Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(8): 334-343
DOI: 10.1055/s-2003-40949
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ärztliche Sterbehilfe im Spannungsfeld zwischen Zustimmung zur Freigabe und persönlicher Inanspruchnahme - Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung

Attitudes Towards Professional Euthanasia in the Range Between Grement in the Society and Personal Preferences - Results of a Representative Examination of the German General PopulationChristina  Schröder1 , Gabriele  Schmutzer1 , Antje  Klaiberg1 , Elmar  Brähler1
  • 1Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig
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Publication History

Eingegangen: 6. Dezember 2002

Angenommen: 27. Februar 2003

Publication Date:
29 July 2003 (online)

Zusammenfassung

Meinungsbefragungen der deutschen Bevölkerung zum Thema aktive Sterbehilfe bei unheilbar Kranken ergaben bisher sowohl hohe Ablehnungs- als auch hohe Zustimmungsraten. Nach einer kritischen Diskussion der methodischen Konzepte solcher Untersuchungen werden die Ergebnisse einer Repräsentativerhebung an 1957 Personen (Altersspanne 14 - 96 Jahre) des Meinungsforschungsinstituts USUMA im Februar 2001 im soziodemografischen Vergleich dargestellt. In das verwendete alternative Fragekonzept wurden die passive, die aktive und die indirekte ärztliche Sterbehilfe sowie die ärztliche Beihilfe zum Suizid einbezogen. Eine mögliche Zustimmung war an die Bedingungen „erklärter Wille und unerträgliche Schmerzen”, „erklärter Wille”, „mutmaßlicher Wille” und „in alleiniger Verantwortung des Arztes” gebunden. Außerdem wurde nach dem persönlichen Wunsch im Fall einer unheilbaren Erkrankung gefragt. Die ermittelten Häufigkeitsverteilungen werten die Bedingung „erklärter Wille” unabhängig von dem Zusatzkriterium Schmerz und die legalen Formen ärztlicher Sterbehilfe (passive und indirekte) auf. Die Rangfolge der hypothetischen persönlichen Inanspruchnahme lautet: passive Sterbehilfe 26,1 %, aktive Sterbehilfe 21,1 %, indirekte Sterbehilfe 13,1 % und Beihilfe zum Suizid 6,2 %. Die bekundete Inanspruchnahme ist bei jeder Form der ärztlichen Sterbehilfe deutlich geringer als die Zustimmung zur allgemeinen Freigabe für die Gesellschaft. Das lässt auf eine Zurückhaltung der Bevölkerung gegenüber der konkreten Realisierung von Sterbehilfe schließen. Bei Personen über 60 Jahre nimmt die Zustimmung bei jeder Form der ärztlichen Sterbehilfe im Vergleich zu jüngeren Personen signifikant ab. Personen mit subjektiv schlechtem Gesundheitszustand plädieren stärker für die alleinige Verantwortung des Arztes als Gesunde. Die Repräsentativbefragung belegt, dass kein polarisiertes, sondern ein differenziertes öffentliches Meinungsbild zum Thema ärztliche Sterbehilfe existiert.

Abstract

Several surveys of the German population concerning the attitude towards euthanasia in patients with terminal illness yielded contradictory results, ranging from high acquisition to high refusal rates. After a critical discussion of the methodological concepts of these investigations, we present the results of a representative study of 1957 German persons (age range: 14 - 96 years) which was performed by the institute USUMA in February 2001. Four different types of euthanasia were included in the study: active, passive, and indirect euthanasia as well as physician's assisted suicide. The affirmative response categories were „declared will and unbearable pain”, „declared will”, „referred will”, and „in the responsibility of the physician”. Additionally, we asked to state the personal preference in the case of an own incurable illness. The resulting frequency distributions stress the autonomy of the patients (declared will) and the legal forms of professional euthanasia (passive and indirect euthanasia), independent from the degree of pain. The rank order of the hypothetic personal preferences was: passive euthanasia (26.1 %), active euthanasia (21.1 %), indirect euthanasia (13.1 %) and assisted suicide (6.2 %). For each category the hypothetic personal will to utilize euthanasia personally is markedly lower than the consent to legalize euthanasia in the society. This points to a diminished readiness of the population to seek for euthanasia. Persons aged 60 years and above deny all types of euthanasia significantly more often than younger persons. Persons with subjectively bad health status prefer the category „in the responsibility of the physician” more often than healthy subjects. The representative study proves that there is no polarized public opinion concerning euthanasia, rather there is a picture of high complexity.

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PD Dr. phil. habil. Christina Schröder

Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie · Universitätsklinikum Leipzig

Stephanstraße 11

04103 Leipzig

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