Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(38): 1131-1132
DOI: 10.1055/s-2000-7568
Medizinisches Publizieren
Medizinisches Publizieren
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Möglichkeiten und Grenzen des Publizierens in der DDR

A. ScholzP. Wunderlich
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 zog für die DDR eine die folgenden vier Jahrzehnte bestimmende Ambivalenz nach sich. Die Maßnahmen für eine Stärkung der DDR mit ständig steigender Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik sollten mit einer parallel angestrebten internationalen Anerkennung einher gehen. Die wissenschaftspolitischen Folgen für die Medizin waren der von der SED geforderte Austritt der DDR-Ärzte aus westdeutschen Fachgesellschaften, die Gründung von Fachgesellschaften in der DDR mit der Durchführung eigener Kongresse, die Herausgabe von Zeitschriften als Publikationsorgane vorwiegend für DDR-Wissenschaftler. Auf der anderen Seite stieg Jahrzehnt für Jahrzehnt das Bedürfnis nach Akzeptanz in internationalen medizinischen Fachgremien und Organisationen. Der radikalste Akt der Abgrenzung war 1961 der Bau der Mauer, der die Kontrollmöglichkeit über die in der DDR lebenden Menschen perfektionierte. Während die Reiseeinschränkungen und damit die Besuche von Wissenschaftlern auf deutschen und internationalen Kongressen sofort wirksam wurden, existierte in den 60er Jahren noch die Möglichkeit, in ausländischen Fachjournalen, unabhängig von der politischen Orientierung, zu publizieren. In den Jahren 1969/70 wurde die Publikationsfreiheit reglementiert, die die Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse in Büchern oder Zeitschriften des nichtsozialistischen Währungsbereiches (NSW) genehmigungspflichtig machte. Als Motiv wurden die Stärkung der DDR und die politische Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik formuliert.

Eine Analyse von 2980 in den Bibliographien der Medizinischen Akademie Dresden dokumentierten Veröffentlichungen in den beiden Zeitabschnitten 1967 - 1970 und 1977 - 1981 ergab, dass der Anteil der im »Westen« erschienenen Publikationen von 24% auf 7% gesunken war (Tab. [1]).

Tab. Veröffentlichungen der Medizinischen Akademie Dresden in wissenschaftlichen Zeitschriften der DDR und des sozialistischen Auslandes (bezeichnet mit Ost) und des nichtsozialistischen Auslandes (bezeichnet mit West) in verschiedenen Zeitabschnitten. Anzahl der Veröffentlichungen Publikationsort Ost West Zeitraum Gesamt Absolut % Absolut % 1967-1970 1140 871 76 269 24 1977-1981 1840 1716 93 124 7

Die Analyse der Arbeiten der Kinderklinik belegt diese Aussage nachdrücklich. Von 302 Veröffentlichungen in Zeitschriften/Original- und Übersichtsarbeiten aus der Kinderklinik der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« Dresden aus den Jahren 1954 bis 1969 erschienen

54,3 % in Zeitschriften der DDR 40,7 % in Zeitschriften der BRD 5,5 % in anderen westlichen Zeitschriften und 1,7 % in Zeitschriften der östlichen Nachbarn (Ungarn, Polen, Tschechoslowakei und Sowjetunion).

In den folgenden 5 Jahren (1970 bis 1974) entfielen dagegen von 241 Zeitschriften-Veröffentlichungen dieser Klinik

80,6 % auf DDR-Zeitschriften 12,8 % auf Fachzeitschriften aus Skandinavien, aus der Schweiz und Österreich 6,2 % auf die östlichen Nachbarstaaten.

Nur eine einzige Arbeit konnte in diesen 5 Jahren in der BRD erscheinen.

DDR-Autoren entwickelten subversive Taktiken, um im »Westen« publizieren zu können. Die Zusammenarbeit mit befreundeten polnischen Kollegen ermöglichte mir 1977 und 1980 zwei Veröffentlichungen in dem wichtigsten deutschen dermatologischen Journal »Der Hautarzt« [1] [5]. Die polnischen Wissenschaftler erschienen als Erstautoren, da ihre Publikationsmöglichkeiten in westlichen Staaten nicht eingeschränkt waren.

