Hintergrund
Als Gesundheitsinformationen werden Informationen über „das allgemeine Wissen über Gesundheit, Erkrankungen, ihre Auswirkungen und ihren Verlauf“, Präventionsmaßnahmen, Pflege und Krankheitsbewältigung sowie Informationen über „Früherkennung, Diagnostik, Behandlung […] und damit im Zusammenhang stehenden medizinischen Entscheidungen“ bezeichnet [
7]. Gesundheitsinformationen sind Teil der Fachkommunikation, denn sie übermitteln fachliches Wissen aus dem Bereich der Medizin bzw. Gesundheit. Dabei werden häufig fachliche Lai:innen adressiert [
5,
19], die Texte aber nur ungenügend an deren Bedürfnisse angepasst [
17]. Fachliche Lai:innen können solche dysfunktionalen Kommunikationsangebote in gewissem Maße kompensieren. Für Personen, „die aufgrund ihrer Beeinträchtigung sowie aufgrund ihrer fehlenden Partizipationsmöglichkeiten an der Schriftlichkeit eine stark ausgeprägte Wissensdifferenz zu den Expert(inn)en aufweisen“ [
17], ist dies jedoch in der Regel nicht mehr gegeben, sodass zumindest für diesen Personenkreis die Kommunikationsangebote entsprechend angepasst werden müssen.
Im Bereich der Fachkommunikation können Informations- und Interaktionstexte unterschieden werden, wobei erstere „Inhalte zugänglich machen und Wissensbestände anlegen“ und somit „wissensdarstellend“ sind, während letztere „beim Leser/der Leserin Wissensbestände voraussetzen und (diesem/dieser) zugleich Anschlusshandlungen abverlangen“, d. h. „wissensverarbeitend“ sind [
17]. Wissensverarbeitende Texte der Gesundheitskommunikation sind beispielsweise Formulare, die Gesundheitsdaten abfragen oder Einwilligungserklärungen einholen. Gesundheitsinformationen, wie sie in der vorliegenden Studie untersucht werden, sind „wissensdarstellend“. Sie sollen die Nutzer:innen über Erkrankungen informieren und verlangen in der Regel keine unmittelbare Anschlusshandlung.
Fachkommunikation umfasst „zielgerichtete, informative, mit optimierten Kommunikationsmitteln ausgeführte einsprachige und mehrsprachige mündliche und schriftliche Kommunikationshandlungen fachlichen Inhalts, die von Menschen in Ausübung ihrer beruflichen Aufgaben ausgeführt werden“ [
21]. Fachkommunikation korreliert negativ mit Verständlichkeit [
17]. Dabei zeigen sich einerseits
overte [
3], also offen sichtbare Parameter, wie eine erkennbare Häufung von Fachterminologie und komplexe syntaktische Strukturen, sowohl im nominalen Bereich als auch auf Ebene der Satzgefüge. Das führt zu einer hohen Informationsdichte, d. h. einer großen Menge grammatischer und semantischer Informationen. Die
overten Parameter sind für die Nutzer:innen auf der Textoberfläche greifbar. Die reduzierte Verständlichkeit, die Gefahr des Nicht-Verstehens ist für die Nutzer:innen sofort und direkt erfahrbar. Daneben stehen aber auch
coverte Parameter [
3], also solche Eigenschaften von Fachtexten, die sich nicht direkt an der sprachlichen Oberfläche manifestieren oder von den Nutzer:innen übersehen werden können. Dies betrifft beispielsweise Fachterminologie, die auch in der Alltagssprache vorkommt, dort jedoch eine andere oder weitere Bedeutungen aufweist (z. B. „Knoten“ oder „Gewebe“, die in der Alltagssprache eine andere Bedeutung haben als in der Verwendung in medizinischer Fachsprache). Es betrifft aber auch das stillschweigende Aufbauen auf Kenntnisse zum Gegenstandsbereich, die bei den Textnutzer:innen vorausgesetzt werden. Die Texte setzen implizit Wissen bei den Nutzer:innen voraus. Ist dieses Wissen nicht vorhanden, ist die dargebotene Information weder verständlich noch handlungsorientierend.
