Schlüssel zur Alzheimertherapie: Liquordiagnostik bei ersten kognitiven Problemen

Mit der Einführung krankheitsmodifizierender Alzheimertherapien kommt der Liquordiagnostik eine Schlüsselrolle zu: Gerade bei ersten kognitiven Einschränkungen ist es künftig wichtig, nach einer Alzheimerpathologie zu fahnden. Die Alzheimertherapie steht vor einer fundamentalen Wende: Können Ärztinnen und Ärzte Erkrankte bisher nur symptomatisch behandeln, und zwar dann, wenn bereits eine klinisch manifeste Demenz vorliegt, so dürfte sich der Fokus der Therapie nun auf Personen mit ersten kognitiven Einschränkungen (MCI) und einer leichten Demenz verschieben, in wenigen Jahren vielleicht sogar auf Menschen in einem asymptomatischen Stadium der Erkrankung. Denn mittlerweile steht in Europa die Zulassung der ersten krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT) gegen Alzheimer an – mit ihnen ließ sich die Krankheitsprogression in Phase-3-Studien um rund ein Drittel reduzieren. Dabei scheinen die Arzneien am besten zu wirken, wenn sie möglichst früh im Krankheitsverlauf verabreicht werden. So konnten die gegen Beta-Amyloid gerichteten Antikörper Lecanemab und Donanemab in den zulassungsrelevanten Studien eine gute Wirksamkeit schon im MCI-Stadium erzielen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass solche Menschen eine klare Alzheimerpathologie aufweisen. Sollten die neuen Antikörper in Kürze in der EU erhältlich sein, kommt also einer frühen Alzheimerdiagnostik eine Schlüsselrolle zu, und dies gerade auch bei Menschen mit MCI, bei denen eine solche Diagnostik mangels therapeutischer Möglichkeiten bisher nicht üblich war. Liquordiagnostik bisher bei weniger als 1% Während eines Expertengesprächs des Unternehmens Lilly in Bad Homburg plädierten Demenzforscher vor allem für eine frühere Liquordiagnostik – eine solche sei heute auch von niedergelassenen neurologischen Fachärzten gut machbar und liefere zuverlässige Resultate, erläuterte Professor Timo Grimmer von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Die wesentlich aufwändigere und teurere PET sieht Grimmer eher als Alternative bei Kontraindikationen gegen eine Lumbalpunktion. Derzeit erhielten aber weniger als 0,2% der MCI- und weniger als 1% der Demenzpatienten eine Lumbalpunktion zur Abklärung der Krankheitsursache. Dieser Anteil dürfte deutlich zunehmen, wenn die neuen DMT auf den Markt kommen und als Voraussetzung für die Behandlung die Alzheimerpathologie nachgewiesen werden muss. Grimmer plädierte dafür, dann auch die Hausärzte stärker in den Diagnoseprozess einzubeziehen, da letztlich nicht die gesamte Arbeit von Fachärzten geleistet werden könne. „Hausärzte kennen schließlich ihre Patienten, ihnen fällt als Ersten auf, wenn die kognitive Leistung nachlässt.“ Kognitive Defizite könnten sie dann mit einem neuropsychologischen Kurztest bestätigen. Da mehr als jeder zweite MCI-Patient keine Alzheimerpathologie aufweist, liegt auch die Abklärung alternativer Ursachen zunächst beim Hausarzt: Einige Standardfragen zum Ausschluss einer Depression, eine Basis-Blutuntersuchung (etwa Blutbild, Elektrolyte, Blutzucker, TSH, Leberwerte, Kreatinin, Harnstoff und Vitamin B12), um reversible Ursachen aufzuspüren, sowie die Überweisung zur strukturellen Bildgebung per CT oder MRT, um andere Ursachen auszuschließen oder eine alzheimertypische Hirnatrophie festzustellen. Erst nach dieser Vorarbeit sei gegebenenfalls die weiterführende Diagnostik beim Facharzt nötig, es werde also nicht jeder mit ersten kognitiven Problemen gleich eine Liquoruntersuchung benötigen. Von denen mit Liquordiagnostik auf Amyloid- und Tau-Protein werde zudem nicht jeder eine Alzheimerpathologie zeigen. „Es kommen daher weit weniger Menschen für die neuen Therapien infrage, als viele annehmen. Das relativiert auch die Ängste, dass diese nicht bezahlbar sein könnten“, sagte Professor Oliver Peters von der Charité Berlin. Auf der anderen Seite müsse man die Erwartungen vieler Menschen dämpfen, da eben viele Alzheimerkranke nicht oder nicht mehr von DMT profitierten. So sei eine Kostenerstattung primär bei Alzheimer im MCI-Stadium und leichter Demenz zu erwarten. „Ich wünsche mir, dass alle Patientinnen und Patienten bereits im Stadium der MCI erkannt werden, weil ich davon ausgehe, dass das Potenzial für einen nachhaltigen Erfolg größer ist als bei einer leichten Demenz“, erläuterte der Gerontopsychiater und blickt durchaus optimistisch auf dieses Ziel: „Wir sind nicht meilenweit von dem entfernt, was es bräuchte. Ich sehe auf Fortbildungsveranstaltungen ein zunehmendes Interesse an der Diagnostik, sowohl bei Haus- als auch Fachärzten. Viele Fachärzte, die sich bisher gescheut haben, eine Liquordiagnostik anzubieten, machen das jetzt. Auch bei MS hat man mit der Zeit neue Versorgungsstrukturen aufgebaut, warum nicht auch für Alzheimerpatienten?“ Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. 90-90-90-Ziel für Alzheimer Sollten die derzeit laufenden Präventionsstudien mit Amyloid-Antikörpern Erfolge zeigen, müsste die Diagnostik noch früher erfolgen, und zwar bei asymptomatischen Personen mit Alzheimerpathologie. Hier kommen dann die Bluttests auf Beta-Amyloid und Tau-Protein ins Spiel, die derzeit entwickelt werden. Solche Tests dürften in wenigen Jahren praxistauglich sein und einer kostenintensiveren Diagnostik vorgeschaltet werden, vermutet Peters. Der Experte kann sich vorstellen, dass die Tests dann auch in Vorsorgeprojekten angeboten und von den Kassen bezahlt werden, da es letztlich günstiger sein dürfte, Personen mit Alzheimerpathologie präventiv als im Stadium einer manifesten Demenz zu behandeln. Entscheidend sei jedoch, dass die Tests nicht zu häufig falsch positive Resultate lieferten und zu einer teuren Anschlussdiagnostik führten. Perspektivisch sieht Peters in Analogie zur HIV-Versorgung ein „90-90-90-Ziel“: 90% mit einer Alzheimerpathologie sollen früh diagnostiziert werden, davon 90% eine DMT erhalten und davon 90% keine Demenz oder zumindest keine Pflegebedürftigkeit entwickeln. „Das sollte die Maxime für die nächsten fünf bis zehn Jahre sein, auch wenn wir jetzt gerade mit den ersten 90% anfangen. Natürlich ist das sehr optimistisch gedacht, aber auch bei HIV wurden solche Ziele lange als abwegig betrachtet. Nun wurden sie erreicht.“

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