Gesundheitswesen 2007; 69: S7-S18
DOI: 10.1055/s-2006-927351
Teil 1: Einführung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teil 1: Einführung

J. Donhauser1
  • 1Gesundheitsamt im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen
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Publication Date:
14 February 2007 (online)

1. Vorwort

Die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes im Rahmen der NS-Gesundheitspolitik wurde bislang in den Reihen des öffentlichen Gesundheitsdienstes bis auf Einzelfälle (z. B. Bremen [1]) noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Obwohl in den vergangenen 25 Jahren die zeitgeschichtliche Forschung im Bereich der NS-Medizingeschichte grundlegende Arbeiten zu den bevölkerungspolitischen Maßnahmen des NS-Regimes, der Rolle der Ärzteschaft und der Bedeutung rassenhygienischer Vorstellungen hervorgebracht hat, blieb die Geschichte des öffentlichen Gesundheitsdienstes in der Zeit zwischen 1933 und 1945 weitgehend unbeachtet. Hierzu existieren allenfalls Studien zu Teilaspekten. Abgesehen von Alfons Labischs und Florian Tennstedts Monografie über die Entstehungsgeschichte der staatlichen Gesundheitsämter im Rahmen des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens und dessen Einfluss auf die rassenhygienische Politik in der Anfangszeit der NS-Herrschaft wurde erst 2001 eine umfassende Studie von Johannes Vossen zu den Gesundheitsämtern einer größeren Region in der NS-Zeit vorgelegt. Diese Arbeit behandelt, Anregungen aus der Regionalforschung aufgreifend, den öffentlichen Gesundheitsdienst in der preußischen Provinz Westfalen auf der Ebene der Kreisämter. Vossens Veröffentlichung stellt meiner Ansicht nach die bisher fundierteste Monografie dar, die institutionsgeschichtlich die Rolle der Gesundheitsämter in der NS-Zeit beleuchtet, diese in den ideengeschichtlichen Kontext einordnet und sie paradigmatisch vor dem Hintergrund der „Ambivalenz der Moderne” ausleuchtet.

Bereits 1998 legte Asmus Nitschke eine ebenfalls sehr inhaltsreiche, institutionsgeschichtlich orientierte Arbeit mit dem Titel „Die ‚Erbpolizei‘ im Nationalsozialismus. Zur Alltagsgeschichte der Gesundheitsämter im Dritten Reich. Das Beispiel Bremen” vor. Sie gibt einen umfassenden Einblick in das öffentliche Gesundheitswesen eines kleinen Stadtstaates.

Seit 2003 liegt nun auch eine im Umfang deutlich geringere, jedoch inhaltlich ebenfalls sehr aufschlussreiche Arbeit von Herwig Czech über das Wiener Gesundheitsamt in der Zeit von 1938 bis 1945 vor. Czech zeigt sehr anschaulich, mit welcher Effektivität es den Nazis in Wien gelang, innerhalb kürzester Zeit den „Rückstand” von fast fünf Jahren gegenüber dem Gesundheitsamtsapparat im Altreich aufzuholen und zu übertrumpfen.

Die vorliegende Dokumentation möchte an die Gründung Staatlicher Gesundheitsämter zum 1. April 1935 erinnern und in einer kurzgefassten Übersicht die Rolle des Gesundheitsamtes in der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik beleuchten.

Der Blick ist dabei nahezu ausschließlich auf die Umsetzung der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenpflege“ gerichtet und blendet bewusst die sonstigen Aufgaben des Gesundheitsamtes bis auf ein kurzes Kapitel über die Fürsorgetätigkeit aus.

Wem dies zu einseitig oder zu verkürzt dargestellt ist, dem möchte ich die Lektüre folgender Arbeiten ans Herz legen: Die bereits genannte, ausgezeichnete Monografie von Johannes Vossen, Asmus Nitschkes Buch über den Bremer ÖGD in der NS-Zeit und die 2003 erschienene, ebenfalls grundlegende Studie von Winfried Süß zur NS-Gesundheitspoltik im Krieg, „Der Volkskörper im Krieg, Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939 bis 1945”.

Ausgehend von Vossens Gesamtdarstellung über die Gesundheitsämter Westfalens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird versucht, zumindest schlaglichtartig, einige Eindrücke aus einer kleinen Auswahl damaliger staatlicher Gesundheitsämter Bayerns zu vermitteln. Gestützt wird dieser Vergleich auf Recherchen in den Staatsarchiven Augsburg, München und Nürnberg. Die Auswahl der einzelnen Ämter begründet sich durch das Nochvorhandensein entsprechenden Archivmaterials und stützt sich auf Unterlagen der ehem. staatlichen Gesundheitsämter Augsburg-Land, Donauwörth, Eichstätt, Kaufbeuren, Neuburg a. d. Donau, Nördlingen, Pfaffenhofen, Schrobenhausen und Wertingen.

