NOTARZT 2011; 27(6): 266-268
DOI: 10.1055/s-0031-1276896
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Merkwürdige Trunkenheit

R.  Offermann1 , F.  Martens2
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Rettungsstelle CCM (komm. Leiter: Prof. Dr. M. Möckel)
  • 2Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
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Publication Date:
05 December 2011 (online)

Der Fall

Eine 45-jährige Frau wurde mit dem Rettungswagen ohne notärztliche Begleitung in die Rettungsstelle eingeliefert. Die Rettungsassistenten hatten die Frau bewusstlos in Erbrochenem liegend mit GCS 4 in einem Hinterhof aufgefunden und sie unter dem Verdacht einer akuten Alkoholvergiftung in das Klinikum gebracht. Außer dieser Vorgeschichte gab es keine weiteren anamnestischen Informationen.

In der Rettungsstelle bestätigte sich die Bewusstseinstrübung mit GCS von 4. Die Pupillen waren mittelweit und seitengleich lichtreaktiv, der Kornealreflex war beidseits erhalten. Ein Meningismus bestand nicht. Der restliche körperliche Untersuchungsbefund war bis auf eine leichte Tachypnoe mit Atemfrequenz von 17/min unauffällig. Der Blutdruck lag mit 120 / 80 im Normbereich, Herzfrequenz 80/min regelmäßig, SpO2 97 % unter Raumluft. Eine Hypoglykämie als Komaursache konnte mit einem Blutzucker von 250 mg / dl ausgeschlossen werden. Ein alkoholischer Fötor konnte von keinem Rettungsstellenmitarbeiter wahrgenommen werden. Daher wurde ein cCT angefertigt, welches eine Blutung ausschloss. Die in der Zwischenzeit bestimmten Laborwerte waren unauffällig, insbesondere Ethanol ließ sich nicht nachweisen. Ein orientierendes Drogenscreening im Urin zeigte ebenfalls keine Hinweise für eine das Koma erklärende Vergiftung. Sonografisch waren die Abdominalorgane als unauffällig beurteilt worden und das Herz zeigte eine gute Pumpfunktion ohne relevante Vitien.

In der Blutgasanalyse ergab sich der überraschende Befund einer respiratorisch kompensierten metabolischen Azidose bei deutlich erhöhtem Laktat von 101 mg / dl (normal < 15). Die Elektrolyte Natrium und Kalium lagen im Normbereich; für CO-Hb oder Met-Hb ergab sich kein Anhalt.

Was hatte bei der Patientin zum Koma und zu der ausgeprägten Laktatazidose bei fehlender Hypoxämie und normalen Kreislaufverhältnissen geführt?

Da die Patientin im Verlauf der o. g. Untersuchungen zunehmend aufklarte, konnte eine „Schutzintubation“ unterbleiben. Zwei Stunden nach Aufnahme erbrach sie mehrmals eine körnig-breiige Masse und berichtete auf Nachfrage über den Verzehr von insgesamt 50 g Bittermandeln aus dem Reformhaus. Kurze Zeit danach habe sie ein Hitzegefühl und Schwindel verspürt und sei zusammengebrochen. Als die Patientin dies erzählte, fand sich in der jetzt untersuchten Blutgasanalyse ein Laktat von 146 mg / dl und eine nur noch teilkompensierte Azidose mit einem pH von 7,25.

Die Verdachtsdiagnose lautete jetzt Blausäure-Intoxikation nach Verzehr von amygdalinhaltigen Bittermandeln. Eine Antidotgabe wurde diskutiert. In der Folge-BGA war allerdings das Laktat bereits auf 50 mg / dl abgefallen, sodass bei der inzwischen völlig wachen, kreislaufstabilen und beschwerdefreien Patientin auf weitere Spezialmaßnahmen verzichtet werden konnte. In den Folgestunden kam es zu einem vorübergehenden Anstieg der Kreatinkinase im Sinne einer Rhabdomyolyse, der jedoch in wenigen Stunden rückläufig war und auch zu keiner Einschränkung der Nierenfunktion geführt hatte, sodass die Patientin nach Hause entlassen werden konnte.

Literatur

  • 1 Lewin L. Die Gifte in der Weltgeschichte.. Berlin: Verlag Julius Springer; 1920: 72
  • 2 Herbert V. The nutritionally and metabolically destructive „nutritional and metabolic antineoplastic diet“ of laetrile proponents.  Am J Clin Nutr. 1979;  32 96-98
  • 3 Shragg T A, Albertson T E, Fisher C J. Cyanide Poisoning after bitter almond ingestion.  Western J Med. 1982;  136 65-69
  • 4 Beamer W C, Shealy R M, Prough D S. Acute cyanide poisoning from laetrile ingestion.  Ann Emerg Med. 1983;  12 449-451
  • 5 Sanchez-Verlaan P et al. An unusual cause of severe lactic acidosis: cyanide poisoning after bitter almond ingestion.  Intensive Care Med. 2011;  37 168-169
  • 6 Hall A H, Rumack B H. Clinical toxicology of cyanide.  Ann Emerg Med. 1986;  15 1067-1074

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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