Psychiatr Prax 2003; 30(7): 389-394
DOI: 10.1055/s-2003-43249
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von der Person zum isolierten Fall: Frank Schmökel in den Diskursen von Macht und Stigmatisierung

From the Person to an Isolated Case: Frank Schmökel in the Discourses of Power and StigmatizationFlorian  Steger1
  • 1Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
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Publication Date:
30 October 2003 (online)

Zusammenfassung

Anliegen: Mediale Repräsentationen von Psychiatrie geben die gesellschaftliche Wahrnehmung von Psychiatrie(n) wieder. Sie sind gesellschafts- und gesundheitspolitisch einflussreich, insofern die gesellschaftliche Wahrnehmung der Psychiatrie von den Medien bestimmt wird, und die Medien Denkmögliches und Sagbares transportieren. Methode: In Anlehnung an ein diskursanalytisches Verfahren (M. Foucault) wird am konkreten Beispiel von Frank Schmökel eine textnahe Analyse der Tagesberichterstattung durchgeführt. Ergebnisse: Es wird gezeigt, mit welchen Mitteln in den Medien ein Bild von Frank Schmökel entworfen wird, das nur noch wenig Verständnis für seine Person und seine Tat zulässt. Schmökel ist einem Machtbereich ausgesetzt, der aus verschiedenen konkurrierenden Diskursen erwächst. Die Kristallisation der beteiligten Diskurse (Psychiatrie, Recht, Öffentlichkeit) in Macht zeigt neben wiederholter Stigmatisierung und Klischeebildung die Isolierung des Individuums auf: Die Person Frank Schmökel wird zum isolierten Fall. Schlussfolgerungen: Bilder dieser Art werden rasch verallgemeinert und führen zu einem öffentlichen, die Wirklichkeit verzerrenden Bild von Psychiatrie(n). Solcher Meinungstransport ist gesellschaftspolitisch und gesundheitspolitisch ungemein einflussreich und hat Rückwirkungen auf Recht und Politik.

Abstract

Objective: Representations of psychiatry in the media reflect the societal perception of psychiatries. These representations are influential in terms of society and health politics in that the societal perception of psychiatry is determined by the media, and the media convey what is thinkable and sayable. Method: A formal textual analysis, employing a discoursive analytical method (M. Foucault), will be carried out based on the concrete example of the daily coverage of the case of Frank Schmökel. Results: It will be demonstrated that the means by which the media sketched an image of Frank Schmökel left little understanding for the person and his action. Schmökel was exposed to a sphere of control which arose from various competing discourses. The crystallization of the participating discourses (psychiatry, law, publicity) in power shows, in addition to repeated stigmatization and the generation of cliches, the isolation of the individual: the person Frank Schmökel is made into an isolated case. Conclusions: Images of this type are quickly generalized and lead to a public image of psychiatry (psychiatries) that distort reality. Such conveyance of opinion is amazingly influential in terms of societal politics and health politics, and has repercussions in law and politics.

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Dr. Florian Steger

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg · Institut für Geschichte und Ethik der Medizin

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