Der Umgang mit Gesundheitsinformationen erfordert somit ein hohes Maß an Gesundheitskompetenz [
24]. Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen „zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden“ [
20,
24]. Rund 44 % der Bevölkerung beschreiben jedoch Probleme beim Verstehen von Gesundheitsinformationen [
20]. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund, niedrigem Sozialstatus und Menschen im erhöhten Lebensalter haben eine in dieser Hinsicht eingeschränkte Gesundheitskompetenz [
20]. Viele Web-Seiten weisen eine geringe Verständlichkeit auf [
27]. Dieses Problem ist nicht auf Deutschland beschränkt: Auch international zeigt sich, dass online bereitgestellte Gesundheitsinformationen häufig nicht in angemessener Form an die Lesekompetenzen der Nutzer:innen angepasst sind [
6,
23].
Bestimmte Texteigenschaften können die
overte und
coverte Komplexität und damit die Anforderungen an die kognitiven Voraussetzungen, die für die Textverarbeitung notwendig sind, erhöhen. Um vulnerablen Gruppen den Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen zu erleichtern, müssen Gesundheitsinformationen deshalb nutzerorientiert gestaltet werden [
16]. Dies umfasst, dass die Informationen für die Nutzer:innen verständlich, verknüpfungsfähig, akzeptabel und handlungsorientierend sind [
14]. Um Informationen aus Texten anzuwenden, d. h. auf ihrer Grundlage Entscheidungen treffen zu können [
24], müssen die Nutzer:innen in der Lage sein, sie auf den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen zu verstehen, sie mit Vorwissensbeständen zu verknüpfen und abzulegen sowie sie als potenziell handlungsleitend zu akzeptieren [
15]. Texte mit ausgeprägter
overter und
coverter Komplexität stellen sich dem entgegen. Solche Texte stellen für die Nutzer:innen in unterschiedlicher Weise Barrieren dar, insbesondere aber eine Fach- und Fachsprachenbarriere [
17,
22]. Eine Fachbarriere besteht dann, wenn eine Information nicht verstanden wird, weil für das Verstehen fachliches Wissen vorausgesetzt wird [
22]. Bei einer Fachsprachenbarriere verstehen „die betroffenen Menschen zwar die Sprache, aber nicht die spezielle Fachsprache, in der die Mitteilung formuliert ist“ [
22]. Fachsprachbarrieren können über Instrumente wie Einfache Sprache bearbeitet werden. Für die Bearbeitung einer Fachbarriere muss dagegen in die Informationsstruktur von Texten eingegriffen werden, d. h. Erklärungen eingefügt und fehlende Wissensbestände aufgebaut werden [
17]. Hier besteht auf der Ebene eines einzelnen Textes grundsätzlich eine Grenze des Machbaren, auch im Bereich der Barrierefreien Kommunikation: Nutzer:innen können nur eine begrenzte Menge neuer Informationen verstehen und behalten; die Informationsaufnahme ist nur im Rahmen ihrer individuellen globalen und situativen Gesamtverarbeitungskapazität möglich [
16]. Diese hängt von ihren kognitiven Möglichkeiten, von ihrem Vorwissen zum Thema, aber auch von ihrer Tagesform oder Stressoren in einer Kommunikationssituation ab [
15].
Die vorliegende Studie untersucht anhand eines übersetzungswissenschaftlichen Textkorpus [
8], welche sprachlichen Eigenschaften digitale Gesundheitsinformationen zu chronischen Erkrankungen aufweisen und wie diese als
overte und
coverte Komplexität die Verständlichkeit für fachliche Lai:innen beeinträchtigen und zu Kommunikationsbarrieren beitragen. Hierbei liegt der Fokus insbesondere auf dem Gebrauch von Fachwörtern in den Texten.