Leider liegt in den genannten Staatsarchiven dazu nur sehr wenig Aktenmaterial vor. Obwohl beispielsweise der damalige Regierungsbezirk Oberbayern 25 staatliche Gesundheitsämter zählte, sind zur „Erb- und Rassenpflege” nur aus einem Amt (Pfaffenhofen) die Akten einigermaßen vollständig im Staatsarchiv München erhalten. Vor diesem Hintergrund war es ein glücklicher Umstand, dass in den Amtsräumen des jetzigen Gesundheitsamtes im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen alte Akten aus dem ehemaligen staatlichen Gesundheitsamt Schrobenhausen, ebenfalls Regierungsbezirk Oberbayern, bisher unbeachtet lagerten. Diese wurden gesichtet und einiges aus dem Schriftverkehr zwischen Reichsinnenministerium, Bayer. Staatsministerium des Innern und Regierung von Oberbayern mit dem damaligen Staatl. Gesundheitsamt Schrobenhausen im Original eingescannt. Mittlerweile wurden die Akten an das Staatsarchiv München abgegeben, sie werden noch inventarisiert. Bei der Quellenangabe wird gesondert darauf verwiesen.

Im Vergleich zum Quellenmaterial, das Johannes Vossen aus dem Bereich Westfalen und Asmus Nitschke zu Bremen zur Verfügung stand, ist der Blick auf die genannten bayerischen Gesundheitsämter lückenhaft. Es lässt sich deshalb nur der Trend erkennen, dass Umfang und Art des Vollzuges der „Erb- und Rassenpflege“ in Bayern dem in Westfalen und Bremen sehr ähnelte. Zumindest lassen sich keine groben Abweichungen zu Vossens und Nitschkes Informationen nachweisen.

Diese Dokumentation soll dazu dienen, dass auch im Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes, 62 Jahre nach Kriegsende, eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit in der NS-Zeit ihren Fortgang findet. Sie erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden historischen Studie, sondern stellt die Dokumentation eines Amtsarztes zu diesem Thema dar.

Die vorliegende Dokumentation setzt sich aus zwei Informationsebenen zusammen.

Die erste Ebene, der Textteil, soll auch dem eiligen Leser einen Einblick in die Thematik ermöglichen unter Verzicht auf weitere Nachweise oder Hintergrundinformationen.

Die zweite Ebene, der Anmerkungsteil und der Dokumentenanhang, erschließen dem kritisch hinterfragenden bzw. mit der Materie bereits weitgehend vertrauten Leser die Quellen der im Text gefundenen Aussagen und beleuchtet damit teilweise dokumentarisch den Hintergrund - deshalb die zum Teil recht umfangreichen Anmerkungen, die über einen kurzen Quellennachweis weit hinausgehen.

Diese Dokumentation entstand in der Hoffnung, bei Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Gesundheitsdienst ein Interesse für die eigene Vorgeschichte wecken zu können. Außerdem möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, dass zukünftig weitere umfassende Studien zum Thema, ähnlich der Studie von Johannes Vossen, auch aus anderen Regionen vorgelegt werden.

Zukünftig wird weniger interessant sein zu bestätigen, was bereits evident ist, nämlich, dass die Gesundheitsämter einen Selektions- und Vollzugsapparat im Rahmen der NS-Bevölkerungspolitik darstellten, vielmehr wird von Interesse sein, inwieweit nach so langer Zeit noch Hinweise auf Handlungsspielräume der damaligen Amtsärzteschaft herausgearbeitet werden können. Weiterhin ist ein Überblick über Kontinuitäten nach 1945 und deren Reichweite bis nahe an die Gegenwart heran ebenso von höchstem Interesse.

Danken möchte ich dem Leiter des Gesundheitsamtes im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen, Herrn Medizinaldirektor Dr. Bernhard Schmid für seine vorbehaltslose Unterstützung und meinen Mitarbeitern für die ebenso vielfältige Unterstützung und Geduld, ohne die das Zustandekommen dieser Arbeit unmöglich gewesen wäre.

Meiner Schwester, Frau Dr. Barbara Donhauser, selbst Amtsärztin im Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München, danke ich für die undankbare Arbeit des Korrekturlesens und meiner Frau für die große Geduld mit mir, vor allem in der „heißen Phase” vor der Drucklegung und das Verständnis für meine Arbeit.

Aufrichtigen Dank schulde ich auch Herrn Dr. Johannes Vossen, Berlin, der für mich die Recherchen zu biografischen Daten einzelner Amtsärzte im BDC und der RÄK übernahm. Zu Dank verpflichtet mich auch das freundliche Entgegenkommen der Mitarbeiter in den Staatsarchiven München, Augsburg und Nürnberg sowie im Bundesarchiv, Berlin.

Dr. med. Johannes Donhauser

Dr. med. Johannes Donhauser

Gesundheitsamt im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen

Müller-Gnadenegg-Weg 1

86633 Neuburg a. d. Donau

Email: dr.johannes.donhauser@neusob.de

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