Erste Erfolge mit apathogenem Viruskonstrukt gegen Gliom

Mit einem rekombinanten Viruspräparat ist es bei Gliompatienten im Stadium IV gelungen, die Überlebensrate im Vergleich zu historischen Kontrollen mit Chemotherapie deutlich zu verbessern. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Patienten mit einem Gliom im Stadium IV haben noch immer eine schlechte Prognose. In den jüngsten Studien, in denen die Behandlung etwa mit Temozolomid, Bevacizumab oder mit der Therapie mit elektrischen Feldern (TTF-Therapie, Tumor-Treating Fields) geprüft worden war, überlebten die Patienten in der Regel nicht länger als 20 Monate. Patienten mit Rezidiven überlebten sogar nicht einmal ein Jahr, wie die Neurochirurgin Dr. Annick Desjardins vom Duke University Medical Center in Durham und ihre Kollegen berichten. Sie prüften nun, ob sich die Prognose mithilfe eines neurotropen Virus, das gentechnisch verändert wurde, verbessern lässt. Genetische Elemente vom Rhinovirus Das Virus mit der Bezeichnung PVSRIPO ist ein attenuiertes, apathogenes Poliovirus, das vom Impfstamm Sabin Typ 1 abstammt und genetisch modifiziert wurde. Es wurde unter anderem dadurch verändert, dass bestimmte genetische Elemente durch jene des Rhinovirus ersetzt wurden und somit die Spezifität des nun rekombinanten Virus für Gliomzellen erhöht wurde. Das Virus dockt an den Marker CD155 auf den Krebszellen an, der auch im Tumormikroenvironment nachweisbar ist. Einerseits wirkt das Virus zytolytisch. Es wird vermutet, dass dadurch Tumorantigene freigesetzt werden, die vom Immunsystem über bestimmte Rezeptoren erkannt werden. Makrophagen, Monozyten und dendritische Zellen wandern in den Tumor ein und präsentieren die Antigene den T-Effektorzellen, die schließlich weitere Tumorzellen vernichten. Hergestellt wurde das rekombinante Virus von Wissenschaftlern des National Cancer Institute am Frederick National Laboratory for Cancer Research. Geprüft wurden Sicherheit und Wirksamkeit von fünf verschiedenen Virusdosierungen. An der Studie nahmen insgesamt 61 Patienten teil, die ein rezidiviertes, histologisch vor der Infusion der Viruslösung bestätigtes einzelnes Gliom oberhalb des Tentoriums hatten. Dessen Durchmesser lag bei mindestens 1 cm und höchstens 5,5 cm. Die Patienten mit einem medianen Alter von 55 Jahren mussten einen Karnofsky-Index von mindestens 70 (maximal 100) haben. Intratumoral appliziert wurde die Viruslösung über einen Zeitraum von 6,5 Stunden mithilfe eines speziellen Medikamentenzuführungssystems (CED, Convection Enhances Delivery), bei dem die Strömung der Flüssigkeit über Katheter weniger von der Konzentration der Infusionslösung als vom Druckgradienten abhängt. Die Wissenschaftler fertigten zu Studienbeginn sowie innerhalb von vier Stunden, vier und acht Wochen nach der Infusion und dann alle acht Wochen MRT-Aufnahmen an. Um peritumoralen Entzündungen gegenzusteuern, wurden vier Patienten erneut operiert, 34 Patienten wurde mit dem Angiogenese-Hemmer Bevacizumab behandelt. Als historische Kontrollgruppe dienten Patienten, die am Duke University Medical Center eine Standardtherapie erhalten hatten und den Studienkriterien genügten. Plateau bei Überlebenszeit nach zwei Jahren erreicht Das mediane Follow-up lag bei 27,5 Monaten (95%-Konfidenzintervall: 20,5–41,1 Monate). Bis auf einen waren alle Patienten der historischen Kontrollgruppe in diesem Zeitraum gestorben. Median lebten die mit dem Virus behandelten Patienten noch 12,5 Monate (95%-Konfidenzintervall: 9,9–15,2 Monate). Die Gesamtüberlebenszeit in der historischen Kontrollgruppe lag nur bei 11,3 Monaten (95%-Konfidenzintervall: 9,8–12,5 Monate). Die Wissenschaftler um Desjardins weisen allerdings darauf hin, dass in der Verumgruppe die Überlebensrate zwei Jahre nach der Behandlung ein Plateau erreichte, und zwar bei 21% (95%-Konfidenzintervall: 11–33). Dieses blieb auch nach drei Jahren erhalten. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Publikation lebten auch 70 Monate nach der Infusion noch 21% der Patienten. Aufgrund der noch unvollständigen Daten konnte noch keine endgültige statistische Analyse im Zusammenhang mit dem Parameter Überleben vorgenommen werden, wie die Wissenschaftler berichten. Nebenwirkungen, die der Virusinfusion zugeschrieben werden, waren bei fast 70% der Patienten vom Grad 1 oder 2. In der Dosisreduktionsphase der Studie – bei 52 Patienten erforderlich – traten bei 52% der Patienten Kopfschmerzen auf, bei jedem Zweiten eine Hemiparese, bei 45% ein Krampfanfall, bei 28% eine Dysphagie und bei 25% kognitive Störungen. Seltener (< 20%) waren Verwirrtheit, Parästhesie, Fatigue, Übelkeit und Gangstörung. Bei 19% der Patienten mit Dosiseskalation waren die Nebenwirkungen mindestens von Grad 3. Nach Angaben von Desjardins und ihren Kollegen läuft derzeit an der Duke-Universität eine randomisierte Phase-2-Studie (NCT02986178) mit dem Viruspräparat allein oder in Kombination mit Lomustin (CCNU). Das Wichtigste in Kürze Frage: Ist bei Gliompatienten im Stadium IV die intratumorale Therapie mit einem rekombinanten Viruskonstrukt sicher und lässt sich damit der Therapieerfolg im Vergleich zu früher verbessern? Antwort: Nach drei Jahren lebten noch 24% der Patienten gegenüber nur 4% in der historischen Vergleichsgruppe. Toxische Effekte waren im Wesentlichen vom Grad 1 oder 2. Bedeutung: Diese ersten Ergebnisse mit der neuen Therapiestrategie ermutigen, den Behandlungsansatz weiter zu prüfen. Derzeit läuft eine Phase-2-Studie mit dem Präparat allein oder in Kombination mit Lomustin (CCNU). Einschränkung: Die Analyse der Befunde ist rein deskriptiv und enthält keine statistischen Berechnungen.

Springer Medizin

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