Fortschr Neurol Psychiatr 1998; 66(7): 313-325
DOI: 10.1055/s-2007-995268
ORIGINALARBEIT

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Problemgeschichte und Psychopathologie der Paranoia

Comments on the Problem History and Psychopathology of ParanoiaM.  Schmidt-Degenhard
  • Nervenklinik Schwerin
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Publication Date:
08 January 2008 (online)

Abstract

The concept of paranoia refers to a main problem of general psychopathology: Paranoia represents the prototype of a pure delusional disorder.

The text reviews the descriptive psychopathological and nosological aspects of paranoia which is orientated towards the well known historical studies by Kraepelin, Gaupp, Kretschmer and Jaspers. The systematic character of the delusional ideas and a specific emotional-affective state connected with a typical (sensitive-vulnerable) personality constitute the "classical" concept of paranoia.

Furthermore, the characteristics of paranoic experience and its distinction from delusion during schizophrenic disorders are discussed. The possibility of communication with a delusional person in his autistic world calls for our understanding of the inner and existential meaning of delusion. Therefore the research into the problem of paranoia requires consideration of phenomenological, philosophical and anthropological points of view.

Zusammenfassung

Die in der gegenwärtigen Psychiatrie wenig diskutierte Paranoiafrage verweist auf ein Grundproblem der Allgemeinen Psychopathologie: Letztlich geht es hier um die Frage nach Wahnsinn und Verrücktsein und ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis der Psychiatrie. In klinischer Hinsicht ist zu fragen, ob die Paranoia (i.S. von Kraepelin u. Gaupp) als ein Idealtypus der reinsten Wahnpsychose betrachtet werden kann.

Die Studie versucht nach einleitenden methodologischen Überlegungen zunächst eine an den zentralen historischen Texten orientierte Rekonstruktion der deskriptiv-psychopathologischen und nosologisch-taxonomischen Aspekte der Paranoiafrage. Die wissenschaftliche Entwicklung dieses Problemfeldes erfordert auch eine Darstellung der auf Jaspers zurückgehenden Problematik der Begriffe ,,Prozeß" und ,,Entwicklung" in ihrer wechselseitigen Bezogenheit. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Eigenart der paranoischen Erfahrungsbildung und ihrer Unterscheidung vom schizophrenen Wahnerleben. Abschließend werden die anthropologischen Konsequenzen des sozialen Umgehens mit wähnenden Menschen erläutert, wobei insbesondere die trotz des Wahns verbleibenden kommunikativen Beziehungsmöglichkeiten mit dem Kranken erörtert werden. Eine Voraussetzung hierfür ist die Einsicht des Therapeuten in die innere Sinnhaftigkeit des Wähnens für den sich existentiell bedroht erlebenden Paranoiker.

Das Paranoiaproblem erweist sich bei einer solchen strukturellen Analyse als eine für die moderne Psychiatrie hochrelevante Herausforderung, in ihr Methodenrepertoire auch allgemein-psychopathologische und phänomenologisch-anthropologische Gesichtspunkte miteinzubeziehen, um dem paranoischen Menschen in seiner besonderen Not gerecht zu werden.

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