Zentralbl Chir 2008; 133(6): 523-524
DOI: 10.1055/s-2008-1077026
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Kinderchirurgie im Versorgungskrankenhaus – Für und Wider

Pediatric Surgery in a General Hospital – Pros and ConsG. Stuhldreier1
  • 1Abteilung Kinderchirurgie, Chir. Universitätsklinik Rostock
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Publication Date:
17 December 2008 (online)

Für einen Kinderchirurgen bedeutet die Aufforderung des Verlages, ein Sonderheft über Kinderchirurgie im Versorgungskrankenhaus herauszugeben, dass mindestens zwei Seelen in seiner Brust zu kämpfen haben:

Zum einen ist zu konstatieren, dass eine große Zahl bis hin zur Mehrzahl der Kinder unter 14 Jahren eine stationäre chirurgische Behandlung nicht in spezialisierten kinderchirurgischen Abteilungen erfährt; die Statistiken der Gesellschaft Kinderkrankenhäuser in Deutschland (GKinD) und Bundesarbeitsgemeinschaft Kind und Krankenhaus (BaKuK) zeigen, dass bei Säuglingen zwar die große Mehrzahl in spezialisierten kinderchirurgischen Abteilungen operiert wird, jedoch bei 5- bis 10-jährigen Kindern bereits genauso viele in Erwachsenenabteilungen versorgt werden und bei 10–14-Jährigen bereits der weit überwiegende Anteil in heimatnahen allgemeinchirurgisch geführten Krankenhausabteilungen der Grund- und Regelversorgung liegt [1] [3]; ein Teil der Kinder wird dabei mit Rücksicht auf ihre speziellen altersgemäßen Bedürfnisse in einer pädiatrischen Fachabteilung untergebracht. Da dies so ist, sollte der Kinderchirurg im Interesse der Kinder die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen mit speziellem kinderchirurgischen Wissen unterstützen und Hilfe für die fachgerechten Therapie in solcher Umgebung zur Verfügung stellen. Dieses Ziel hat sich auch der von namhaften Kinderchirurgen und Kindertraumatologen gegründete Verein „LiLa e. V.” (Licht und Lachen für kranke Kinder – Effizienz in der Medizin) gestellt und versucht, dies durch Fortbildungen, Studien und Veröffentlichungen [2] zu erreichen.

Andererseits sind neben pädiatrischen Stationen auch die kinderchirurgischen Abteilungen gerade außerhalb von Ballungsgebieten durch den Geburtenrückgang und die massive Reduktion und Verkürzung der stationären Behandlungen so wenig ausgelastet, dass viele der für eine flächendeckende Versorgung notwendigen Abteilungen nicht mehr ausreichend belegt sind, um eine wirtschaftliche Führung zu ermöglichen. Dies gilt umso mehr, als die Behandlung von Kindern generell im DRG-System nicht besser vergütet wird als die von Erwachsenen, die Betreuung von Kindern aber deutlich aufwendiger und kostenintensiver ist [3] und damit speziell pädiatrisch orientierte Krankenhausabteilungen in der Regel auf interne Transferleistungen eines Krankenhauses angewiesen sind, somit auf den „Goodwill” und die Unterstützung des Trägers. Diese vielfach zu spürende wirtschaftliche Existenzbedrohung wird im Einzelfall durch die „Fehlbelegung” von Kindern in Erwachsenenbetten unterhalten und verschärft, sodass Verbände, wie GKind und die BaKuK seit Jahren fordern, durch Maßnahmen wie gesplittete Erlöse für die Behandlung in pädiatrischen Fachabteilungen den wirtschaftlichen Anreiz zur Behandlung von Kindern in speziellen, pädiatrisch ausgerichteten Abteilungen zu verbessern [3] und in nicht pädiatrisch ausgerichteten Institutionen zu vermindern.

Weiterhin sollte auch bedacht werden, dass für die chirurgisch „einfach” zu behandelnden Krankheitsbilder des Kindesalters das in der Facharztausbildung erworbene kinderchirurgische Wissen ausreichen mag; problematisch sind aber gerade die vom nicht spezialisierten Chirurgen mangels eigener Erfahrung und Kenntnis gar nicht erst erkannten Besonderheiten, Probleme und ungewöhnlichen Verläufe bei Kindern, so dass fachkompetente Unterstützung dann erst angefordert werden kann, wenn das „Kind schon in den Brunnen gefallen ist”. 