Methodik
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde ein Textkorpus [
8] zusammengestellt, welches aus fünf Gesundheitsinformationen besteht. Es handelt sich hierbei um eine
textseitige Analyse der
Verständlichkeit, im Unterschied zu
nutzerseitigen Analysen, bei denen
Verstehen ermittelt wird [
14]. Die Texte sind im Gesundheitsportal der Apotheken Umschau veröffentlicht (
www.apotheken-umschau.de). Das Portal ist ein Angebot des
Wort & Bild Verlags, der zu den führenden Anbietern gesundheitsrelevanter Informationen für medizinische Lai:innen gehört. Das digitale Angebot erreicht rund 7,27 Mio. „unique user“ und verzeichnete im Jahr 2022 durchschnittlich etwa 14,7 Mio. „visits/month“ [
25]. Das Unternehmen setzt sich das Ziel, Gesundheitsinformationen „attraktiv, verständlich und verlässlich“ aufzubereiten [
25]. Seit 2019 kooperiert der Verlag mit der
Forschungsstelle Leichte Sprache (Universität Hildesheim) und veröffentlicht Gesundheitsinformationen parallel zum bestehenden Angebot auch in Einfacher Sprache [
10]. Derzeit sind rund 220 Texte in Einfacher Sprache erschienen.
Das Korpus wurde im Herbst 2020 ausgewählt. Einschlusskriterium der Texte in das Korpus ist der Gegenstand, über den informiert wird: Die ausgewählten Texte informieren über chronische Erkrankungen [
9] und liegen zum Zeitpunkt der Korpuserhebung sowohl in Standardsprache als auch in Einfacher Sprache vor. Die vorliegende Analyse bezieht sich auf fünf Texte in Standardsprache. Aus der Analyse der standardsprachlichen Texte können notwendige Strategien für die Übersetzung in Einfache Sprache abgeleitet werden. Die Texte wurden zum Erhebungszeitpunkt gespeichert, sodass seitdem vorgenommene Aktualisierungen auf der Seite der Apotheken Umschau nicht Teil der Studie sind. Die vorliegende Analyse gibt einen Einblick in eine größere Studie zur Verständlichkeit von Gesundheitsinformationen innerhalb des Projekts von der Apotheken Umschau und der
Forschungsstelle Leichte Sprache und greift deshalb auf die dort erhobenen Materialien zu.
Das Korpus besteht aus fünf Gesundheitsinformationen zu den chronischen Erkrankungen
Asthma, Arthrose der Hand- und Fingergelenke, Neurodermitis, Hashimoto-Thyreoiditis und
Parkinson. Die Textthemen spiegeln die Bandbreite der durch chronische Krankheit betroffenen Körperbereiche und Organe wider ([
9]; Tab.
1).
Tab. 1
Übersicht der analysierten Texte
Arthrose der Hand- und Fingergelenke | 1.594 | 134 |
Asthma | 5.021 | 327 |
Hashimoto-Thyreoiditis | 2.090 | 184 |
Neurodermitis | 3.695 | 253 |
Parkinson | 1.894 | 161 |
Der Gesamtumfang des Korpus beträgt 14.294 Wörter. Der kürzeste Text informiert über
Arthrose der Hand- und Fingergelenke (1594 Wörter), der längste Texte ist zum Thema
Asthma (5021 Wörter). Die thematische Ausrichtung der Texte situiert diese im Feld der Experte-Laie-Kommunikation [
5], wobei sich die Themen dadurch auszeichnen, dass sie sich im Umfeld eines Arztbesuchs bewegen: Die Diagnose der beschriebenen Erkrankungen erfolgt in der Regel durch eine/n Arzt/eine Ärztin, eine Eigendiagnose kann nicht erfolgen, wie es bei alltagsnahen Textthemen der Projekttexte (z. B.
Kopfläuse) der Fall ist.
Das Korpus wird softwaregestützt und manuell analysiert. Über die Analyse mit
TextLab (H&H Communiaction Lab GmbH 2020, Ulm, Deutschland) werden zunächst diverse Verständlichkeitsindices sowie einzelne verständlichkeitsreduzierende Parameter der Texte ermittelt. Dafür werden die Texte zunächst nacheinander in die Software eingebracht. Die Software ermittelt den Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX) [
4]. Dieser ist als Metaindex aus den wichtigsten Verständlichkeitsindices zu verstehen, darunter die 4. Wiener Sachtextformel, die Amstad-Formel und der Lesbarkeitsindex (Lix; [
4]). Daneben gehen in den HIX weitere Parameter ein, wie die Wort- und Satzlänge, die Anzahl abstrakter Nomen, Fachtermini und Fremdwörter, die Informationsdichte und der Nominalstil [
4]. Diese Parameter beeinflussen nachweislich die Verständlichkeit [
11,
17]. Der HIX gibt anhand dieser Indices und Parameter die Verständlichkeit eines (Fach‑)Textes als Zahl zwischen 0 (geringste Verständlichkeit) und 20 (höchste Verständlichkeit) an.