Die Genehmigungspflicht galt sowohl für Zeitschriften als auch für Bücher. Erst bei Vorlage eines sogenannten »Negativ-Attestes« war es möglich, Fachbücher im »Westen« zu veröffentlichen, d.h. ein Manuskript musste zuerst DDR-Verlagen angeboten werden. Erst wenn diese an der Veröffentlichung kein Interesse hatten (bzw. kein Papierkontingent und keine Druckkapazität verfügbar war), durften - genehmigungspflichtige - Verhandlungen mit westdeutschen oder anderen westlichen Verlagen geführt werden. Solche Gespräche erfolgten meist bei der Leipziger Buchmesse. Deshalb mussten seit Mitte der 70er Jahre auch Messebesuche vorher bei der Hochschulleitung beantragt und genehmigt und nach dem Messebesuch genau Bericht erstattet werden, welche Messestände und welche Verlage besucht worden waren. Die Restriktionen gingen sogar so weit, dass Autoren aus der DDR ihre Mitarbeit an in der BRD herausgegebenen Übersichtswerken trotz Aufforderung der Herausgeber zurückziehen mussten. Der Dresdner Internist Professor Dr. Gerhard Heidelmann wurde 1973 veranlasst, seine Mitarbeit an einem in München herausgegebenen Handbuch zurückzuziehen. Im Protokoll der Hochschulparteileitung (HPL)-Sitzung heißt es: »Im März 1973 erhielt Herr Prof. Heidelmann vom Verlag ¿Klinik der Gegenwart¿ von Urban und Schwarzenberg München eine Aufforderung, seinen Beitrag über ¿Durchblutungsstörungen der Gliedmaßen und der Akren¿ für ein Handbuch zu bearbeiten. Die staatliche Leitung führte mit Herrn Prof. Heidelmann ein Gespräch, worauf eine abschlägige Antwort erfolgte« [4].

Obwohl die Publikationspraxis seit 1970 von den genannten Beschränkungen bestimmt war, ließ sich erst unter dem 22.5.1985 ein Rektorschreiben finden: Änderung der Arbeitsordnung der Medizinischen Akademie vom 20.12.79. Als Neufassung wird hier formuliert: »Veröffentlichungen im Ausland bedürfen der Genehmigung des Leiters gem. 2.1.2.1. bis 2.1.3.1. Veröffentlichungen in das NSW sind zusätzlich vom Rektor zu genehmigen. Dazu ist auf einem einheitlichen Formblatt die Genehmigung des Büros für Urheberrechte einzuholen.« Der über den Rektor an das Büro für Urheberrechte in Berlin zu richtende Antrag enthielt acht Positionen: Zweck, Autor, Empfänger, Titel, Art der Veröffentlichung, Forschungsthema, Begründung für Veröffentlichung im Ausland, Vergütung. Der Antrag wurde vom Autor gestellt und musste vom Klinikdirektor und Rektor genehmigt werden.

Die DDR-Führung hat es im Rahmen ihrer Abgrenzungsstrategie verstanden, Zeitschriften, die in der DDR produziert wurden, als Publikationsorgane der für die DDR neu gegründeten Fachgesellschaften zu instrumentalisieren, sodass für jede Spezialrichtung ein hier hergestelltes Journal existierte.

Die 1949 neu gegründete Zeitschrift »Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie« erschien im Verlag S. Hirzel Leipzig. Ab Band 14, 1962 firmierte sie als »Mitteilungsorgan der Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie in der Deutschen Demokratischen Republik und der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie in der Deutschen Demokratischen Republik«. Alle drei Herausgeber kamen aus Berlin: K. Leonhard, A. Mette, Dr. Müller-Hegemann. Von den wissenschaftlichen Mitarbeitern kamen 16 aus der DDR, 10 aus der BRD.

Eine der ältesten dermatologischen Zeitschriften, die 1882 gegründeten »Monatshefte für Praktische Dermatologie«, ab 1912 »Dermatologische Wochenschrift« wurde 1969 in »Dermatologische Monatsschrift« umbenannt und als Kongressorgan der »Dermatologischen Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik« ausgewiesen. Den ausscheidenden Herausgebern aus München, Mainz, Berlin und Heidelberg wurde gedankt. Die neuen Herausgeber kamen aus Berlin, Dresden und Jena und schmückten sich mit einem international ausgerichteten Beirat.