Für das Kind und seine Eltern ist die auf die kinderchirurgischen Patienten abgestimmte Infrastruktur einer kinderchirurgischen Abteilung mit speziell ausgebildeten Ärzten, Pflegekräften, Erziehern, Lehrern und einschlägig erfahrenen Sozialarbeitern wertvoll und wichtig, um nicht nur Hilfe in medizinischen, sondern auch bei entwicklungsbedingten, sozialen und administrativen Problemen zu geben, und sollte ihnen eigentlich nicht vorenthalten werden.

Nicht zuletzt aus solchen Erfahrungen heraus haben die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), die BaKuK und die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCh) Mindestanforderungen für Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen als Beschluss für den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgeschlagen.

Um nicht nur die Meinung des Kinderchirurgen zu berücksichtigen, wurde Ende des Jahres 2006 von mir ein Fragebogen an alle Chefärzte des durch 4 hauptamtliche kinderchirurgische Abteilungen versorgten Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommern versandt. Von den 22 infrage kommenden Abteilungen haben zwar nur 6 geantwortet, was sicher keine repräsentativen Rückschlüsse zulässt; es zeigt sich aber, dass die Leiter der chirurgischen Abteilungen, die in ihrer Ausbildung auch in einer kinderchirurgischen Abteilung gearbeitet hatten, sich durchaus in der Lage sahen, auch differenzierte kindliche Operationen, wie Leistenhernien bei Säuglingen, in ihrer Abteilung durchzuführen und im Jahr zum Teil über 150 Kinder operierten. Kollegen, die sich in ihrer Ausbildung besonders auf die Traumatologie fokussiert hatten, behandelten Kinder mit konservativ und operativ zu versorgenden Frakturen, allerdings dann meist keine viszeral-kinderchirurgischen Krankheitsbilder (außer Appendizitis). Alle antwortenden Chefärzte fanden, dass (mit Einschränkungen) die Betreuung von Kindern in ihrer Abteilung erforderlich sei, um eine heimatnahe Versorgung sicherzustellen, und dass die Versorgung in ihrer Abteilung sowohl den Arzt als auch den Patienten zufrieden stellt, wobei bis auf einen Kollegen niemand schwerwiegende rechtliche Probleme auch im Falle von Komplikationen sah.

Es war allgemeiner Konsens, dass die Versorgungsdichte der kinderchirurgischen Abteilungen nicht ausgebaut werden müsste. Allerdings wurde die Kostendeckung der Behandlung von Kindern in Frage gestellt bzw. als nicht gegeben angesehen. 

Mit dieser Einschätzung im Rücken und in Kenntnis der demografischen Situation, bei der, wie der Artikel von Doblhammer et al. in diesem Heft ausweist, innerhalb der nächsten 40 Jahre in der gesamten Bundesrepublik mit einem weiteren deutlichen Rückgang der Kinderzahlen und damit der zu behandelnden kinderchirurgischen Patienten zu rechnen ist, muss man davon ausgehen, dass die Zahl und Versorgungskapazität der derzeit ca. 80 hauptamtlichen kinderchirurgischen Abteilungen in Zukunft eher ab- als zunehmen wird. Da dieser Rückgang in Kleinstädten und Landgemeinden weitaus stärker ausfallen wird als im großstädtischen Bereich wird sich die spezialisierte kinderchirurgische Versorgung vor allem in den Ballungsgebieten konzentrieren. Für die von Eltern und Kindern sicher als notwendig erachtete heimatnahe Versorgung außerhalb dieser Ballungsgebiete wird weiterhin und wahrscheinlich noch zunehmend das regionale Versorgungskrankenhaus zuständig sein. Damit zumindest die Kinder möglichst wenig unter dieser Entwicklung leiden, sind Aktivitäten gefragt:

