Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(48): 1381-1382
DOI: 10.1055/s-2001-18653
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ciguatera: Klinische Bedeutung eines marinen Neurotoxins

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Publication Date:
13 May 2004 (online)

In der Kasuistik [1] wird der klinische Verlauf einer Ciguatera-Intoxikation einer 45-jährigen Patientin nach Fischmahlzeit während eines Urlaubs am Roten Meer mit gastrointestinalen und mannigfaltigen neurologischen Symptomen beschrieben [1]. Wir sahen ebenfalls vier Patienten nach Fischgenuss während eines Urlaubs in der Dominikanischen Republik mit ähnlicher neurologischer Symptomatik wie Parästhesien am ganzen Körper, Unruhe, inversem Temperaturempfinden, Muskelkrämpfen und Zephalgien [2]. Bei fehlenden spezifischen Befunden war der Hinweis auf eine Fischmahlzeit mit Zackenbarsch am Urlaubsort wegweisend, welche bei einer großen Anzahl von Mitgliedern der Reisegruppe Durchfall, Übelkeit und Schweißausbrüche nach sich zog.

Auch bei unseren Patienten war die Ciguatera-Intoxikation trotz der beeindruckenden Symptomatik eine Verdachtsdiagnose bzw. ohne spezifische Befunde und ohne Giftnachweis eine Ausschlussdiagnose. Auch unsere Patienten wurden symptomatisch mit Amitryptilin, Chininsulfat, Dimetidinmaleat sowie Loperamid behandelt. Im Gegensatz zu der 45-jährigen Patientin waren die Beschwerden unserer Patienten aber unter dieser Therapie nach 3 Wochen zumindest deutlich abgemildert. Lediglich Schlaflosigkeit und Unruhe dauerten bis zu einem Jahr.

Der Therapievorschlag einer Mannitolgabe beruht auf der klinischen Beobachtung von zwölf akut erkrankten Patienten, die einen unerwartet schnellen Rückgang ihrer Symptome aufwiesen [3]. Die Erklärung über eine Reduktion des axonalen Ödems oder einen »scavenger effect« bleibt spekulativ. Diese Therapie, die einer klinischen und wissenschaftlichen Bestätigung bedarf, ist nur in der Akutphase der Erkrankung (24 Stunden nach Giftaufnahme) wirksam.

Die Erfahrung, dass Ciguatera-Intoxikationen nach Fischgenuss in unterschiedlichen Bereichen der Welt (meist Karibik, indischer und pazifischer Ozean) vorkommen, unterstreicht die Möglichkeit, dass es sich um Vergiftungen mit mindestens fünf verschiedenen Ciguatoxinen und anderen Algentoxinen handeln kann. Dabei führen die Ciguatoxine 2 - 4 wie in dem vorliegenden Fall der 45-jährigen Patientin und wie bei unseren Patienten zu Parästhesien, Muskelkrämpfen, Diarrhoen, Bradykardie und Hypotension, während für das Ciguatoxin 1 in der Akutphase Tachykardie und Hypertension beschrieben wurde. Maitotoxin, Okadainsäure, Scaritoxin und Palytoxin sind weitere Gifte, die ähnlich wie die Ciguatoxine wirken können und darüber hinaus zu Schwitzen, Unruhe, Adynamie und chronischen Muskelkrämpfen führen können. Die individuelle Zusammensetzung des durch Fischgenuss nach unzureichender Ausweidung freiwerdenden »Cocktails« an Algentoxinen ist wahrscheinlich abhängig von der Meeresregion und bestimmt den Symptomenkomplex sowie neben der aufgenommenen Giftmenge auch die Gefährlichkeit der Intoxikation, bei der pathophysiologisch neben anderen neurologischen Veränderungen [5] eine axonale sensomotorische Polyneuropathie im Vordergrund steht [1].

Die Symptome sind den Einheimischen der jeweiligen Region sehr gut bekannt. Verständlicherweise wird weder von den Einheimischen noch von den Touristikveranstaltern auf die zum Teil nicht ungefährliche Intoxikation hingewiesen. Wahrscheinlich ist diese Vergiftung bei Kenntnis der Symptome deutlich häufiger diagnostizierbar und früher und möglicherweise besser behandelbar.

Literatur

  • 1 Ruprecht K, Rieckmann P, Giess R. Ciguatera: Klinische Bedeutung eines marinen Neurotoxins.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  28/29 812-814
  • 2 Blume C, Rapp M, Rath J, Köller H, Arendt G, Bach D, Grabensee B. Die Ciguatera-Vergiftung - wachsende differentialdiagnostische Bedeutung im Zeitalter des Fernreisetourismus.  Med Klin. 1999;  45 45-49
  • 3 Pearn J H, Lewis R L, Ruff T, Tait M, Quinn J, Murtha W, King G, Mallet A, Gillespiel N C. Ciguatera and mannitol: experience with a new treatment regimen.  Med J Australia. 1989;  151 77-80
  • 4 Morris J G, Lewin P, Hargrett N T, Smith C W, Blake P A, Schneider R. Clinical features of ciguatera fish poisoning.  Arch Intern Med. 1982;  142 1090-1093
  • 5 Butera R, Prockop L D, Buoncore M, Locatelli C, Gandini C, Manzo L. Mild ciguatera poisoning: Case reports with neurophysiological evaluations.  Miscle Nerve. 2000;  23 1598-1603

Dr. G. Arendt
Prof. Dr. B. Grabensee
Prof. Dr. G. Arendt

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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