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Erschienen in: Die Ophthalmologie 9/2020

Open Access 29.01.2020 | Sarkoidose | Bild und Fall

Rotes Auge einmal anders

Vom Lokalbefund zur systemischen Diagnose

verfasst von: U. Schrifl, U. Pleyer, A. M. Joussen, A. Riechardt

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 9/2020

Anamnese

Eine 55-jährige Patientin stellte sich erstmalig in einer wohnortnahen Augenarztpraxis bei plötzlich aufgetretenem, einseitigem rotem Auge und subjektivem Druckschmerz vor. Daraufhin wurde sie zur Abklärung eines Iristumors unklarer Genese am betroffenen, roten Auge an uns überwiesen. Keine okulären Vorerkrankungen bekannt. Es bestand eine Leberzirrhose bei Zustand nach Alkoholabusus. Andere Systemerkrankungen wurden verneint.

Klinik

Ophthalmologischer Befund bei Erstvorstellung

Der bestkorrigierte Visus betrug rechts 0,8 und links 1,25. Der Intraokulardruck (IOD) war mit 20 mm Hg an beiden Augen normoton. Der rechte Vorderabschnitt zeigte sich regelrecht und reizfrei. Am linken Auge zeigte sich eine gemischte Injektion. Es bestand ein intraokularer Reizzustand mit Zellen (+), Endothelbeschlägen und anterioren Synechien. Darüber hinaus fand sich ein amelanotischer, teils zystisch wirkender, irregulärer, vaskularisierter Iristumor, welcher vom Kammerwinkel bis zum Pupillarsaum reichte (Abb. 1). Der Fundus zeigte sich in medikamentöser Mydriasis beidseits regelrecht. Bei intraokulärem Reizzustand erfolgte eine serologische Uveitisabklärung. Der Patientin wurde angeraten ein Thoraxröntgen extern durchführen zu lassen. Wir ordinierten zwischenzeitlich Prednisolon Augentropfen 3‑mal täglich und vereinbarten eine Kontrolle in 1 Woche. Die Möglichkeit einer Feinnadelbiopsie wurde besprochen.

Weiteres Procedere

Nach 1 Woche war der bestkorrigierte Visus links 1,0 und die Tensio 18 mm Hg. Klinisch zeigten sich der Iristumor sowie der Intraokularreiz rückläufig (Abb. 2). In der Serologie zeigte sich der lösliche Interleukin-2-Rezeptor mit 1064,0 iU/ml deutlich erhöht. Eine extern durchgeführte Thoraxröntgenaufnahme zeigte anamnestisch eine pulmonale Raumforderung unklarer Genese. Daher rieten wir der Patientin dringend zur Durchführung einer Computertomographie (CT) sowie zur Vorstellung beim Pulmologen. Eine Wiedervorstellung war nach 2 bis 3 Wochen geplant.
Die Patientin erschien jedoch erst 2 Monate später. Ein extern durchgeführtes Thorax-CT zeigte eine periphere Raumforderung im 3. Lungensegment links und einen einzelnen vergrößerten, am ehesten entzündlich veränderten Lymphknoten im oberen Hilus links. Die pulmonale Raumforderung war am ehesten auf einen spezifisch entzündlichen Prozess zurückzuführen, fraglich ein Tuberkulom, jedoch konnte ein tumoröser Prozess nicht sicher ausgeschlossen werden.
Es bestand zu diesem Zeitpunkt eine subjektive Visusminderung seit 1 Woche. Der bestkorrigierte Visus links betrug 0,8. Die Tensio war mit 58 mm Hg am linken Auge signifikant erhöht. Die Bindehaut zeigte eine gemischte Injektion, und es bestanden ein deutlicher intraokularer Reizzustand mit Zellen 2+ und einem Pseudohypopion von ca. 1 mm sowie zirkulär posteriore Synechien und eine Rubeosis iridis. Zusätzlich zu dem vorbekannten Iristumor zeigten sich nun multiple amelanotische Prominenzen auf der Iris (Abb. 3). Der Fundus war weiterhin regelrecht. Das rechte Auge zeigte sich weiterhin altersentsprechend und reizfrei. Nach Rücksprache mit den internistischen Kollegen erfolgte eine notfallmäßige Aufnahme in die Klinik für Pulmonologie zur weiteren Diagnostik und ggf. Therapieeinleitung bei Verdacht auf Sarkoidose.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Diagnostik

Eine erweiterte Blutserologie inklusive Infektiologie (Tuberkulose, HIV [Humanes Immundefizienz-Virus], Aspergillus) fiel negativ aus. Lungenfunktionsdiagnostik war unauffällig. Ergänzend wurden eine Thoraxröntgenaufnahme (Abb. 4) und ein Thorax-CT (Abb. 5) durchgeführt.
Bei Rubeosis iridis erfolgten eine intravitreale Avastin-Injektion sowie lokale und systemische drucksenkende Therapie im Rahmen der konsiliarischen Mitbetreuung. Das Vorderkammerpunktat ergab eine zellreiche lytische Punktatflüssigkeit mit einzelnen bizarren Tumorriesenzellen, welche jedoch aufgrund stärkerer autolytischer Veränderungen keiner Tumorentität zugeordnet werden konnten.
Nach Bronchoskopie mit transbronchialen Biopsien der pulmonalen Raumforderung und eines suspekten Lymphknotens wurde histopathologisch die Diagnose eines nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms gestellt. Im erweitertem Staging mit PET(Positronen-Emissions-Tomographie)/CT(Computertomographie)-Ganzkörper und cMRT (Zerebrale Magnetresonanztomographie; Abb. 6) konnte zudem eine disseminierte Metastasierung nachgewiesen werden.