Eine davon könnte die Unterstützung von Versorgungskrankenhäusern aus spezialisierten kinderchirurgischen Abteilungen sein, welche, wie der Artikel von Metzelder und Ure in diesem Heft zeigt, sowohl für die entsendende Abteilung als auch für das Versorgungskrankenhaus selbst viele Vorteile hat. Für die übrigen Versorgungskrankenhäuser muss die kinderchirurgische Kompetenz der behandelnden Kollegen gestärkt werden, die ja häufig nach den Veränderungen der Weiterbildungsrichtlinien der letzten Jahrzehnte zwar immer mehr Erfahrung in ihren Spezialgebieten sammeln konnten, aber dafür häufig auf Erfahrungen im kinderchirurgischen Bereich verzichten mussten. Ein Weg dorthin können die eingangs erwähnten Kurse und Publikationen von „LiLa e. V.” sein, die z. B. auf der zugehörigen Internet-Seite www.lila.org gefunden werden können.

Ein weiterer Weg soll mit der Artikelauswahl in diesem Sonderheft beschritten werden, die neben einer kurzen Würdigung der rechtlichen Bedingungen die Besonderheiten und Voraussetzungen bei der Anästhesie von Kindern aufzeigt, deren Kenntnis auch für den Chirurgen bedeutsam sind. Die spezifisch kinderchirurgischen Gesichtspunkte in der Diagnostik und Behandlung von den in Versorgungskrankenhäusern am häufigsten therapierten Befunden „Leistenhernie” und „Appendizitis” sowie ausgewählte Aspekte der Kinder-MIC, Kinder-Unfallchirurgie und Kinder-Urologie sollen dargestellt werden.

Dieses Heft sollte aber nicht so verstanden werden, dass in Zukunft für die o. g. Krankheitsbilder auf die spezielle Kompetenz einer kinderchirurgischen Abteilung verzichtet werden könnte; lassen Sie mich als engagierten Kinderchirurgen appellieren, dass auch der „Allgemein”chirurg, wo immer es logistisch möglich und sinnvoll ist, alle Kinder in kinderchirurgischen Fachabteilungen versorgen lassen sollte, um für diese kranken Kinder deren Expertise zu nutzen; dies hilft auch die wirtschaftliche Existenz dieser Abteilungen zu sichern und weiterhin die Ausbildung von Kinderchirurgen zu ermöglichen. 

Es sollte selbstverständlich sein, bei allen nicht hinreichend bekannten Krankheitsbildern und ungewöhnlichen Verläufen nicht zu experimentieren, sondern immer und sofort einen Kinderchirurgen einzuschalten, der ja in der Regel in der nächstgelegenen Fachabteilung als „Hintergrund” für telefonische Anfragen jederzeit zur Verfügung steht.

Und lassen Sie uns alle kollegial zusammenarbeiten, um zu erreichen, dass auch die in der Regel aufwendigere Versorgung von Kindern wenigstens in Zukunft in unserem DRG-System so ausgestaltet wird, dass sich kinderchirurgisch und pädiatrisch ausgerichtete Abteilungen im Interesse der Kinder wirtschaftlich selbst erhalten können.

Literatur

  • 1 Andler W, von Seiche-Nordenheim J, Lübber W et al. Aktuelle Situation der stationären Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland. 4. bundesweite Umfrage: Vergleich und Entwicklung 1993 bis 2005. BaKuK, Osnabrück 2007 (http://www.bakuk.de/umfrage-situation-stationaere-kinder-jugendmedizin.pdf)
  • 2 von Laer L. Vorwort. In: v Laer L, Hrsg. Das verletzte Kind. Stuttgart: Thieme; 2007
  • 3 Lutterbüse N, Scheel J, Riedel F. Die Vergütung der stationären pädiatrischen Versorgung im DRG-System. In: Gerber A, Lauterbach KW, Hrsg. Gesundheitsökonomie und Pädiatrie. Stuttgart: Schattauer; 2006

Prof. Dr. med. G. Stuhldreier

Abteilung Kinderchirurgie · Chir. Universitätsklinik Rostock

Schillingalle 35

18057 Rostock

Phone: 03 81 / 4 94 62 50

Fax: 03 81 / 4 94 62 52

Email: gerhard.stuhldreier@med.uni-rostock.de

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