In der Kritik: Blutwäsche gegen Long-Covid

Long-Covid-Kranke scheuen oft weder Umstände noch Kosten, um an vermeintlich wirksame Therapien zu kommen. Hoch im Kurs stehen derzeit die Apherese und eine Dreifach-Antikoagulation. Auch Ärzte in Deutschland bieten solche Therapien für Selbstzahler an. Über 50.000 Euro – so viel musste eine Frau aus den Niederlanden für eine Long-Covid-Behandlung aus eigener Tasche bezahlen. Anschließend war sie nicht gesünder, nur ärmer [1]. Die Frau habe sich im November 2020 mit dem Pandemievirus infiziert und anschließend unter einer derart ausgeprägten Fatigue gelitten, dass sie nicht mehr habe arbeiten können, berichtet das „British Medical Journal“ (BMJ). Sie hatte „brain fog“, entwickelte Herzrasen, persistierende Atemnot und wachte nachts mit Thoraxschmerzen auf. Diverse Untersuchungen fanden jedoch keine Ursachen für die Beschwerden. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an ein Long-Covid-Zentrum auf Zypern. Dort versprach man ihr, mit einer Apherese, hyperbarem Sauerstoff, einer intravenösen Vitamintherapie sowie einer Dreifach-Antikoagulation zu helfen. Solche Therapien werden unter anderem auf sozialen Medien angepriesen, etwa von einer „Apheresis Association“, hinter die die Betreiber von Long-Covid-Zentren stecken. Dort wird auch auf deutsche Medienberichte verwiesen, etwa von ARD und 3Sat, welche die Apherese bei Long-Covid als mögliche Therapie bezeichnen. Hilfe per HELP-Apherese? Hinter der Behandlung steckt die Hypothese, dass Long-Covid vor allem durch Mikrothromben aufgrund anhaltender Entzündungsprozesse entsteht. Die Thromben sollen die Mikrozirkulation stören und auf diese Weise das komplexe Krankheitsbild verursachen. Hierzu gibt es tatsächlich einige Hinweise, unter anderem von Ärztinnen und Ärzten um Professorin Etheresia Pretorius von der Universität Stellenbosch in Südafrika. Diese entwickeln gerade ein Nachweisverfahren für solche Mikrothromben. Eine spezielle Aphereseform, die Heparin-induzierte extrakorporale LDL-Präzipitation (HELP) soll die Thromboseneigung verringern. Das vor über 30 Jahren in Deutschland entwickelte Verfahren entfernt Lipide wie LDL, VLDL und Lipoprotein A sowie Fibrinogen und proinflammatorische Adhäsionsmoleküle aus dem Blut. Sie kommt primär als Ultima Ratio bei therapierefraktärer Hypercholesterinämie zur Anwendung. „Diese kontinuierliche Entfernung von Gerinnungs- und Entzündungsparametern verbessert die Organdurchblutung und erleichtert den Sauerstoffaustausch“, können Interessierte auf der Webseite der Internistin und Laborärztin Dr. Beate Jaeger lesen – sie zählt zu den Verfechtern der HELP-Apherese in Deutschland [2]. Ob Mikrothromben aber tatsächlich eine Ursache oder nur ein Marker für bestimmte Post-Covid-Komplikationen darstellen, ist noch unklar. „Wenn wir nicht wissen, wie sich diese Mikrothromben bilden und ob sie überhaupt die Long-Covid-Symptome verursachen, ist es doch voreilig, auf eine Therapie zu setzen, die solche Thromben entfernt“, so Robert Ariens, Professor für vaskuläre Biologie an der Universität Leeds gegenüber dem BMJ. Ariens weist auch darauf hin, dass die Apherese und vor allem die Triple-Antikoagulation mit ASS, Clopidogrel und DOAK nicht ohne Risiken sind. „Wir haben bisher keine Evidenz, dass eine Monotherapie mit Antikoagulanzien etwas nützt, geschweigen denn eine Triple-Antikoagulation“, so auch der britische Kardiologe Dr. Amitava Banerjee aus London, der an Long-Covid-Studien beteiligt ist. Andere Experten verweisen auf mögliche katastrophale Konsequenzen einer Dreifach-Antikoagulation wie Hirnblutungen bei Stürzen und Unfällen. Jaeger verteidigt die Behandlung jedoch gegenüber dem BMJ. Sie habe mittlerweile Tausende in ihrer Klinik in Mühlheim an der Ruhr per Apherese behandelt und bezeichnet die Therapie als „extrem erfolgreich“. Sie kenne Patienten mit Long-Covid, die im Rollstuhl in ihre Klinik kamen und inzwischen wieder joggen könnten, nennt das Verfahren aber selbst experimentell und verweist auf ein Dilemma: Randomisiert-kontrollierte Studien wären zwar gut, als Ärztin müsse sie die Betroffenen aber jetzt behandeln. „Wenn ich ein Kind sehe, dass seit einem Jahr im Rollstuhl sitzt, bevorzuge ich eine Behandlung und warte nicht auf eine 100-prozentige Evidenz“, so Jaeger. Gefahr der Abzocke Inzwischen hat sich auch die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) zu dem Verfahren geäußert. Sie hält es durchaus für möglich, dass Long-Covid-Symptome auf einer Art myalgischer Enzephelomyelitis mit chronischem Fatigue-Syndrom (ME-CFS) beruhen und dabei virale sowie autoimmune Prozesse von Bedeutung sind. Dann könnte auch eine Immunadsorption zur Entfernung von Autoantikörpern und inflammatorischen Proteinen hilfreich sein. Bei schweren Fällen von Long-Covid könne daher eine Plasmapherese oder Immunadsorption als Ultima Ratio erwogen werden. Gleichzeitig sieht die DGfN die Apherese sehr kritisch: „Bevor keine wissenschaftliche Datenlage den Benefit gezeigt hat, kann keine generelle Empfehlung für diese Therapie ausgesprochen werden.“ Die Gesellschaft sieht zudem die Gefahr, dass solche ungeprüften Behandlungen auf Selbstzahlerbasis „von einer Reihe von Zentren, auch aus dem Bereich verfahrensfremder Fachbereiche wie der Naturheilkunde mit Unterstützung primär kommerziell getriebener Interessen angeboten werden“. In anderen Worten: Möglicherweise verwenden weniger seriöse Anbieter solche Therapien vor allem, um verzweifelte Long-Covid-Kranke abzuzocken. Die Betroffenen können, getrieben von der Hoffnung auf Linderung, schnell Haus und Hof verspielen. Kosten von 50.000 Euro und mehr sind für einige Apheresezyklen und begleitende Behandlungen offenbar keine Seltenheit. Die DGfN fordert daher rasch kontrollierte Studien und zumindest Therapieregister zu den einzelnen Verfahren. Sollten diese nachweislich etwas nützen, wäre auch der Weg frei für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Quellen: [1] Madlen Davis. Long covid patients travel abroad for expensive and experimental “blood washing”. BMJ 2022;378:o1671; https://doi.org/10.1136/bmj.o1671 [2] Webseite Dr. Beate Jaeger zur HELP-Apherese. https://beatejaeger.com/h-e-l-p-apherese/ [3] Stellungnahmen der DGfN vom 20.6.22: Apheresetherapie bei Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom. https://www.dgfn.eu/stellungnahmen-details/apheresetherapie-bei-patientinnen-und-patienten-mit-long-post-covid-syndrom.html

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