Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53(07/08): 543-550
DOI: 10.1055/s-0043-111006
Fortbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Orale Antikoagulanzien: Management von elektiven und Notfalleingriffen

Oral Anticoagulants: Management of Elective and Emergency Surgery
Hartmuth Nowak
,
Matthias Unterberg
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Publication Date:
23 July 2018 (online)

Zusammenfassung

Orale Antikoagulation bei chirurgischen Patienten erfolgt meistens mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK). Während VKA wegen ihrer langen Halbwertszeit über die INR gesteuert werden, ist bei NOAK in der Regel keine Gerinnungskontrolle notwendig. Die Gabe erfolgt in festen Dosierungen. Spezifische Gerinnungswerte zur Bestimmung der Wirkung von NOAK können über die Anti-Faktor-Xa(FXa)-Aktivität (für FXa-Inhibitoren: Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban) und die verdünnte Thrombinzeit (für Dabigatran) erfolgen. Es gibt aktuell keine validierten Grenzwerte, die mit einem erhöhten Risiko für perioperative Blutungen einhergehen. Während VKA perioperativ auf eine parenterale Antikoagulation (z. B. niedermolekulares Heparin) umgestellt werden („Bridging“), werden NOAK pausiert. Ebenso ist nach ausreichendem Sicherheitsabstand die Durchführung von rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren möglich. Falls erforderlich können NOAK auch auf ein parenterales Verfahren umgestellt werden („Switching“). Lebensbedrohliche Blutungskomplikationen können sowohl unter VKA als auch unter NOAK mit Prothrombinkomplex (PPSB) behandelt werden. Für Dabigatran steht ein Antidot zur Verfügung.

Ein nicht unerheblicher Teil unserer Patienten erhält eine orale Antikoagulation. Gerade im perioperativen Umfeld ist bei dieser Patientengruppe eine sorgfältige Planung von elektiven Operationen und rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren erforderlich. Weiterhin stellen im Rahmen von Notfalleingriffen mögliche Blutungskomplikationen den Anästhesisten vor Herausforderungen. Dieser Beitrag beleuchtet die genannten Szenarien.

Abstract

In most patients, oral anticoagulation is performed with vitamin K antagonists (VKA) or non-vitamin K antagonist oral anticoagulants (NOAC). Because of a long half-life, VKA are dosed by measuring INR. In standard cases coagulation tests for NOAC are not necessary; application is performed in a fixed dose. Special coagulation tests like anti-Xa activity (for factor Xa inhibitors: apixaban, edoxaban, rivaroxaban) and diluted thrombin time (for dabigatran) are available. At this time, no cut-off values are validated which show a higher risk of intra- and postoperative bleeding. For elective surgery, VKA are bridged by parenteral anticoagulation (e.g. low molecular weight heparin), NOAC are discontinued perioperative. Also, neuraxial anesthesia techniques can be performed with a proper time interval between last intake of a NOAC and puncture. If required, a transition from NOAC to parenteral anticoagulation can be made. Severe bleeding complications can be treated for VKA and NOAC as well by application of prothrombin complex concentrate. A specific antidote to dabigatran is available.

Kernaussagen
  • Orale Antikoagulation erfolgt häufig weiterhin mit VKA. Der Anteil der NOAK steigt jedes Jahr und wird wahrscheinlich in naher Zukunft den Hauptteil der oralen Antikoagulanzien ausmachen.

  • Aufgrund einer kurzen Halbwertszeit erfordert der Einsatz von NOAK – anders als bei den VKA – keine regelmäßigen Gerinnungskontrollen. Mit der Faktor-Xa-Aktivität und der verdünnten Thrombinzeit (dTT) stehen quantitative Gerinnungstests für NOAK zur Verfügung.

  • Das perioperative Management von VKA erfolgt durch das sog. „Bridging“, dafür wird die VKA-Gabe auf eine parenterale Antikoagulation umgestellt.

  • NOAK werden perioperativ und zur Durchführung von rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren pausiert.

  • Zum Management von schweren, lebensbedrohlichen Blutungen kann bei NOAK ebenso wie bei den VKA PPSB eingesetzt werden. Für Dabigatran ist ein Antidot verfügbar.

  • Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von NOAK kann eine Verzögerung von dringlichen Operationen eine weitere Option zur Vermeidung von Blutungskomplikationen darstellen.