Diskussion
Lungenkarzinome sind mit 24 % die häufigste Krebstodesursache bei Männern und die zweithäufigste bei Frauen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei ca. 70 Jahren. Typische Symptome sind Husten, Gewichtsverlust, Luftnot und Brustschmerzen [
4].
Kleinzellige neuroendokrine Lungenkarzinome machen ca. 15 % aller Bronchialtumoren aus und werden histopathologisch der Obergruppe der epithelialen Tumoren und der Subgruppe der neuroendokrinen Tumoren zugeordnet. Untherapiert beträgt die mittlere Überlebenszeit wenige Monaten, kann aber durch gute Therapiesensibilität auf 8 bis 20 Monate erhöht werden. Die 5‑Jahres-Überlebensrate liegt bei 10–20 %, bei Auftreten von Metastasen sinkt sie auf weniger als 1 %. Die Therapie besteht in einer kombinierten Chemotherapie, welche mittlerweile standardisiert mit Checkpointinhibitoren zur Immunmodulation ergänzt wird. Je nach Stadium und Lokalisation kann eine Bestrahlung bzw. operative Intervention erfolgen.
Etwa 10 % der Patienten mit Lungenkarzinom entwickeln ein paraneoplastisches Syndrom, hierzu zählt auch die karzinomassoziierte Retinopathie (CAR) [
4].
Die CAR wurde erstmalig 1976 beschrieben und kann bei verschiedenen Tumorerkrankungen auftreten [
5]. Am häufigsten ist sie im Zusammenhang mit Lungen- und Mammakarzinomen beschrieben [
5,
7]. Es handelt sich um ein seltenes Krankheitsbild, zu dem bisher nur kleine Fallserien bzw. Einzelfallbeschreibungen vorliegen, die Inzidenz ist unbekannt [
7].
Als ursächlich wird eine Immunreaktion gegen den Tumor angenommen, die zu einer Autoantikörper-vermittelten Zerstörung verschiedener Proteine, wie z. B. dem Recoverin, führt. Recoverin (23-kd-Antigen) kommt in den Photorezeptoren der Retina, dem Nervus opticus und der Epiphyse vor und steuert einen Kalziumkanal [
3,
5,
7]. Wird es im Rahmen der Immunreaktion zerstört, führt es zur Zytolyse der Photorezeptoren [
6]. Dies verursacht die klassischen Symptome einer CAR mit Photopsien, Blendempfindlichkeit, Gesichtsfeldeinengung und Visusverlust. Recoverin ist nicht spezifisch oder sensitiv für eine CAR und kann beispielsweise auch bei Patienten mit Retinopathia pigmentosa vorkommen. Antiretinale Antikörper wurden auch bei gesunden Kontrollgruppen und zahlreichen weiteren systemischen und retinalen Erkrankungen gefunden [
1,
7].
Der Beginn der okulären Symptome kann zeitlich deutlich vor Entdeckung des Primärtumors liegen und sich über Monate bis Jahre erstrecken [
5,
7].
In den Frühformen der CAR können retinale Auffälligkeiten fehlen. Im Verlauf werden meist verdünnte Arteriolen, fleckiges retinales Pigmentepithel, abgeblasste Papillen, Glaskörperzellen, arterioläre Ummantelung und eine Periphlebitis beobachtet [
1,
5,
7]. Das Elektroretinogramm zeigt eine deutlich abgeschwächte oder fehlende photopische und skotopische Reaktion [
2,
5,
7]. In der OCT zeigen sich ein Verlust der äußeren retinalen Schichten sowie zystische Hohlräume und schisisartige Veränderungen [
2,
3,
5].
Neben dem Recoverin können weitere Antigene (z. B. Alpha-Enolase, Transducin), die von verschiedenen retinalen Strukturen exprimiert werden, zu einer CAR führen [
1,
7].
Ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen zum Nachweis der Antikörper (ELISA, Western Blot, Immunhistochemie) sowie eine eindeutige Zuordnung des prädiktiven Wertes bei positiven Testergebnissen sind aktuell noch nicht vorliegend [
1].
Ein etabliertes therapeutisches Vorgehen bei CAR existiert ebenfalls bisher noch nicht. Basis sind verschiedene immunsupprimierende Therapien. Deren Effekt auf die visuelle Rehabilitation ist stark davon abhängig, inwieweit bereits bei Therapiebeginn die irreversible Zytolyse der Photorezeptoren fortgeschritten ist [
3,
5,
7].
Neben einer systemischen Steroidgabe sind lokale Applikationen (subtenonal oder intravitreal) möglich. Ergänzend ist eine Immunsuppression mit Azathioprin, Cyclosporin, Mycophenolat-Mofetil, Rituximab oder Alemtuzumab beschrieben [
3]. Ebenfalls liegen Fallberichte vor, die nach chirurgischer Entfernung des Primarius zu einer Visusverbesserung führten [
5].
In der Mehrzahl der beschriebenen Fälle konnte durch die chirurgische, strahlen- und chemotherapeutische Behandlung des Primärtumors die visuelle Prognose lediglich stabilisiert, jedoch nicht verbessert werden. Ein weiterer therapeutischer Ansatz ist eine Reduktion der zirkulierenden Antikörper mittels Plasmapherese.
In dem von uns vorgestellten Fall lag zwischen okulären Erstsymptomen und Tumorsicherung eine Zeitspanne von 30 Tagen. Bereits der initiale Netzhautbefund zeigte ausgeprägte Destruktionen, welche sowohl unter der umgehend eingeleiteten Prednisolon-Therapie als auch der Plasmapherese zunahmen. Die Anamnese mit einem nur wenige Wochen vor Symptombeginn liegenden grippalen Infekt sowie die bestehende Panuveitis legten den Verdacht auf ein infektiöses bzw. parainfektiöses Geschehen nah. In der Thoraxröntgenaufnahme fand sich kein Hinweis auf den nur 2,4 cm großen Primärtumor, welcher erst durch das im Rahmen der Augensymptome angestoßene Screening detektiert werden konnte. Durch die eingeleitete Therapie konnte jedoch hochwahrscheinlich die Prognose für das Überleben des Patienten positiv beeinflusst werden.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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