Die Software ist besonders gut für die Analyse overter Komplexität geeignet, da sie spezifische Verständlichkeitsparameter auf der sprachlichen Oberfläche ermittelt. Durch die Auswertung dieser Parameter kann gezeigt werden, dass die Texte auf der sprachlichen Oberfläche objektiv mit Verständlichkeitsbarrieren belastet sind.
Es schließt sich eine qualitative und explorative Analyse an, die manuell ausgeführt wird und insbesondere Merkmale der
coverten Komplexität ermittelt. Die manuelle Analyse erfolgt mit Hilfe der Software
MaxQDA (Verbi Software – Consult – Sozialforschung GmbH 2022, Berlin, Deutschland; zur Methodik s. [
12]). Das Tool eignet sich besonders zur explorativen Datenanalyse und wird deshalb ergänzend zur maschinellen Verständlichkeitsprüfung eingesetzt. Die Analyse erfolgt
induktiv, d. h. die Kategorienbildung erfolgte materialgeleitet. Auf diese Weise soll ein Forscher:innenbias verringert werden: Die
deduktiven Kategorien der maschinellen Verständlichkeitsprüfung werden erst nach den initialen Analyseschritten mit den
induktiv generierten Ergebnissen verbunden (zur Methodik s. auch [
12]).
Die Erträge beider Analyseschritte werden nachfolgend präsentiert.
Ergebnisse
Maschinell ermittelte Verständlichkeit
Die Texte erreichen die Zielwerte für die Verständlichkeitsindices nicht und zeigen eine geringere Verständlichkeit (Tab.
2). Insbesondere der Text zum Thema
Asthma weist stark eingeschränkte Verständlichkeitswerte auf (Tab.
2).
Tab. 2
Ergebnisse der maschinellen Verständlichkeitsprüfung mit TextLab
Verständlichkeitsindices | G‑Smog neu Zielwert: 9 | 8,94 | 10,31 | 8,78 | 10,09 | 9,12 |
4. Wiener Sachtextformel Zielwert: 10 | 10,68 | 11,41 | 10,68 | 11,34 | 11,05 |
Amstad Zielwert: 45 | 38,30 | 34,72 | 33,36 | 34,13 | 33,60 |
LIX Zielwert: 52 | 53,30 | 55,01 | 52,12 | 54,58 | 54,27 |
HIX | 9,64 | 7,21 | 9,46 | 7,48 | 8,77 |
Parameter Wortebene | Ø Wortlänge in Buchstaben | 6,64 | 6,46 | 6,75 | 6,57 | 6,77 |
Wörter mit mehr als 16 Buchstaben | 62 (3,9 %)a | 117 (2,3 %) | 99 (4,7 %) | 100 (2,7 %) | 83 (4,4 %) |
Abstrakte Substantive | 81 (5,1 %) | 245 (4,9 %) | 105 (5,0 %) | 203 (5,5 %) | 118 (6,2 %) |
Medizinische Termini | 63 (3,95 %) | 288 (5,7 %) | 160 (7,7 %) | 155 (4,2 %) | 146 (7,7 %) |
Fremdwörter | 114 (7,2 %) | 487 (9,7 %) | 160 (7,7 %) | 326 (8,8 %) | 159 (8,4 %) |
Parameter Satzebene | Ø Satzlänge in Wörtern | 11,9 | 15,35 | 11,36 | 14,60 | 11,76 |
Sätze im Passiv | 16 (11,9 %) | 54 (16,5 %) | 17 (9,2 %) | 44 (5,5 %) | 22 (13,7 %) |
Nominalstil | 19 (14,2 %) | 40 (12,2 %) | 16 (8,7 %) | 47 (18,6 %) | 33 (20,5 %) |
Sätze mit mehr als 2 Informationen pro Satz | 47 (35,1 %) | 149 (45,6 %) | 54 (29,4 %) | 114 (45,1 %) | 60 (37,3 %) |
Sätze mit mehr als 2 Satzteilen | 22 (16,4 %) | 64 (19,6 %) | 22 (11,96 %) | 49 (19,4 %) | 20 (12,4 %) |
Sätze mit mehr als 20 Wörter pro Satz | 13 (9,7 %) | 73 22,3 % | 17 (9,2 %) | 46 (18,2 %) | 16 (9,9 %) |
Betrachtet man die
Wortebene, zeigt sich eine durchschnittliche Wortlänge zwischen 6,46 und 6,77 Buchstaben pro Wort. Der Anteil der langen Wörter mit mehr als 16 Buchstaben liegt bei bis zu 4,7 %. Lange Wörter können die Verständlichkeit beeinträchtigen [
