Amyloidhypothese: Sekretase-Hemmer beschleunigen Alzheimer

In zwei Studien mit unterschiedlichen Beta-Sekretase-Hemmern ließ sich die Entwicklung einer Alzheimerdemenz nicht verzögern – ganz im Gegenteil, die Medikamente scheinen die kognitive Leistung sogar zu verschlechtern. Auch eine Studie mit Naproxen schlug fehl. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Manche Studien scheitern, weil die geprüften Mittel nicht wirken oder zu viele Nebenwirkungen haben, eher ungewöhnlich ist jedoch, dass eine neue Arznei den Zustand noch verschlechtert, den sie eigentlich bessern soll. Das scheint mit einigen Beta-Sekretase-Hemmern der Fall zu sein. Diese sollen eigentlich die Produktion der mit Alzheimer assoziierten Beta-Amyloid-Fragmente verhindern, was auch einigermaßen gelingt. Aber das führt nicht zu einem verlangsamten, sondern zu einem beschleunigten kognitiven Abbau. Die große Frage lautet nun, weshalb? Konsistent negative Wirkung Überraschend an den jetzt publizierten Daten der Phase-3-Studie APECS mit dem Beta-Sekretase-Hemmer Verubecestat ist daher nicht unbedingt das negative Ergebnis – Merck hatte schon im Februar 2018 nach einer Zwischenanalyse das vorzeitige Ende der Studie verkündet, und davor zeigte der Wirkstoff bereits in der Phase-2/3-Studie EPOCH bei milder und moderater Alzheimerdemenz keine positive Wirkung. Vielmehr nährt die Studie Zweifel, ob Beta-Sekretase überhaupt ein geeignetes Ziel ist. Möglicherweise ist das wissenschaftlich als „β-site APP–cleaving enzyme 1“ – kurz BACE 1 – bezeichnete Protein noch für andere Zwecke nützlich und eine Blockade daher keine gute Idee. Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Das Konzept hinter BACE-1-Hemmern ist zunächst bestechend: Das Enzym spaltet das Amyloidvorläuferprotein (APP) in einem ersten Schritt. Der restliche in der Zellmembran steckende APP-Abschnitt wird durch eine Gamma-Sekretase erneut durchtrennt, worauf je nach Schnittstelle unterschiedlich lange Beta-Amyloid-Fragmente entstehen. Die BACE-1-Blockade mit „small molecules“ verhindert sie alle, daher müssen sich die Forscher hier keine Gedanken machen, welche Beta-Amyloid-Fragmente in welcher Aggregationsform nun wirklich toxisch sind – ganz im Gegensatz zu den Entwicklern von Antikörpern gegen Beta-Amyloid, denn solche binden meist nur spezifisch an lösliches Amyloid, Amyloid-Oligomere oder Fibrillen. Mit der BACE-Blockade ließ sich in Tierexperimenten und präklinischen Studien tatsächlich die Amyloidverklumpung im Gehirn verringern. Und auch in den mittlerweile recht zahlreichen klinischen Studien mit solchen Wirkstoffen schien dies zu klappen. Doch schon bald tauchten Probleme auf: Die erste Phase-2-Studie mit einem solchen Wirkstoff (LY2886721 von Lilly) wurde aufgrund von Leberwerterhöhungen abgebrochen. Ein ähnliches Schicksal erlitt der Wirkstoff Atabecestat von Janssen in der Phase-2/3-Studie EARLY. Das Aus für Lanabecestat von AstraZeneca/Lilly kam ebenfalls vergangenes Jahr: Zwei Phase-3-Studien wurden vorzeitig abgebrochen, nachdem kein Erfolg mehr zu erwarten war – die Resultate deuteten sogar auf einen negativen Effekt der Therapie. Ein solcher ist jetzt auch für Verubecestat in APECS klar dokumentiert worden: Bis zum Abbruch hatten Forscher um Dr. Michael Egan vom Unternehmen Merck über 1450 Patienten aufgenommen – alle befanden sich im Prodromalstadium mit ersten kognitiven Einschränkungen und erhöhter Beta-Amyloid-Akkumulation im Gehirn, aber noch ohne Demenz. Sie bekamen täglich entweder 12 oder 40 mg des BACE-1-Hemmers oder Placebo. Nachdem rund 700 Patienten zwei Jahre lang behandelt worden waren, erfolgte die Interimsanalyse: Der CDR-SB-Wert* als Maß für die kognitive Leistung verschlechterte sich unter 12 mg Verubecestat um 1, 65 Punkte und unter 40 mg um 2,02 Punkte. Am besten schnitten Patienten mit Placebo ab (1,58 Punkte), der Unterschied zur Gruppe mit 40 mg des BACE-Hemmers war statistisch signifikant. Ähnliches galt für die Demenzinzidenz: Diese war nach zwei Jahren in der Gruppe mit 40 mg um 38% höher als unter Placebo. Auch auf klassischen Demenzskalen wie MMST und ADAS-Cog deutete sich ein Nachteil unter der Arznei an, ebenso schien der Hippocampus etwas stärker zu