Pädiatrische Fachaufsätze wurden vor allem in der 1930 gegründeten und 1948 wiederbelebten »Kinderärztlichen Praxis« (Thieme-Verlag Leipzig), der 1962 gegründeten Zeitschrift »Pädiatrie und Grenzgebiete« (Akademieverlag Berlin-Ost) und der »Ärztlichen Jugendkunde« veröffentlicht. Der Rostocker Pädiater Michael Radke hat die Entwicklung dieser Zeitschriften analysiert [2]. In den 50er Jahren waren noch »ca. 60% aller in der ¿Kinderärztlichen Praxis¿ publizierten Beiträge von Autoren aus der BRD bzw. aus anderen kapitalistischen Ländern verfasst«. Bis zum Jahr 1971 dominierten Fachvertreter aus der BRD im Herausgeber- bzw. Redaktionskollegium. Ab Band 41 (1973) wurde die »Kinderärztliche Praxis« Organ der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR und erhielt eine ausschließlich aus DDR-Wissenschaftlern bestehende Redaktion (2, S. 127-129). 1962 war mit »Pädiatrie und Grenzgebiete« eine zweite pädiatrische Fachzeitschrift der DDR geschaffen worden, die von Anfang an unter dem Einfluss eines DDR-Redaktions-Kollegiums stand (2, S. 131).

Das zentralistisch geführte System der DDR verfügte über eine breite Skala offizieller und geheimdienstlicher Kontrollmöglichkeiten, um Kontakte zwischen Autoren und Verlagen zu überwachen. Damit erreichten sie in den frühen 70er Jahren den beschriebenen Rückgang an Publikationen in westlichen Zeitschriften. Kritische Mitglieder der Führungspartei SED erkannten die Gefahren dieser Entwicklung. Im Monatsbericht der Hochschul-Parteileitung der Medizinischen Akademie Dresden vom Juni 1972 gaben SED-Wissenschaftler ihrer Besorgnis Ausdruck, dass durch die Politik der Abgrenzung (keine Veröffentlichungen in westlichen Zeitschriften und geringe Zahl von Kongressbesuchen im westlichen Ausland) die Wissenschaft der DDR in eine Isolierung geraten könnte[4]. Die angestrebte Stärkung der DDR wurde jedoch zu einem Pyrrhussieg.

Die vom politischen System erzwungene Isolation hat zur Nichtbeachtung und fehlenden Öffentlichkeit bemerkenswerter wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem hiesigen Bereich geführt. Die fehlende Repräsentanz von DDR-Zeitschriften in internationalen Zitierwerken (Index medicus, Current Contents u.a.) hat dementsprechend zu niedrigen Zitierfrequenzen der in der DDR veröffentlichten Ergebnisse geführt. Sachlich geführte Diskussionen bestätigen heute die Gleichwertigkeit vieler im »Westen« und gleichzeitig »im Osten« erarbeiteter Forschungsergebnisse.

Die in der DDR nicht absehbare Folge war außerdem, dass bei den Bewerbungen um die Lehrstühle nach der Wiedervereinigung die Kandidaten aus der ehemaligen DDR mit einem minimalen Impact-Faktor bei den Veröffentlichungen in die Konkurrenz gingen. Außerdem hatten sie der DDR-Strategie entsprechend kaum Studienaufenthalte in anglo-amerikanischen Ländern aufzuweisen. Diese Hinweise auf die Isolierung der DDR lassen nicht außer Acht, dass nach der politischen Anerkennung der DDR eine zunehmende Zahl von DDR-Medizinern internationale Beziehungen aufbauen konnte. Diese Kontakte waren jedoch überwiegend auf SED-Mitglieder zentriert.

Literatur

  • 1 Nowakowski T K, Scholz A. Das Schicksal behaarter Menschen im Wandel der Geschichte.  Hautarzt. 1977;  28 593-599
  • 2 Radke M. Der Weg der Kinderheilkunde zur wissenschaftlich-medizinischen Disziplin in Deutschland und Studien zur Entwicklung der Pädiatrie in der DDR - Voraussetzungen, Tendenzen, Institutionen, Potentiale. Promotion B = Habilitation Rostock; 1987
  • 3 Scholz A, Scholz I. Berufliche Wege von Wissenschaftlern an der Medizinischen Akademie Dresden. In: Herrmann, Th Von der Akademie zur Fakultät. Schriften der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden Dresden; 1997 1: 129-133
  • 4 Staatsarchiv Dresden IV/C -7/406 008
  • 5 Wasik F, Scholz A, Sebastian G. Erinnerungen an Albert Neisser.  Hautarzt. 1980;  31 328-333

Korrespondenz

Prof. Dr. A. Scholz

Institut für Geschichte der Medizin Universität Dresden

Fetscherstr. 74

01307 Dresden

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