Therapie

Das Tumorstadium des Lungenkarzinoms wurde mit T3, N2 (positive Lymphknoten) und Mx (4-mal intrakranielle Metastasen, 1‑mal Irismetastase) festgelegt. Nach Vorstellung bei der Tumorkonferenz empfahl man eine palliativ intendierte Systemtherapie mit Pembrolizumab und Radiatio der Hirnmetastasen.

Definition

Masquerade-Syndrome umschreiben diverse neoplastische und nichtneoplastische Krankheitsbilder, welche immunmediierte Erkrankungen nachahmen und daher oft schwierig zu diagnostizieren sind [1].
Hierbei stellt die häufigste primäre Neoplasie das intraokulare primäre Lymphom des zentralen Nervensystems dar [2].
Diagnose 1: Masquerade-Syndrom
Daneben sind Metastasen für den Großteil intraokulärer Malignome beim Erwachsenen verantwortlich [3]. Die Primärtumoren sind am häufigsten in der Lunge oder bei Frauen in der Brust situiert [4]. Aufgrund ihres reichen Gefäßangebotes ist die Choroidea 10- bis 20-mal so häufig betroffen wie die Iris oder der Ziliarkörper [4]. Metastasen können solitär, multifokal, uni- oder bilateral vorkommen. Die Mehrzahl der Patienten weist bei Erstdiagnose der Augenaffektion bereits weitere Metastasen auf. Bei etwa einem Drittel der Patienten findet sich eine rein okuläre Metastasierung [4]. Klinik und Symptomatik der Metastasen sind variabel und in der Regel nicht pathognomonisch für einen Primarius. Metastasen des vorderen Augenabschnittes präsentieren sich häufig mit intraokularem Reizzustand, Irisknötchen, Tensiodekompensation bei Rubeosis iridis, Hyphäma und einer unregelmäßigen Pupille. In diesem Fall kann eine Vorderkammerpunktion bei der Diagnosefindung helfen [1]. Choroidale Metastasen können von einer serösen Ablatio retinae, einer Vitritis sowie einem zystoiden Makulaödem begleitet sein.

Therapie und Prognose

Bei disseminierter Metastasierung steht die systemische Therapie im Vordergrund. Radikale operative Eingriffe mit großem Risiko sollten vermieden werden. Mögliche lokale Behandlungsoptionen stellen die External-beam-Radiatio, die Brachytherapie, die photodynamische Therapie oder die transpupillare Thermotherapie dar. Die Enukleation kann als Ultima Ratio in Betracht gezogen werden.
Diagnose 2: Irismetastase bei metastasiertem Lungenkarzinom
Die Prognose bei Patienten mit Aderhautmetastase ist häufig deutlich reduziert, da meist bereits eine disseminierte Metastasierung stattgefunden hat [3, 4].

Die Vieldeutigkeit des löslichen Interleukin-2-Rezeptors

Interleukin-2-Wachstumsfaktor ist ein wichtiges Zytokin zur Stimulierung der T‑Zell-Aktivierung im Rahmen der zellulären Immunität. Somit dient der lösliche Interleukin-2-Rezeptor zur quantitativen Messung der T‑Zell-Aktivierung und kann bei verschiedenen T‑Zell-mediierten Prozessen erhöht sein, wie z. B. im Rahmen autoimmuner Krankheitsbilder wie der rheumatoiden Arthritis, bei reaktiven Arthritiden, Kollagenosen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, malignen lymphoproliferativen Erkrankungen (B- und T‑Zell-Lymphom) sowie bei Transplantatabstoßungsreaktionen, aber auch bei Sarkoidose oder diversen infektiösen Krankheitsbildern wie Hepatitiden [5].

Fazit für die Praxis

Bei erhöhtem Interleukin-2-Rezeptor sollte nicht nur an Sarkoidose, sondern auch an diverse Differenzialdiagnosen gedacht werden.
Aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung steigt die Inzidenz maligner Erkrankungen, und der Augenarzt wird vermehrt mit malignen Erkrankungen konfrontiert. Daher sollte bei uvealen Prominenzen mit assoziierter Inflammation auch an ein neoplastisches Masquerade-Syndrom gedacht werden und ggf. zeitnah ein Staging eingeleitet werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

U. Schrifl, U. Pleyer, A.M. Joussen und A. Riechardt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
Metadaten
Titel
Rotes Auge einmal anders
Vom Lokalbefund zur systemischen Diagnose
verfasst von
U. Schrifl
U. Pleyer
A. M. Joussen
A. Riechardt
Publikationsdatum
29.01.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 9/2020
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-020-01042-4

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