Hintergrund
Methoden
Ergebnisse
Die aktuelle globale Epidemiologie der Masern
Land | Pro-Kopf-Einkommen (laut Weltbank) | WHO-Region | Inzidenzrate (Fälle/1.000.000 Einwohner) | Fallzahlen | Impfquote (%) MCV‑1 (2018) | Impfquote (%) MCV‑2 (2018) |
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Madagaskar | Geringes Einkommen | Afrika | 6064,6 | 150.976 | 62 | k. A. |
Ukraine | Mittleres Einkommen im unteren Bereich | Europa | 1917,6 | 84.394 | 91 | 90 |
Israel | Hohes Einkommen | Europa | 471,1 | 3982 | 98 | 96 |
Philippinen | Mittleres Einkommen im unteren Bereich | Westpazifik | 443,7 | 45.847 | 67 | 40 |
Jemen | Mittleres Einkommen im unteren Bereich | Östliches Mittelmeer | 435,1 | 12.001 | 64 | 46 |
Venezuela | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Amerika | 177,3 | 6000 | 74 | 39 |
Bulgarien | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Europa | 147,7 | 1039 | 93 | 87 |
Nigeria | Mittleres Einkommen im unteren Bereich | Afrika | 138,8 | 25.814 | 65 | k. A. |
DR Kongoa | Geringes Einkommen | Afrika | 117,4 | 9244 | 80 | k. A. |
Thailand | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Südostasien | 108,3 | 7346 | 96 | 87 |
Rumänien | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Europa | 83,1 | 1628 | 90 | 81 |
Brasilien | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Amerika | 49,3 | 10.241 | 84 | 69 |
Serbien | Mittleres Einkommen im oberen Bereich | Europa | 15,6 | 137 | 92 | 90 |
Vereinigtes Königreich | Hohes Einkommen | Europa | 10,5 | 699 | 92 | 88 |
USA | Hohes Einkommen | Amerika | 4,6 | 1536 | 94 | 92 |
Deutschland (im Vergleich) | Hohes Einkommen | Europa | 6,8 | 559 | 97 | 93 |
Strukturelle Barrieren bei der Masernbekämpfung
Strukturelle Barrieren | Ursachen | Beispielländer | Betroffene Bevölkerungsgruppen |
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Fehlende Infrastruktur (Stromausfälle, fehlende Wasser- und Abwasserversorgung, unterbrochene Kühlketten) | z. B. Naturkatastrophen (Hurrikans), geografische Isolation, politische Unsicherheiten, Migration, Wirtschaftskrisen | DR Kongo, Jemen, Madagaskar, Nigeria, Philippinen | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in schwer zugänglichen Gebieten |
Fehlen/Unterbrechung/Beendigung von Routineimpfprogrammen | z. B. Naturkatastrophen (Hurrikans), politische Unsicherheiten, Krieg und Bürgerkrieg, Wirtschaftskrisen, Ausbrüche anderer Infektionskrankheiten, fehlende Mittel zur Aufrechterhaltung der Kontrollprogramme | DR Kongo, Jemen, Madagaskar, Nigeria, Ukraine, Venezuela | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in bestimmten Regionen |
Impfstoffmangel | z. B. Naturkatastrophen (Hurrikans), geografische Isolation, politische Unsicherheiten, Migration, Wirtschaftskrisen, mangelndes politisches Interesse | DR Kongo, Jemen, Madagaskar, Nigeria, Ukraine, Rumänien, Venezuela | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in schwer zugänglichen Gebieten |
Nicht zumutbare Reisedistanzen zu Impfzentren | z. B. geografische Isolation, Migration | DR Kongo, Madagaskar, Nigeria, Philippinen Ukraine, Thailand, Venezuela | Subpopulationen in schwer zugänglichen/ländlichen Gebieten |
Schlechte Kommunikation von Impfprogrammen | z. B. mangelndes politisches Interesse, schwache Gesundheitssysteme einschließlich fehlenden Gesundheitspersonals, Wirtschaftskrisen | Philippinen, Thailand | Gesamte Bevölkerung, bestimmte Subpopulationen (z. B. bildungsferne Populationen ländlicher Gebiete) |
Schlechter Zugang zum Gesundheitssystem einschließlich Impfangebote, Nichterfassung durch vorhandene staatliche Routineprogramme | z. B. geografische/soziale Isolation, politische Unsicherheiten, Migration | Brasilien, Bulgarien, DR Kongo, Jemen, Madagaskar, Nigeria, Rumänien, Serbien, Thailand, Ukraine, Venezuela | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in schwer zugänglichen/ländlichen Gebieten, ethnische Minderheiten, indigene Populationen (Brasilien, Venezuela) |
Schwache Surveillance-Systeme (für Masernfälle und Impfung) | z. B. schwache Gesundheitssysteme einschließlich fehlenden Gesundheitspersonals, Wirtschaftskrisen | DR Kongo, Madagaskar, Nigeria, Philippinen, Ukraine | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in bestimmten Regionen |
Verspätete/ungeeignete Maßnahmen bei Masernausbrüchen | z. B. schwache Gesundheitssysteme einschließlich fehlenden Gesundheitspersonals, Wirtschaftskrisen | DR Kongo, Philippinen, Rumänien, Ukraine, Venezuela | Gesamte Bevölkerung, Subpopulationen in bestimmten Regionen |
Beispiele für strukturelle Barrieren in der gesamten Bevölkerung
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Die Ausbruchsbekämpfung in Madagaskar wurde laut WHO durch bewaffnete Konflikte nach den Wahlen im Dezember 2018, die geografische Isolation einiger Fälle, politische Unsicherheit sowie Naturkatastrophen (Hurrikans) erschwert. Durch saisonal auftretende Ausbrüche der Pest waren die Gesundheitsbehörden in Madagaskar zusätzlich belastet [15].
