Gesundheitswesen 2001; 63(10): 591-596
DOI: 10.1055/s-2001-17876
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Selbstbestimmte Patienten? - Die Nutznießer der Medizin und ihre Rechte[*]

Patient Self-Determination - The Beneficiaries of Medicine and Their RightsC. Wiesemann
  • 1Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Göttingen
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Publication Date:
17 October 2001 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Untersuchung: Das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten wird heute von vielen Seiten gefordert und eingeklagt. Umso wichtiger ist es zu untersuchen, inwiefern die Organisation des Gesundheitswesens Strukturen vorgibt, die einer echten Selbstbestimmung des Patienten im Wege stehen.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Die Geschichte der Entstehung des modernen Gesundheitswesens gibt Hinweise auf solche strukturellen Einschränkungen. Aber auch aus dem Blickwinkel der modernen Medizinethik lassen sich systematische Bedingungen aufzeigen, welche dem Wunsch nach mehr Patientenautonomie entgegenstehen. Eigenverantwortlichkeit muss mit der Möglichkeit zur Mitbestimmung Hand in Hand gehen, sonst wird sie zur Farce. Der Beitrag zeigt notwendige Maßnahmen für eine Gesundheitsreform aus Patientenperspektive auf.

Abstract

Respect for patient autonomy is one of the major ethical goals of modern medicine. Therefore, it is important to analyse whether the organisational structure of the German health care system impedes the realisation of patient self-determination.

It will be shown by means of historical and ethical analysis that the nature of the doctor-patient relationship as well as other factors in the organisation of modern medicine systematically undermine patient autonomy. If individual responsibility in the health care setting is to be strengthened, patients’ influence on public health decision-making processes, too, has to be advanced. The paper shows from a patient perspective where this could be the case.

1 Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag vom 23. Juni 1999 in Erlangen auf Einladung der IPPNW im Rahmen der Vortragsreihe „Streitfall Gesundheitsreform”.

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1 Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag vom 23. Juni 1999 in Erlangen auf Einladung der IPPNW im Rahmen der Vortragsreihe „Streitfall Gesundheitsreform”.

2 Es muss sich noch zeigen, ob sich diese Praxis durch das Transplantationsgesetz von 1997 ändern wird.

3 1998 hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer dies für zulässig erklärt, allerdings nur nach Beratung durch eine bei der Landesärztekammer eingerichtete Kommission, also wiederum ein von Ärzten ins Leben gerufenes Gremium. Weiterhin ausgeschlossen bleiben jedoch gleichgeschlechtliche Paare.

Prof. Dr. Claudia Wiesemann

Ethik und Geschichte der Medizin
Universität Göttingen

Humboldtallee 36

37073 Göttingen

Email: cwiesem@gwdg.de

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