Rehabilitation (Stuttg) 2011; 50(3): 178-185
DOI: 10.1055/s-0031-1273775
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wer profitiert von Stufenweiser Wiedereingliederung in Trägerschaft der gesetzlichen Rentenversicherung?

Who Benefits from Stepwise Occupational Reintegration Provided under the Statutory Pension Insurance Scheme?W. Bürger1 , M. Streibelt2
  • 1fbg forschung und beratung im gesundheitswesen, Karlsruhe
  • 2Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin
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Publication Date:
30 May 2011 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Stufenweise Wiedereingliederung (STW) – seit einer gesetzlichen Neuregelung 2004 auch in Trägerschaft der gesetzlichen Rentenversicherung – ist ein Instrument, um arbeitsunfähige Versicherte nach länger andauernder Krankheit schrittweise wieder an die volle Arbeitsbelastung heranzuführen. In einer umfassenden Studie wurde 2008 erstmals der Nutzen der STW in Trägerschaft der gesetzlichen Rentenversicherung in Bezug auf die berufliche Wiedereingliederung nachgewiesen. Allerdings stellt sich angesichts weiter steigender Fallzahlen die Frage nach differenziellen Effekten für bestimmte Subgruppen.

Methoden: Hierzu wurden Daten der Studie von 2008 erneut ausgewertet. Die Analysen basieren auf 696 Patienten, von denen 348 an einer STW in Trägerschaft der Rentenversicherung im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation teilnahmen (IG). Die mittels Propensity Score parallelisierte Kontrollgruppe (KG) erhielt keine STW. Als Erfolgsmaß fungierte ein kombiniertes Erfolgskriterium aus aktiver Erwerbstätigkeit, Fehlzeiten von weniger als 6 Wochen und fehlender Frühberentungsabsicht im Katamnesezeitraum von einem Jahr. Als Differenzierungskriterien wurden Alter, Geschlecht, die Reha-Indikation, Fehlzeiten vor der Rehabilitation sowie die Verfahrensart und der Zugang zur medizinischen Rehabilitation verwendet. Zur Abschätzung wurden segmentspezifische Schätzer unter Kontrolle des Haupteffekts eines Kriteriums verwendet.

Ergebnisse: Besonders ausgeprägte Effekte weisen Patienten mit psychischen Erkrankungen (OR=2,49), Patienten nach § 51 SGB V (OR=2,71) sowie mit längeren Fehlzeiten vor der Rehabilitation (3 bis unter 6 Monate: OR=2,41; 6 und mehr Monate: OR=2,23) auf. Dagegen sind die Effekte bei AHB-Patienten, Patienten mit kardiologischen oder onkologischen Erkrankungen und bei jüngeren (19–34 Jahre) und älteren Patienten (55–60 Jahre) statistisch nicht mehr nachweisbar.

In weitergehenden Analysen zeigt sich, dass der Erfolg der STW bei Patienten mit schlechterer beruflicher Wiedereingliederungsprognose stärker ausgeprägt ist.

Diskussion: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass differenzielle Effekte einer STW im Anschluss an die medizinische Rehabilitation existieren. Insbesondere zur sozialmedizinischen Problemlage, der Art der Erkrankung und zum Alter werden Zusammenhänge nachgewiesen. Generell scheint sich die STW-Inanspruchnahme besonders für Rehabilitanden mit einer ungünstigen beruflichen Prognose zu lohnen. Damit werden neue Handlungsoptionen insbesondere im Anschluss an eine medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation bei besonders stark beeinträchtigten Patienten eröffnet.

Abstract

Background: Stepwise occupational reintegration (SOR) – since law amendments in April 2004 also provided under the German pension insurance scheme (Deutsche Rentenversicherung, DRV) – is an instrument intended to support insurants on sick-leave in reintegrating into work step by step after long-term illness. In 2008, the effectiveness of SOR regarding return to work was affirmed for the first time in a comprehensive study. However, in view of the growing amount of SOR, the question of differential effects of SOR in special subgroups is raised.

Methods: This paper presents a re-analysis of data collected in the 2008 study. A total of 696 patients after medical rehabilitation were included in the analyses, 348 with SOR provided by the DRV, and a control group of 348 patients without SOR matched on a multitude of different variables using the Propensity Scores. Successful outcome was measured using a combined criterion “Return to work in good health”, that is, patients returning to gainful activity and with sick leave of under 6 weeks and no intention to retire within a one-year follow-period after medical rehabilitation. Differentiating criteria are age gender, rehab indication, periods of sick leave in the year before medical rehabilitation, kind of and access to medical rehabilitation.

Results: The data indicate especially good results of SOR for patients with mental disorders (OR=2.49), patients who were requested to participate in medical rehabilitation by a health insurance fund because of long-term sick leave (OR=2.71), and patients with longer periods of sick leave before medical rehabilitation (3 to <6 months: OR=2.41, 6 months and more: OR=2.23). In contrast, there are only minimal effects (statistically not significant) of SOR in patients with medical rehabilitation directly after a hospital stay (“Anschlussheilbehandlung”), patients with cardiac or oncological diseases, and in younger (age 19–34) and older patients (age 55–60). In-depth analyses show that SOR success is more marked in patients with poorer return to work prospects.

Discussion: The findings indicate differential effects of SOR after medical rehabilitation for subgroups, effects associated in particular with return to work problems, kind of disease, and age. There is evidence for greater benefits of SOR in groups of patients with a high risk of non-successful reintegration. Hence, SOR opens up new options after medical rehabilitation in patients with especially severe impairments.

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Korrespondenzadresse

Dr. Wolfgang Bürger

FBG Forschung und Beratung

im Gesundheitswesen

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76133 Karlsruhe

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