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In der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) stellen die instabile Sicherheitslage, die schwere geografische Zugänglichkeit einiger Provinzen und intensive Bevölkerungsbewegungen sowie der noch andauernde Ebolaausbruch im Osten des Landes, der Ressourcen bindet und Unsicherheiten in der Bevölkerung verstärkt, eine enorme Herausforderung auch bei der Bekämpfung der Masern dar [16].
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Im Nordosten Nigerias gibt es seit 2009 eine humanitäre Krise (ausgelöst durch terroristische Aktivitäten der „Boko Haram“) mit mehr als 7 Mio. betroffenen und hilfsbedürftigen Menschen in den Bundesstaaten Borno, Adamwa und Yobe. Infolgedessen sind seit Beginn des Konflikts 1,8 Mio. Menschen auf der Flucht und suchen in Flüchtlingslagern Schutz, wo das Übertragungsrisiko von Infektionskrankheiten, insbesondere Masern, sehr hoch ist [17].
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Jemen, eines der ärmsten Länder im Mittleren Osten, ist seit 2010 Schauplatz zahlreicher bewaffneter Konflikte, die verheerende Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung haben. Stromausfälle, fehlende Wasser- und Abwasserversorgung sowie unterbrochene Kühlketten behindern die Gesundheitsversorgung einschließlich der Versorgung mit Impfangeboten für die Bevölkerung massiv [18].
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Auch für die Philippinen, wo das nationale Gesundheitsministerium im Februar 2019 einen landesweiten Masernausbruch erklärte, nennt die WHO nichtfunktionierende Kühlketten für Impfstoffe als großes Problem bei der Ausbruchsbekämpfung. Darüber hinaus fehlt ein Kontrollsystem für die lückenlose Durchimpfung von Zielgruppen. Es mangelt an detaillierten Analysen, um gezielte Interventionen für die stark betroffenen Gebiete zu identifizieren. Informationsmaterial über Masern und Masernimpfungen, welches insbesondere Ängste im Zusammenhang mit Impfstoffen adressieren soll, erreicht die Bevölkerung nicht ausreichend [19].
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In der Ukraine nennt die WHO Herausforderungen bei der Bereitstellung, Lagerung und Handhabung des Impfstoffs als massive Barrieren bei der Ausbruchsbekämpfung. Das Gesundheitssystem des Landes ist durch die militärischen Konflikte infolge der Annexion der Krim, politische Instabilität und eine desolate Wirtschaftslage stark belastet. Infolgedessen wurden Routineimpfungen nicht oder nur noch unzureichend durchgeführt. Die Impfquoten lagen seit den 1980er-Jahren bis 2008 konstant bei mindestens 94 %. Von 2009 bis 2016 sanken diese jedoch auf 42 % für die erste und 31 % für die 2. Impfdosis, was einem der niedrigsten Niveaus weltweit entspricht [20]. Weitere Gründe für diese dramatische Entwicklung sind laut WHO neben den bereits genannten strukturellen Barrieren auch ein geringes Vertrauen des Gesundheitspersonals in die Impfung sowie eine geringe Nachfrage durch die Bevölkerung. Auf diese Faktoren wird im Abschnitt „Psychologische Barrieren“ näher eingegangen.