11]. Der Anteil langer Wörter von fast 5 % bindet kognitive Ressourcen der Leser:innen schon auf Wortebene, d. h. das weitere Satz- und Textverstehen wird beeinträchtigt. Abstrakte Substantive haben einen Anteil von 4,9–6,2 % gemessen an der Anzahl der Wörter. Sie sind schwer verständlich, weil ihnen abstrakte Konzepte zugrunde liegen, die in der Regel nicht alltagsnah und mit konkreten Gegenständen verknüpfbar sind [
11]. Der Anteil medizinischer Fachtermini wird auf Basis von Wortlisten ermittelt und variiert von 4–7,7 % der Wörter. Fremdwörter, d. h. Wörter mit Ursprung in anderen Sprachen wie Latein oder Griechisch, machen bis zu 9,7 % der Wörter im Text aus. Es zeigen sich schon auf Wortebene hohe Anforderungen an die kognitiven Ressourcen der Leser:innen. Der Text zum Thema
Asthma zeigt auf Wortebene die wenigsten Verständlichkeitsbarrieren: Er enthält die kürzesten Wörter, den niedrigsten Anteil langer Wörter mit mehr als 16 Buchstaben und den geringsten Anteil abstrakter Substantive. Mit Blick auf Fach- und Fremdwörter zeigt er jedoch eine mittlere bis hohe Komplexität. Den geringsten Fach- und Fremdwortanteil hat der Text zum Thema
Arthrose der Hand- und Fingergelenke.
Die durchschnittliche Satzlänge liegt zwischen 11,76 und 15,35 Wörtern pro Satz. 29,4–45,6 % der Sätze enthalten mehr als zwei Informationen, das ist fast die Hälfte aller Sätze je Text. Demgegenüber haben bis zu 19,6 % der Sätze mehr als zwei Satzteile. Hier zeigt sich, dass die Informationen nicht auf viele Satzteile verlagert, sondern viele Informationen auf wenige Satzteile verteilt sind. Dadurch wird die syntaktische Komplexität erhöht. Der Anteil besonders langer Sätze mit mehr als 20 Wörtern liegt bei bis zu 22,3 %, sodass sich auch hier eine besondere Komplexität auf Satzebene zeigt. Sätze im Passiv machen bis zu 16 % der Sätze aus. Der Nominalstil hat einen Anteil von 8,7–16,5 % der Sätze. Der Text zum Thema Hashimoto-Thyreoiditis zeigt auf der Satzebene die besten Verständlichkeitswerte: Er enthält die im Vergleich kürzesten Sätze, den geringsten Anteil an Sätzen im Nominalstil und den geringsten Anteil an Sätzen mit mehr als zwei Informationseinheiten gemäß HIX, d. h. mehr als zwei Informationen. Den geringste Anteil an Passivsätzen enthält der Text zum Thema Neurodermitis. Der Text zum Thema Asthma enthält die längsten Sätze, gemessen an der durchschnittlichen Satzlänge, dem Anteil an Sätzen mit mehr als zwei Satzteilen und dem Anteil an Sätzen mit mehr als 20 Wörtern. Außerdem enthält der Text die meisten Sätze mit mehr als zwei Informationseinheiten. Die Komplexität des Asthma-Textes liegt somit eindeutig auf der Satzebene.
Diese Befunde sind global zu verstehen, d. h. sie beziehen nicht die Situierung der Texte im medizinischen Bereich ein. Durch die Fachlichkeit der Texte auftretende Fachbarrieren werden in der maschinellen Verständlichkeitsanalyse nicht erkannt. Mithilfe der automatisierten Verfahren lässt sich lediglich nachweisen, dass es sich um Texte der Fachkommunikation handelt. Die spezifischen Schwierigkeiten mit Bezug auf das für Verstehen und Behalten erforderliche Vorwissen im Bereich Gesundheitskommunikation lassen sich dagegen nicht automatisiert erfassen und es bedarf einer qualitativen Analyse, deren Ergebnisse nachfolgend dargestellt sind.