schrumpfen. Zu guter Letzt wurden mit der hohen Dosis des BACE-Hemmers deutlich häufiger Nebenwirkungen beobachtet: Dermatosen, Depressionen, Angststörungen, Psychosen, Schlafstörungen und Gewichtsverlust traten rund doppelt so häufig auf wie unter der Scheinmedikation. Immerhin: Der BACE-Hemmer konnte die Amyloidlast im Gehirn deutlich senken, so gingen die Konzentrationen der Amyloidfragmente Aβ40, Aβ42 und sAPPβ im Liquor um mehr als 60% zurück. Beschleunigter kognitiver Abbau Zeitgleich mit der Publikation der APECS-Daten meldeten sich auch Studienautoren um David Henley von Janssen mit einer Auswertung der an erhöhten Leberwerten gescheiterten EARLY-Studie zu Wort. Daran nahmen über 550 Personen teil, die entweder Placebo, 5 mg oder 25 mg Atabecestat bekamen. Die Teilnehmer hatten noch nicht einmal kognitive Beschwerden, sondern lediglich erhöhte Amyloidwerte im Gehirn – also eigentlich die ideale Zielgruppe, um eine Demenz zu verzögern. Doch auch hier war die kognitive Leistung mit der hohen Dosis des BACE-Hemmers nach sechs Monaten signifikant stärker zurückgegangen als unter Placebo. Dazu passt, dass auch in der EPOCH-Studie mit Verubecestat und bereits erkrankten Alzheimerpatienten nach 13 Wochen Behandlung die kognitiven Verlaufskurven zwischen den Gruppen mit Verum und Placebo auseinanderdrifteten – zulasten des BACE-Hemmers, berichten Egan und Mitarbeiter. Weshalb BACE-Hemmer den kognitiven Abbau beschleunigen statt ihn zu bremsen, bleibt ein großes Rätsel. Die Forscher von Merck spekulieren, dass BACE 1 für die normale synaptische Funktion wichtig sein könnte, eine übermäßige Hemmung sei dann eher ungünstig. Dies impliziert, dass in den Studien vielleicht die Dosis zu hoch war. Sollte dies zutreffen, sei ein Erfolg mit einem therapeutisch sehr engen Fenster in klinischen Studien eher unwahrscheinlich, gibt der Neurologe David Knopman aus Rochester in einem Editorial zu bedenken. Dafür seien die bisherigen Biomarker zu ungenau. Vielleicht drehen die BACE-1-Hemmer aber auch an anderen Stellschrauben, die sich ungünstig auf die Kognition auswirken. An solche Off-target-Effekte als Ursache glaubt Knopman jedoch nicht. Die Wirkstoffe seien pharmakologisch sehr unterschiedlich, trotzdem trete der negative Effekt auf die Kognition sehr konsistent auf. Dies spricht dann wohl doch für eine Folge der BACE-Hemmung. Möglicherweise zieht ein Stopp der APP-Spaltung über BACE 1 negative Folgen nach sich, die noch niemand auf dem Radar hat. Vielleicht wird APP dann auf eine Weise verarbeitet, die weit schädlicher ist als die BACE-Spaltung, oder einige der Amyloidfragmente sind neuroprotektiv. Der Zusammenhang zwischen Beta-Amyloid-Produktion und kognitiver Funktion dürfte jedenfalls weitaus komplexer sein als bisher angenommen. Knopman rät daher, sich künftig auf Ziele zu konzentrieren, die zeitlich näher am Beginn der Alzheimerdemenz liegen. Amyloid scheine wohl eher über diverse Zwischenschritte eine Fernwirkung auf die Krankheitsentstehung zu haben, diese Schritte gelte es nun als therapeutische Ziele zu identifizieren. Das Kapitel mit den Sekretase-Hemmern ist jedoch noch längst nicht abgeschlossen – mit Elenbecestat (Biogen/Eisai) und Umibecestat (Novartis/Amgen) befinden sich weitere BACE-Blocker in Phase-2/3-Studien. Kaum Hoffnung gibt es inzwischen auf eine krankheitsmodulierende Wirkung von NSAR. Epidemiologische Studien hatten eine reduzierte Demenzrate unter Entzündungshemmern ergeben; in kontrollierten Studien bei Alzheimerpatienten ließ sich die Krankheitsprogression mit solchen Arzneien jedoch nicht beeinflussen. Auch hier liegt der Verdacht nahe, dass eine Behandlung zu spät kommt, wenn sich erste kognitive Defizite zeigen. In einer aktuellen Untersuchung mit Naproxen bei knapp 200 asymptomatischen älteren Menschen mit einem erhöhten Demenzrisiko (erkrankte Verwandte ersten Grades) wurde nach zwei Jahren jedoch ebenfalls kein signifikanter Effekt auf die Kognition beobachtet. Allerdings führte die Therapie auch hier zu deutlich mehr Nebenwirkungen als ein Placebo. *CDR-SB: Clinical Dementia Rating Scale–Sum of Boxes, 0 bis 18 Punkte, hohe Werte stehen für eine schlechte Kognition.

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