Die Thrombozyten liegen meist >100 G/l, sehr selten <70 G/l. Ein erhöhtes Blutungsrisiko bei der Entbindung besteht nicht. Ebenso wird keine Thrombozytopenie beim Neugeborenen beobachtet. Bei Thrombozytenzahlen >50 G/l ist bekanntermassen jede Form der Entbindung möglich (Cave interne Leitlinien zur PDA). Nach der Entbindung kommt es zügig zur Normalisierung der Thrombozytenzahlen. Es besteht keine Thrombozytopenie vor bzw. zu Beginn der Schwangerschaft, aber ein hohes Rezidivrisiko in der Folgeschwangerschaft.

Immunthrombozytopenie (ITP): Findet sich selten in der Schwangerschaft (<1%) und hat Autoantikörper gegen Oberflächenantigene zur Ursache. Die Thrombozytenzahl liegt häufig <50 G/l, aber die Blutungsneigung eher gering. Das Auftreten ist unabhängig von der Schwangerschaftswoche, wobei auch eine fetale Thrombozytopenie möglich (10–20%) ist, da IgG-Antikörper plazentagängig sind. Deshalb empfielt sich eine Thrombozytenkontrolle beim Neugeborenen. Die Thrombozytopenie kann auch erst einige Tage später auftreten, was auf die verzögerte Clearence der antikörperbeladenen Thrombozyten in der Milz zurückgeführt werden kann. Die Therapie der ITP erfolgt außerhalb von Schwangerschaften nur bei Blutungen. In der Schwangerschaft ist eine Therapie bei Thrombozytenzahlen <50 G/l sinnvoll, zumal sich auch das Risiko einer fetalen/neonatalen Thrombozytopenie bei Thrombozytenzahlen <50 G/l erhöht. Als Therapieoptionen steht Prednisolon (initial 1mg/kg KG) zur Verfügung, worunter es zu einem Anstieg der Thrombozyten nach 3 bis 5 Tagen kommt. Immunglobuline (Gesamtdosis 2g/kg KG aufgeteilt auf 2–5 Tage) führen zu einem Thrombozytenanstieg innerhalb von 24h. Thrombozytenkonzentrate sollten nur bei akuter Blutung gegeben werden!

Thrombozytopenie bei Schwangerschaftskomplikationen: Bei der Präeklampsie (ab der 20. SSW) werden Thrombozytopenie in 15% der Präeklampsiefälle beschrieben, die durch die zusätzliche Klinik (Hypertonie und Proteinurie) begleitet werden.

Beim HELLP-Syndrom (DD TTP/HUS) werden Thrombozytopenien ab der 20. SSW ebenfalls beobachtet. Die multifaktorielle Genese (Thrombotische Mikroangiopathie) mit Gerinnungsaktivierung, Verbrauchskoagulopathie, Hämolyse und erhöhten Transaminasen sind gut bekannt. TTP/HUS Symptome können postpartal persistieren.

Weitere Ursachen einer Thrombozytopenie: Im Vordergrund steht das Antiphospholipidsyndrom, welches im Labor das Lupusantikoagulans, Cardiolipin-Antikörper und β2-Glykoprotein-Antikörper nachweisen lässt. Anamnestisch berichten die Patientinnen über arterielle oder venöse Gefäßverschlüsse, über rezidivierende Frühaborte oder über einen Spätabort. Es liegt keine Blutungsneigung sondern eine Thromboseneigung vor, deren Therapie in der Schwangerschaft häufig mit Heparin und ASS erfolgt. Weiterhin bekannt ist die medikamenten-induzierte Thrombozytopenie, bei der es gilt, dass in der Anamnese auffällige Medikamente (auch wiederholt vorübergehend eingenommene) Medikamente abzusetzen sind. Meist kommt es zur Erholung der Thrombozytenzahl nach 5–7 Tagen.

Heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II: Hier kann es zu Interaktionen des Heparins mit Plättchenfaktor 4 (PF4) kommen, wobei sich Antikörper gegen den Heparin/PF4-Komplex (Antikörper in 10% der Fälle bei Einsatz UFH) bilden, die zu einer Thrombozytopenie in 2–3% der Fälle führen. Es kommt zu einem Thrombozytenabfall auf unter 50% des Ausgangswerts zwischen 5. und 14. Tag. Merke: Es gibt keine HIT nach Tag 21. Die HIT-Typ II gibt es seltener, wenn niedermolekulares Heparin verwendet wird. Patientinnen in der Schwangerschaft haben ein niedriges Risiko, wobei die Kontrolle des Ausgangswerts der Thrombozyten ausreichend ist.

Management der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft: Das Vorgehen ist abhängig von der Thrombozytenzahl (TZ). Liegt die TZ >120 G/l so genügt eine Kontrolle alle 4 bis 6 Wochen. Eine weitere Diagnostik bei unauffälliger Klinik ist nicht notwendig. Findet man eine TZ <120 G/l und >70 G/l, so ist eine Kontrolle alle 2 bis 4 Wochen empfehlenswert, die von einer klinischen Untersuchung sowie RR-Messung, einem Urinstatus sowie ggf. einem HIV-Test begleitet wird. Kontrolliert werden: Thrombozyten im Citrat, Differenzialblutbild und Transaminasen. Betragen die TZ <70 G/l, so wird alle 2 Wochen kontrolliert, wobei zusätzlich die Thrombozytenantikörper, Autoantikörper, die Gerinnung und die Nierenfunktion überprüft werden soll. Liegt eine Thrombozytopenie vor der 20. SSW vor, so muss die Abgrenzung einer Immunthromboztyopenie (+ Medikamentenanamnese) gegenüber einer gestörten Thrombozytenproduktion erfolgen. Bei Thrombozytopenie nach der 20. SSW erfolgt differenzialdiagnostisch die Abgrenzung der Gestations-Thrombozytopenie gegenüber einer Präeklampsie und einem HELLP-Syndrom.

Peripartales Management: Bei Thrombozytenzahl >50G/l braucht es aus hämostaseologischer Sicht keine Änderung des notwendigen geburtshilfichen Vorgehens. Kollegialerweise sollte eine interdisziplinäre Überprüfung der internen Leitlinien zur PDA erfolgen, da heterogene Grenzwerte von 50 bis 100G/l existieren. Liegt die Thrombozytenzahl <50 G/l, so muss möglichst die Genese geklärt werden. Eine Blutungsneigung besteht in der Regel erst bei Thrombozytenzahlen <30G/l. In diesen Fällen sind Immunglobuline als Therapie der 1. Wahl anzusehen, während Thrombozytenkonzentrate nur bei aktiver Blutung eingesetzt werden sollten.

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