Manuelle Analyse und verdeckte Komplexität
Die maschinelle Analyse mit der Software TextLab zeigt, dass die Texte einen Fachwortanteil von bis zu 7,7 % aufweisen. Die manuelle Analyse der Fachwörter in MaxQDA ergänzt dieses Ergebnis um qualitative Aussagen zum Umgang mit Fachwörtern.
Die Analyse zeigt, dass die Texte hohe Ansprüche an die kognitiven Ressourcen der Leser:innen stellen. Das Textthema wird in Form unterschiedlicher Fachbegriffe aufgegriffen, die in synonymischer Beziehung zueinanderstehen. So finden sich z. B. im Text zur
Arthrose die Fachtermini „Arthrose der Fingergelenke“, „Fingerpolyarthrose“ und „Fingerarthrose“ in wechselnder Reihenfolge, um den Gegenstand zu bezeichnen. Im Text zur
Neurodermitis finden sich die Termini „Neurodermitis“, „atopische Dermatitis“ und „atopisches Ekzem“. Die Leser:innen müssen folglich die Begriffe als Synonyme erkennen, was insbesondere im Text zur
Arthrose durch eine Vielzahl unterschiedlicher Fachbegriffe – bedingt durch die Vielzahl der betroffenen Körperstellen – erschwert wird. Die Vielzahl unterschiedlicher Termini, die sich auf den gleichen Gegenstand beziehen, ist ein Merkmal der Fachsprache [
18] und trägt demnach nicht nur offen – durch die Fremdheit bzw. Unbekanntheit des Wortes – sondern auch verdeckt – hier durch die parallele Verwendung verschiedener Begriffe – zu einer geringen Verständlichkeit der Texte bei.
Die Erklärung von Fachtermini erfolgt auf unterschiedliche Weisen. In einigen Fällen werden sie nur bildlich und nicht verbal erklärt. So werden z. B. Bilder eingesetzt, um den Aufbau des Gelenks oder die Knochen der Hand zu erklären, die im
Arthrose-Text als Fachbegriffe verwendet werden. In vielen Fällen werden Fachbegriffe zu Organen und das Wissen über grundlegende biologische Vorgänge im Organismus als vorhandene Vorwissensbestände vorausgesetzt. So wird z. B. im Text zum Thema
Asthma das Wissen über „Bronchien“ vorausgesetzt. Der Fachterminus wird wiederholt im Text verwendet, jedoch an keiner Stelle erklärt. Die Nutzer:innen müssen aus dem eigenen Wissen ergänzen, was Bronchien sind, wo sie im Körper zu finden sind und welche Aufgaben sie haben. Dies setzt spezifisches Fachwissen voraus. Der Text zur
Hashimoto-Thyreoiditis erklärt nicht, was Hormone sind. Dieses Wissen ist jedoch zentral für den Gegenstand. Auch manche Behandlungsverfahren werden nicht näher erläutert, so z. B. die Termini „Endoprothese“ und „Totalversteifung“ im Text zur
Arthrose der Hand- und Fingergelenke. Das Beispiel „Totalversteifung“ zeigt auch, dass Fachbegriffe in Form von Komposita auftreten können. Dann werden sie meist nicht explizit definiert und die Leser:innen müssen den Begriff durch die Einzelwortbestandteile erschließen, so z. B. bei Komposita wie „Gelenkknorpel“ und „Gelenkspalt“. Das funktioniert nur, wenn sich die Bedeutung des Fachwortes aus den Einzelbedeutungen seiner Bestandteile zusammensetzen lässt und die Einzelwortbestandteile hinreichend verständlich sind. Komposita tragen jedoch aufgrund ihrer Länge zu einer Verringerung der Verständlichkeit bei, sodass ihr Status als Fachterminus zusätzliche Verstehensbarrieren in sich bergen [
11].
