Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(10): 642-644
DOI: 10.1055/s-2001-17677
MINI-SYMPOSIUM - 200 JAHRE LACHGAS - AUCH DAS ENDE EINER ÄRA?
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Klinische Pharmakologie
von Stickoxidul

Clinical Pharmacology of Nitrous OxideA. Hellenthal, P. M. Lauven
  • Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin,
    Städtische Kliniken Bielefeld-Mitte
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Publication Date:
05 October 2001 (online)

Stickoxidul (Lachgas, N2O) ist ein farbloses, geruchsloses und nicht reizendes Gas, das seit der Entdeckung seiner analgetischen Eigenschaften bis heute als eine gut steuerbare Komponente zu einem festen Bestandteil vieler Anästhesieverfahren gehört.

Zu den Mechanismen, die zu der anästhetischen Wirkung von N2O führen, werden eine Hemmung am NMDA-Rezeptor, stimulierende Effekte an dopaminergen Neuronen und die Freisetzung von Opioidpeptiden im zentralen Nervensystem angeführt, sie sind aber noch nicht vollständig geklärt. Die antinozizeptive Wirkung von N2O wird durch die Freisetzung von Opioidpeptiden im ZNS erklärt, die absteigende noradrenerge Bahnen stimulieren. Hierdurch wird über Noradrenalin mit Wirkung an α2-Rezeptoren am dorsalen Hinterhorn die nozizeptive Verarbeitung moduliert [2].

Lachgas ist ein Inhalationsanästhetikum mit analgetischer und mäßig ausgeprägter hypnotischer Potenz ohne muskelrelaxierenden Effekt. Zu den erwünschten Wirkungen (vgl. Tab. [1]) zählt die schnelle Pharmakokinetik. Die schlechte Löslichkeit von N2O im Blut und Gewebe (Blut-Gas-Verteilungskoeffizient 0,47) führt zu einer auch im Vergleich zu den neueren Inhalationsanästhetika schnelleren Anflut- und Abklingcharakteristik. Erst mit der Einführung des kurzwirksamen Remifentanil steht ein Opioid mit vergleichbarer Steuerbarkeit der analgetischen Komponente im Rahmen einer Anästhesie zur Verfügung.

Lachgas ist nicht als Monoanästhetikum einsetzbar, die minimale alveoläre Konzentration (MAC) liegt bei mindestens 104 Vol%. Einzelne Fallberichte, unter hyperbaren Bedingungen durchgeführt, berichten über erhebliche Nebenwirkungen mit Tachypnoe, Tachykardie und Hypertension. Der Haupteinsatzbereich von N2O liegt in der Verwendung als Trägergas in einem Lachgas-Sauerstoff-Gemisch. Die analgetischen Eigenschaften werden zur Supplementierung intravenöser oder volatiler Anästhetika ausgenutzt, so daß eine Dosis- bzw. eine MAC-Reduktion resultiert. N2O wird nicht metabolisiert, sondern pulmonal eliminiert.

Den erwünschten Wirkungen von N2O stehen eine Vielzahl von bekannten Nebenwirkungen gegenüber (Tab. [2]). Kardiovaskulär wird dosisabhängig eine Sympathikusstimulation mit Anstieg von Herzfrequenz, systemischem Gefäßwiderstand und Abnahme des Schlagvolumens beobachtet, dagegen besonders bei Patienten mit vermindertem Sympathikustonus eine negativ inotrope Wirkung. Die schnelle Rückdiffiision von N2O in der Ausleitungsphase verdünnt die inspiratorische Sauerstofffraktion und bedingt die Diffusionshypoxie. Die Lachgaselimination ist nach 5 - 10 min weitgehend abgeschlossen, so daß eine konsequente O2-Gabe in diesem Zeitraum die Diffusionshypoxie verhindert.

Pulmonal findet sich eine α-adrenerg bedingte Vasokonstriktion, die den pulmonalvaskulären Widerstand erhöht und besonders bei Patienten mit vorbestehender rechtsventrikulärer Belastung klinisch relevant sein kann. Zerebral kommt es zu einer Vasodilatation mit Steigerung des zerebralen Blutflusses und, insbesondere bei verminderter intrakranieller Compliance zu einem Anstieg des Hirndrucks.

N2O diffundiert im Austausch gegen wesentlich geringer löslichen Stickstoff in luftgefüllte Hohlräume und führt, je nach vorhandener Compliance, zu einer raschen Zunahme von Volumen (Ileus, Pneumothorax, Tubuscuff mit Trachealschädigung) oder Druck (Mittelohr).

Lachgas wird emetogenes Potential zugeschrieben, zu den auslösenden Faktoren zählen gastrointestinale Distension, Druckveränderungen im Mittelohr, eine Erhöhung zerebrospinaler Opioide und eine Störung im medullären dopaminergen System. Der Stellenwert als PONV-Auslöser wird diskutiert, der Verzicht auf N2O bei Patienten mit präoperativ bekannter Prädisposition kann zu einer Reduktion von PONV führen [6].

