Rehabilitation (Stuttg) 2012; 51(03): 151-159
DOI: 10.1055/s-0032-1312660
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verwendung von Verlaufstypen zur Veränderungsmessung in der medizinischen Rehabilitation: Ein Beitrag zum Vergleich verschiedener Methoden der Ergebnismessung

Use of Trajectories for Measuring Change in Medical Rehabilitation: A Contribution toward Comparison of Different Methods of Outcome Measurement
C. Meffert
1   Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin (AQMS), Universitätsklinikum Freiburg i. Br
,
T. Kohlmann
2   Abteilung Methoden der Community Medicine, Institut für Community Medicine, Greifswald
,
H. Raspe
3   Akad. Zentrum für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung, Universität Lübeck
,
N. Gerdes
4   Hochrhein-Institut für Rehabilitationsforschung, Bad Säckingen
,
O. Mittag
1   Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin (AQMS), Universitätsklinikum Freiburg i. Br
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Publication History

Publication Date:
11 June 2012 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie:

Die Frage, mit welchen Methoden der Erfolg von medizinischen Rehabilita­tionsmaßnahmen beurteilt werden sollte, hat eine lange und kontroversenreiche Geschichte. Vor diesem Hintergrund war es Anliegen des Projekts „Ergebnismessung in der medizinischen Rehabilitation“, ein besseres Verständnis des Veränderungsgeschehens und seiner Messung zu entwickeln und mögliche Ursachen für die Diskrepanzen zwischen den Ergebnissen der direkten und indirekten Veränderungsmessung aufzuklären. Konkrete Ziele der vorliegenden Studie waren: 1. unterschiedliche Veränderungsverläufe („Trajektorien“) mittels möglichst einfacher und anschaulicher Methoden dazustellen, 2. die gefundenen Lösungen zu vergleichen, 3. Zusammenhänge mit den Ergebnissen der direkten Veränderungsmessung bzw. globalen Erfolgsschätzung aufzuzeigen und 4. schließlich die Prädiktionskraft der verschiedenen Veränderungsmaße zu vergleichen.

Methodik:

Datenbasis bildete ein gut dokumentierter Datensatz aus der Rehabilitationsforschung, in dem sowohl die indirekte und direkte Veränderungsmessung als auch die globale Erfolgsmessung realisiert wurden und der es somit erlaubte, unterschiedliche Methoden der Ergebnismessung miteinander zu vergleichen. Anhand von n=466 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen wurden anhand der Prä-Post-Daten unterschiedliche Verlaufstypen (3 und 5 Gruppen) der Veränderung gebildet.

Ergebnisse:

Je nach gewähltem Grenzwert für positive oder negative Verläufe und gewähltem Endpunkt verbesserten sich zwischen 20 und knapp 40% der Patienten im Nachbeobachtungszeitraum. Der Anteil der Verschlechterten lag etwa in der gleichen Größenordnung. In mindestens einem Endpunkt waren aber bei zwei Drittel der Patienten Verbesserungen festzustellen. Diese Gruppe gab einen deutlich besseren globalen Rehabilitationserfolg an als diejenigen, die in keinem Endpunkt Verbesserungen erfahren hatten. Die Analysen der Prädiktionskraft der einzelnen Verlaufstypen (3 Monate) hinsichtlich des Status nach 12 Monaten zeigen, dass sie über unterschiedliche Prädiktoren und auch über die Eingangsbelastung hinaus substanziell zur Varianzaufklärung beitragen. Das Gleiche gilt für die Vorhersage eines sozialmedizinisch relevanten Außenkriteriums (Arbeitsunfähigkeitszeiten).

Schlussfolgerung:

Die Beschreibung von Verlaufstypen der Veränderung führt zu sinnvollen Ergebnissen. Gegenüber kom­plexen statistischen Verfahren hat diese Methode den Vorteil, dass die so gebildeten Patientengruppen inhaltlich klar definiert sind und anschaulich interpretiert werden können.

Abstract

Objective:

The question of which methods should be used to assess the effects of medical rehabilitation has a long and controversial history. With regard to this background the project „Outcome measurement in medical rehabilita­tion“ aimed at developing a better understanding of the process of change and its assessment. We also looked into possible causes for discrepancies between the results of direct and indirect measures of change. Aims of our study were: (1) to picture trajectories of change in a simple and descriptive way, (2) to compare the resulting solutions, (3) to highlight relations with direct measurement of change and/or global estimation of effects, (4) to compare the predictive value of different measurements of change.

Methods:

We used available data from rehabilitation research which covered direct and indirect measurement of change as well as global measurement of effects and which therefore en­abled us to compare different methods of outcome measurements. The well documented record includes data from n=466 patients with chronic back pain. Different trajectories (3 and 5 groups) were defined using their pre/post data.

Results:

Depending on limits chosen for positive or negative courses and chosen outcome 20% to almost 40% of the patients showed improvements over the follow-up period. About the same percentages changed for the worse. However, two-thirds of the patients improved at least in one outcome. Compared with those, who did not experience improvements in any outcome, this group indicated better global rehabilitation effects. The different types of trajectories (3 and 5 groups) substantially contribute to the explained variance of catamnestic status at 12 months be­yond other predictors as well as beyond initial status. The same applies to the prediction of disability days.

Conclusion:

The description of trajectories of change yields useful results. In contrast to complex statistical methods we were able to identify groups of patients that can easily be de­scribed.

 
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