Der Text zum Thema Neurodermitis enthält Informationen zu verschiedenen Medikamenten, die zur Behandlung eingesetzt werden können. Der Text erklärt diese Medikamente zunächst und greift die Namen dann wieder auf. Das setzt voraus, dass die Information nach einmaligem Lesen behalten wurde. Das bedeutet, dass ein hoher Anspruch an das Behalten komplexer Fachtermini nach einmaligem Lesen über mehrere Absätze hinweg besteht. In den Texten finden Verbindungen deutscher Fachtermini und fremder Fachtermini durch Klammern statt: „Glukokortikoide (‚Kortison-Präparate‘)“ und „flächenhafte Verdickung und Vergröberung der Haut (Lichenifikation)“. Die Verbindung der Termini findet in zwei Richtungen statt: entweder steht der fremder Fachterminus in Klammern oder es steht die deutsche Form in Klammern. Diese Form der Erklärung soll die Verknüpfungsfähigkeit der dargebotenen Information mit bereits vorhandenem Wissen ermöglichen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die jeweils andere Form hinreichend verständlich ist. Erklärungen werden mithin nicht explizit als solche markiert, sondern müssen im Kontext als Erklärungen erkannt werden. In einigen Fällen verweist der Text in Form von Links auf ausgelagerte Erklärungen. Die Leser:innen gelangen über den Link zu Informationsangeboten zum verlinkten Thema und verlassen damit den Informationstext, mit dem sie sich bis dahin auseinandergesetzt haben.
Die manuelle Analyse zeigt, dass nicht nur das Vorkommen von Fachwörtern in Gesundheitsinformationen Einfluss auf die Verständlichkeit nimmt. Auch der Umgang mit den Termini im Text kann die Verständlichkeit weiter mindern, wenn das zum Verstehen notwendige Fachwissen nicht eingeführt, sondern als bekannt vorausgesetzt wird und eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen für den gleichen Gegenstand eingesetzt werden.
Diskussion
Die softwaregestützte und die manuelle Analyse deuten beide eine auf mittlere bis geringe Verständlichkeit der Texte. Damit bestätigt die Studie, trotz des limitierten Umfangs, ähnliche Erkenntnisse internationaler Forschung [
6,
23]. Der Hohenheimer Verständlichkeitsindex erbringt für das Korpus einen Durchschnittswert von 8,6 Punkten. Der Text zum Thema
Neurodermitis hat die geringste Verständlichkeit (7,48 Punkte), der Text zum Thema
Arthrose die höchste Verständlichkeit im Korpus (9,64 Punkte). Obwohl sich die Texte an fachliche Lai:innen richten, weisen sie einen hohen Fachlichkeitsgrad auf, erkennbar an nominalen Strukturen, einer hohen Anzahl von Fachtermini sowie einer komplexen syntaktischen Struktur. Insbesondere die Lexik der Texte hat einen hohen Einfluss auf die Verständlichkeit. Die manuelle qualitative Analyse hat verdeutlicht, dass die Texte umfangreiches Fachwissen voraussetzen und der Umgang mit Fachwörtern in den Texten hohe Ansprüche an das Verstehen und Behalten der Nutzer:innen stellt. Damit erschweren die Texte den Wissenserwerb, der jedoch eine entscheidende Motivation für die Nutzung von Gesundheitsangeboten im Internet ist [
13]. Eine gute Verständlichkeit ist zudem ein zentrales Qualitätsmerkmal von Gesundheitsinformationen [
1,
2] und wird auch von Nutzer:innen als wichtig für die Qualität der Angebote gewertet [
26]. An dieser Stelle zeigt sich Forschungsbedarf für weitere Studien, die insbesondere Erklärungsmuster und -typen bei der Erläuterung von Fachtermini in den Blick nehmen. Die vorliegende Studie lässt darauf schließen, dass sich hier Unterschiede im Umgang mit Fachtermini abzeichnen, die sich wiederum auf die Verständlichkeit auswirken. Weitere qualitative Studien können hier anschließen und die Analyse mit einem größeren Textkorpus und auch für andere Anbieter:innen von Gesundheitsinformationen wiederholen. So kann die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erhöht werden und anbieterübergreifende Tendenzen digitaler Gesundheitsinformationen erkannt werden. Weitere Forschung sollte außerdem den Einfluss von Bildern auf die Verständlichkeit untersuchen.
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