Zu den unerwünschten Nebenwirkungen von N2O gehören auch neurologische Erkrankungen (akute funikuläre Myelose, besonders bei Vitamin B12-Mangel) und, bei Langzeitexposition Knochenmarksschäden. Ökologisch betrachtet, beträgt der anästhesiebedingte Anteil an der Gesamt-Lachgasproduktion 1 % und entsprechend ca. 0,5 % am Treibhauseffekt.

Die minimale alveoläre Konzentration (MAC) entspricht derjenigen alveolären Konzentration eines Anästhetikums, bei der 50 % der Patienten keine gezielte Abwehrreaktion auf einen definierten Schmerzreiz (Hautinzision) hin zeigen. Sie dient bisher zum Vergleich der pharmakodynamischen Potenz einzelner Inhalationsanästhetika. Bei der Kombination von N2O mit verschiedenen volatilen Anästhetika ist eine additive Interaktion beschrieben worden. So ermöglicht die Gabe von 50 Vol% N2O eine Reduktion des Inhalationsanästhetikums auf 0,5 MAC.

Die anästhetische Potenz von N2O, gemessen anhand von EEG-Parametern, ist aber schwächer ausgeprägt und demzufolge ist das Ausmaß der Interaktion geringer. Während die Applikation von jeweils 10 Vol% N2O, bewertet nach MAC-Kriterien, eine Reduktion von Isofluran um 0,11 % bedeutet, führt die Gabe von 10 Vol% N2O, bezogen auf den pharmakodynamischen Endpunkt eines EEG-Parameters (Median 2 - 3 Hz) zu einer geringeren Verminderung um 0,04 % Isofluran [3].

Daneben ist unter Stickoxidulgabe eine Toleranzentwicklung beschrieben worden. In einer Studie wird ein rasches Ansteigen der antinonzeptiven Wirkung von N2O beschrieben mit einem Maximum nach 20 - 30 min und einem kompletten Sistieren nach 150 min [4]. In einem anderen Bericht finden sich EEG-Veränderungen, die auf eine akute N2O-Toleranz hinweisen [1].

Aus klinisch-pharmakologischer Sicht ergibt sich: Stickoxidul ist ein Anästhetikum mit geringer anästhetischer Potenz. Bezogen auf eine Steuerung nach EEG-Parametern oder nach klinischen Kriterien ist die Interaktion mit anderen Inhalationsanästhetika schwächer ausgeprägt als bei einer Bewertung nach dem MAC-Konzept. Damit ergibt sich ein geringeres Einsparpotential. Neben dem Vorteil der guten Steuerbarkeit findet sich ein breites Nebenwirkungsspektrum.

Die spezifische Wirkung von Lachgas ist durch andere, gut steuerbare Medikamente ersetzbar, so dass bei gegebenen technischen Voraussetzungen unter Erhöhung der Opioidkomponente und des Inhalationsanästhetikums um ca. 20 % ein Verzicht auf N2O möglich ist. N2O-freie Narkosen ermöglichen eine größere Sicherheitsbreite im Low-Flow- und Minimal-Flow-Systemen und verhindern eine Diffusionshypoxie. N2O-freie Narkosen vermeiden lachgasbedingte Nebenwirkungen und ermöglichen eine PONV-Reduktion bei bestimmten Patientengruppen.

Der Einsatz von N2O in der modernen Anästhesie ist entbehrlich.

Tab. 1 N2O - Erwünschte Wirkungen - schnelle Pharmakokinetik - Analgetikum - Supplementierung intravenöser/volatiler Anästhetika - Trägergas - keine Metabolisierung

Tab. 2 N2O - Unerwünschte Wirkungen - Stimulierung Sympathikus, Einschränkung Myokardkontraktilität - Diffusionshypoxie - pulmonale Vasokonstriktion, Steigerung pulmonalvaskulärer Widerstand - Dilatation Hirngefäße, Steigerung intrazerebraler Druck - Diffusion in Hohlräume - Expansion/Druckzunahme - PONV, gastrointestinale Distension - neurologische Schäden - Arbeitsplatzbelastung, Umwelt - toxische Nebenwirkungen

Literatur

  • 1 Avramov M, Shingu K, Mori K. Progressive changes in electroencephalographic responses to nitrous oxide in humans.  Anesth Analg. 1990;  70 369-374
  • 2 Maze M, Fujinaga M. Recent advances in understanding the actions and toxicity of nitrous oxide.  Anesthesia. 2000;  55 311-314
  • 3 Röpcke H, Schwilden H. Interaction of isofluran and nitrous oxide combinations similar for median electroencephalographic frequency and clinical anesthesia.  Anesthesiology. 1996;  84 782-788
  • 4 Rupreht T, Dworacek B, Bonke B, et al. Tolerance to nitrous oxide in volunteers.  Acta Anaesthesiol Scand. 1985;  29 635-638
  • 5 Schirmer U. Lachgas.  Anaesthesist. 1998;  47 245-255
  • 6 Tramer M, Moore A, McQuay H. Omitting nitrous oxide in general anaesthesia.  Br J Anaesth. 1996;  76 186-193

Prof. Dr. Dr. P. M. Lauven

Klinik für Anaesthesie und operative Intensivmedizin

Teutoburger Straße 50

33604 Bielefeld

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