Psychother Psychosom Med Psychol 2008; 58(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2007-986328
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Validitäten und der Wert von Forschung

The Validity and Value of ResearchFranz  Caspar1 , Thomas  Berger1
  • 1Universität Bern, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie
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Publication Date:
17 March 2008 (online)

Prof. Dr. Franz Caspar

Dr. phil. Thomas Berger

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie viel Geld und Zeit wird jährlich im deutschen Sprachraum in Forschung zur Psychotherapie und verwandten Gebieten investiert? Wie viel Zeit und Geld in Fortbildung in diesem Bereich? Wenn man alles einschließlich Diplom- und Doktorarbeiten, wertvolle Maßnahmen zur Qualitätssicherung etc. zählen wollte, wäre die Investition schwer zu quantifizieren.

Stellen Sie sich nun vor, ein Bösewicht würde sich über diese Forschung hermachen und einfach 20 % ihres praktischen Wertes stehlen. Ein Aufschrei ginge durch die Lande und man würde den Bösewicht mit allen Mitteln bekämpfen. Das Bemerkenswerte ist: Wir haben diesen Bösewicht, er stiehlt wahrscheinlich mehr als 20 % des praktischen Wertes aller Forschung, aber kaum jemand schreit auf oder nimmt den Kampf gegen den Bösewicht auf. Warum? Der Bösewicht hat mächtige Freunde und außerdem hat man sich an ihn gewöhnt.

Die Rede ist von der internen Validität, dem Lieblingskind der empirischen Forschung: sie „stiehlt” einem großen Teil der Forschung durch Beeinträchtigung der externen oder klinischen Validität einen beträchtlichen Teil ihres klinisch-praktischen Wertes. Warum wird das akzeptiert? Die interne Validität wird dort besonders gepflegt, wo sie durch Herstellen von Untersuchungsbedingungen leicht(er) herzustellen ist, in den Grundlagenwissenschaften. Die Forschungsförderer, namentlich die DFG, richten sich, so ein verbreiteter Eindruck, vor allem auf die Kriterien der Grundlagenforschung aus. Wie weit dem wirklich so ist, ist noch zu diskutieren. Auf jeden Fall hat die interne Validität aber einen mächtigen Verbündeten: Das Argument, nur durch maximal intern valide Forschung, experimentelle Designs mit Randomisierung, ließe sich kausal argumentieren. Sicher, es gibt Pfadanalysen und andere Methoden, die in ihrem argumentativen Wert zwischen rein korrelativen Analysen und Experimenten stehen, aber sie vermögen alle nicht das randomisierte Experiment auszustechen. Hier kann in der reinsten Form ausgeschlossen werden, dass hinter gefundenen Effekten in Wirklichkeit andere Faktoren stecken. Das muss man bei allem Schmerz über Verluste an praktischem Wert solcher Forschung anerkennen.

Dass durch die typische Selektion von Patienten für randomisierte Untersuchungen mit meist homogenen Gruppen und durch Selbstselektion, u. a. aufgrund der Notwendigkeit des informed consents, Repräsentativität verloren geht, ist unbestritten. Ein wirklich schwer leidender Patient wird in einer Situation mit mehrfachen Behandlungsangeboten vielleicht der Möglichkeit einer Zuteilung in eine Wartegruppe zustimmen, wenn er in sie gelost wird aber doch eher eine alternative Behandlung suchen. So ist stets zu prüfen, ob der Hinweis auf den Einsatz einer Wartegruppe nicht bedeutet, dass nicht mit wirklich klinisch gestörten Patienten gearbeitet wurde. Von der Unmöglichkeit, auch Follow-up-Werte experimentell zu vergleichen, sei hier ganz zu schweigen.

Es gibt mittlerweile sehr viele Diskussionen dieser Thematik in verschiedenen Journals. Sie haben uns eine Zunahme von Untersuchungen mit komorbiden Patienten beschert - das war ja einer der zentralen Kritikpunkte, dass solche Patienten ausgeschlossen waren. Vermehrt werden auch Therapien unter praxisnahen Bedingungen durchgeführt. Damit wird zweifellos an externer Validität aufgeholt.

Was bisher weitgehend aussteht, ist eine grundsätzliche Diskussion, wie große und wie geartete Kompromisse bezüglich interner Validität zugunsten externer Validität gemacht werden dürfen. Hier ist der Knackpunkt auch in der Forschungsförderung: Was gefördert wird, hängt nicht nur an der Politik von Förderungseinrichtungen wie der DFG. Es hängt ganz unmittelbar an den konkreten Gutachtern, und die tun sich leichter damit, Kriterien der internen Validität an Forschungsanträge anzulegen. Kriterien der externen Validität sind meist schwammiger definiert. Vor allem fehlt aber ein Rationale, wie das eine gegen das andere aufzurechnen ist. Selbst die heftigsten Verfechter klinischer Validität würden ja eingestehen, dass Forschung wertlos ist, wenn die interne Validität gegen Null geht. Aber wie viel Abstrich darf denn sein, und was muss dabei herausspringen?

Selbst bei der grundlagenorientiertesten Förderungseinrichtung, der DFG entspricht es durchaus der Politik, „nutzeninspirierte” Forschung zu fördern. Genau die hier postulierte Diskussion um ein Rationale des Abwägens verschiedener Rationalitäten wurde angeschoben mit Blick auf die schwierige Aufgabe der Reviewer [1]. Dass die Initiative ins Stocken geriet verdanken wir nicht zuletzt der Ressourcen bindenden Exzellenz-Initiative. Nun, wo die Exzellenz angeschoben ist, wird der Weg zu einer rationalen Diskussion der verschiedenen Validitäten vielleicht wieder aufgenommen. Für die meisten PPmP Leser wäre das ein höchst relevanter Schritt im Kampf gegen den Verlust an praktischem Wert in der Forschung!

Literatur

  • 1 Caspar F. Forschungsdesigns in der Psychotherapieforschung: Die Diskussion um Randomisierte Klinische Studien. In: Brüggemann A, Bromme R (Hrsg) Entwicklung und Bewertung von anwendungsorientierter Grundlagenforschung in der Psychologie. Berlin; Akademie-Verlag und DFG 2006: 38-46

Dr. phil. Thomas Berger

Universität Bern, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie

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Email: thomas.berger@ptp.unibe.ch

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