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Venezuela befindet sich seit 2010 in einer andauernden schweren sozioökonomischen und politischen Krise, in deren Folge das Gesundheitssystem vielerorts zusammenbrach. So betrug die Inflationsrate im Jahr 2016 rund 260 % und stieg 2018 auf über 65.000 %. Qualifiziertes Fachpersonal einschließlich biomedizinischer Forscher und Gesundheitspersonal verlassen das Land. Mehr als 280.000 Kinder sind durch schwere Unterernährung gefährdet [21]. Das erneute Auftreten der Masern in Venezuela seit 2017 ist eine Folge des unterbrochenen nationalen Immunisierungsprogramms, wodurch Routineimpfungen nicht mehr überall stattfanden. Die Impfquote für die 2. Impfdosis betrug 2018 laut UNICEF nur noch 39 % [22].
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Die ehemals sehr hohen Impfquoten der Kinder in Rumänien von mindestens 95 % zu Beginn der 2000er-Jahre konnten in den vergangenen Jahren nicht mehr aufrechterhalten werden und sanken 2017 auf einen Tiefpunkt von 75 % für die 2. Impfdosis [20]. Als Gründe werden vom WHO-Regionalbüro für Europa (WHO EURO) Veränderungen des Gesundheitssystems, Knappheit des Impfstoffs sowie die Komplexität eines adäquaten Ausbruchsmanagements genannt.
Beispiele für strukturelle Barrieren in Subpopulationen
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Eine 2012 veröffentlichte Studie von 468 Romakindern in Serbien zeigte, dass nur 14 % der untersuchten Kinder einen vollständigen, altersgerechten Impfschutz gegen Masern hatten [23]. Die durchschnittliche Masernimpfquote lag in Serbien zu dieser Zeit bei 90 % [22]. Hauptrisikofaktor für einen unzureichenden Masernimpfstatus in dieser Gruppe war das Fehlen einer Registrierung durch die staatlichen Behörden. Die Kinder waren im öffentlichen Gesundheitssystem nicht erfasst, sodass sie durch staatliche Routineimpfprogramme nicht erreicht wurden.
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Für eine jüdisch-orthodoxe Gemeinschaft in London (Vereinigtes Königreich) wurde herausgefunden, dass nicht kulturelle und religiöse Ablehnung von Impfungen der Grund für geringe Impfquoten in dieser Gruppe war. Vielmehr standen die öffentlichen Gesundheitsdienste nach der Identifizierung der Impflücken in dieser Gruppe vor der Herausforderung, einer großen Anzahl von Kindern ohne zusätzliche Ressourcen Immunisierungsdienste anzubieten [24].
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Der aktuelle Masernausbruch in Thailand betrifft vor allem die arme Bevölkerung schwer zugänglicher Gebiete in den südlichen Provinzen. Die meisten Betroffenen sind nichtgeimpfte Kinder aus armen und bildungsfernen Familien oder Kinder eingewanderter Arbeiter, die keine Kenntnis von dem Ausbruch und einen schlechten Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen haben [19].
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In Venezuela und Brasilien sind indigene Populationen sehr stark durch die aktuellen Masernausbrüche betroffen. Infolge der wirtschaftlichen Krise etablierten sich illegale Bergbaucamps in den indigenen Gebieten Venezuelas. Diese ziehen Arbeiter aus anderen Regionen Venezuelas, Nachbarländern und indigenen Siedlungen an. Maserntransmissionen sind innerhalb der Camps und darüber hinaus bei Rückkehr in die Heimatregionen und indigenen Siedlungen möglich [21]. Humanitäre Hilfe, einschließlich Impfungen, ist in dieser vulnerablen Population aufgrund der Abgeschiedenheit der Siedlungsgebiete und der seminomadischen Lebensweise nur begrenzt möglich [21].
Zusammenfassung der strukturellen Barrieren
Psychologische Barrieren der Masernbekämpfung
Confidence
Complacency
Constraints (Convenience)
Calculation
Collective Responsibility
Zusammenfassung der psychologischen Barrieren
Diskussion
Limitierende Faktoren der Daten
Fazit
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Es ist seit 2018 eine erneute globale Zunahme von Masernfallzahlen zu beobachten.
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Die Gründe für die globale Masernkrise sind vielfältig und existieren teilweise schon seit Jahrzehnten.
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Masernausbrüche sind ein Zeichen unzureichender Impfquoten, die durch vielfältige strukturelle und psychologische Barrieren verursacht werden.
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Strukturelle Barrieren für Masernimpfungen, wie z. B. mangelnde Routineimpfprogramme verursacht durch bewaffnete Konflikte oder die eingeschränkte Zugänglichkeit von Subpopulationen zu Impfungen, wurden als Hauptursachen für geringe Masernimpfquoten in den Ländern identifiziert.