Die erste stammspezifische Netzhautdegeneration bei Mäusen wurde vor über 90 Jahren identifiziert [
36]. Diese bestens untersuchte natürliche Mauslinie, die auch als rd1 (
retinal degeneration 1) bezeichnet wird, trägt eine Nonsensemutation im Pde6b-Gen, das für eine membrangebundene cGMP-Phosphodiesterase kodiert, die in der Phototransduktionskaskade in Stäbchen essenziell ist. Rd1-Mäuse zeigen einen schnellen Beginn und eine starke Netzhautdegeneration mit einem gut definierten Zeitverlauf [
11]. Umfassende Genexpressionsanalysen mit Netzhautgewebe von sehr jungen rd1 Mäusen zeigten eine Reduktion der photorezeptorspezifischen Genexpression, gefolgt von erhöhten apoptose- und neuroinflammationsspezifischen Transkripten einschließlich der Überexpression des Komplementfaktors C1qa am postnatalen Tag 14 (PN14) [
57]. Rd1 Netzhäute weisen zum selben Zeitpunkt eine signifikante Anzahl von proliferierenden reaktiven Mikrogliazellen in der äußeren Körnerschicht auf, die Tumornekrosefaktor und das Chemokin CCL2 sezernieren. Solche Mikrogliazellen sind auch in homozygoten rd10 Mäusen nachweisbar, die eine Missensemutation im Pde6b-Gen tragen [
66]. Die Kreuzung von rd10-Mäusen mit Tieren, die im CCL2-Rezeptor (Ccr2-/-) defizient sind, führte zu einer signifikanten Reduktion reaktiver Mikroglia und einer verzögerten Degeneration mit länger erhaltener ERG-Funktion [
24]. Dies deutet darauf hin, dass eine Hochregulierung der CCL2-CCR2-Achse während der Anfangsphase der Netzhautdegeneration notwendig ist, um eine Mikrogliaaktivierung und möglicherweise Makrophagenrekrutierung auszulösen und dadurch zusätzlich Netzhautschäden zu verursachen. Unsere Arbeitsgruppe konnte die zeitliche Verbindung der Mikrogliaaktivierung mit der Photorezeptorapoptose bei Retinoschisin-defizienten (Rs1h‑/Y) Mäusen untersuchen, einem Modell für die X‑gebundene Retinoschisis [
65]. Dabei konnten DNA-Mikroarrays zeigen, dass die transkriptionelle Reaktion von Mikroglia dem Zelltod in der Netzhaut zeitlich deutlich vorausgeht [
21]. Die frühe Mikrogliose steht auch in direktem Zusammenhang mit der Netzhautdegeneration im Fam161-defizienten Mausmodell der Retinitis pigmentosa [
33,
42]. Mit dem Verlust der Photorezeptorschicht wandern Mikrogliazellen in die äußere Netzhaut ein (Abb.
1b) und es erfolgt die Auflösung des ramifizierten Zellnetzwerks, verbunden mit einer morphologischen Transformation zu großen neurotoxischen Phagozyten (Abb.
3b).